Ausgabe Oktober 1999

Schock-Schwere-Not

Bausteine einer virtuellen Sozialdemokratie

 "Leicht beieinander wohnen die Gedanken" (Friedrich Schiller)

Die Sozialdemokratie wird sich ein neues Grundsatzprogramm verpassen. Sie muß reagieren - auf den "Ruck", der, als schon keiner mehr daran glauben wollte, das Gemeinwesen doch noch durchgerüttelt hat. Freilich ganz anders als gedacht. Er ist auf unwahrscheinlichem Terrain passiert: dem militärischen; er hat die Falschen getroffen: eine friedfertige Regierung; und er war von geradezu schockierender Intensität: kriegerisch zugespitzt.

1. Schock

Eine "Schocktherapie" sei der Kosovo-Krieg gewesen, ein Ereignis, das "Europa aufgerüttelt" habe (Naß 1999). "Der Schock setzt die Gedanken frei und bringt Europa voran", ertönt es aus dem selben Winkel (Hofmann 1999). Zwar kann niemand so genau sagen, wohin es "voran" geht, aber irgendwie scheint klar, daß speziell für die Deutschen nichts mehr so ist, wie es einmal war: "Illusionen" sind verloren gegangen, "Statur" hat man gewonnen, manche sehen den Augenblick gekommen, "Größe und Potenz" zu demonstrieren (Feldmeyer 1999), andere dagegen glauben eher an zwanghafte Eskalationen (Ross 1999).

Oktober 1999

Sie haben etwa 5% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 95% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (1€)
Digitalausgabe kaufen (10€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe September 2025

In der September-Ausgabe plädiert Lea Ypi für eine Migrationsdebatte im Sinne der Aufklärungsphilosophie. Cinzia Sciuto fordert, der zunehmenden Aushöhlung des Völkerrechts mit einer entschiedenen Verteidigung desselben zu begegnen – und nicht mit Resignation und falschem Realismus. Für Georg Diez markieren die Kriegsverbrechen in Gaza und die fehlenden Reaktionen darauf einen Epochenbruch; sie stünden für nicht weniger als den Verrat des Westens an der Humanität. Herfried Münkler analysiert, wie Kriege historisch endeten und Friedenszeiten begannen und was das mit Blick auf den Ukrainekrieg bedeutet. Simone Schlindwein deckt auf, wie Russland junge Afrikanerinnen mit falschen Versprechen für die Kriegswirtschaft rekrutiert. Warum die grüne Digitalisierung ein Mythos ist und was der KI-Boom den Globalen Süden kostet, erläutern Ingo Dachwitz und Sven Hilbig. Und Eva-Maria Klinkisch sowie Markus Rieger-Ladich zeigen auf, wie Long Covid-Betroffene von der Gesellschaft und dem Gesundheitssystem systematisch ignoriert werden – und was dagegen zu tun ist. 

Zur Ausgabe Probeabo

Weitere Artikel zum Thema

Patriotische Zivilgesellschaft: Das Vorfeld der AfD

von Sebastian Beer

Alice Weidel war genervt von der Geräuschkulisse während ihres Sommerinterviews Ende Juli in der ARD. Um das Gespräch mit der AfD-Vorsitzenden zu stören, hatten sich Aktivist:innen des Künstlerkollektivs Zentrum für Politische Schönheit unweit des TV-Studios versammelt und Musik abgespielt.

Ernst, aber nicht hoffnungslos

von Thorben Albrecht, Christian Krell

Spätestens seit Ralf Dahrendorfs berühmt gewordener These vom „Ende des sozialdemokratischen Jahrhunderts“ gehören SPD-Niedergangsprognosen zu den Klassikern der parteibezogenen Publizistik. Die Partei hat diese Prognose bisher um 42 Jahre überlebt. Aber das konstituiert keine Ewigkeitsgarantie.