Ausgabe August 2000

Erklärung für eine demokratische Kontrolle der Finanzmärkte (Wortlaut)

Namhafte Persönlichkeiten haben eine Erklärung unterzeichnet, die das "Netzwerk zur demokratischen Kontrolle der Finanzmärkte" am 31. Mai d.J. in Berlin vorlegte (Kontakt: Netzwerk zur demokratischen Kontrolle der Finanzmärkte, c/o Share e.V., Artilleriestraße 6, 27383 Verden/Aller). Wir dokumentieren den Wortlaut. D. Red.

Die internationalen Finanzmärkte sind zu einer Macht geworden, die zunehmend die Politik bestimmt. Immer mehr Lebensbereiche geraten unter das Diktat von Dax, Dow Jones und "Shareholder Value". Im Namen einer Modernisierung, die als unabänderlicher Sachzwang präsentiert wird, untergräbt die Macht der Finanzmärkte die Demokratie. Mit der Drohung auf einen anderen "Standort" oder eines der Steuerparadiese und "Off Shore-Bankzentren" auszuweichen, verfügen internationale Finanzkonzerne und KapitalbesitzerInnen über ein Erpressungspotential, mit dem sie die Politik demokratisch gewählter Regierungen ihrer Disziplin unterwerfen. Mit Transaktionen von 1500 Milliarden Dollar pro Börsentag, wovon der Löwenanteil auf Geschäfte mit spekulativem Charakter entfällt, ist eine völlig neue Qualität internationaler Wirtschaft entstanden. Doch die grenzenlose Freiheit der Kapitalflüsse führt zu einer wachsenden Instabilität der internationalen Wirtschaftsbeziehungen, die sich in immer kürzeren Abständen in Krisen entlädt. Durch Finanzcrashs werden jahrelange wirtschaftliche Anstrengungen ganzer Volkswirtschaften über Nacht zunichte gemacht. Die Behauptung, die Globalisierung bringe Wohlstand für alle, hat sich nicht bewahrheitet. Während eine kleine Gruppe von Globalisierungsgewinnern immer reicher und mächtiger wird, wachsen weltweit soziale Unsicherheit, Ausgrenzung und Armut.

Die Kluft zwischen und innerhalb von Industrieländern und Entwicklungsländern wird immer größer. Die Lösung brennender ökologischer Probleme wird verschleppt. Im Interesse von Unternehmen und Kapitalbesitzern wird der Abbau der sozialen Sicherungssysteme betrieben. Wir brauchen eine andere Politik! Doch diese Art der Globalisierung ist nicht schicksalhaft und unaufhaltbar. Sie ist von staatlicher Politik zielgerichtet in Gang gesetzt worden. Durch internationale politische Regulierung könnten die entfesselten Marktkräfte soweit gezähmt werden, dass ihr destruktives Potenzial eingedämmt wird. Dazu ist allerdings gesellschaftliche Bewegung von unten notwendig. Um erfolgreich zu sein, muss dieser Druck national und international organisiert sein, beispielsweise in enger Zusammenarbeit mit den ATTAC-Bewegungen in vielen Ländern. Nur dann wird etablierte Politik die Interessen der Mehrheit der Menschen gegen die Interessen der Wirtschaft vertreten. Eine Bewegung für die demokratische Kontrolle der Finanzmärkte muss vielfältige Aktionsformen nutzen, von der Aufklärungsarbeit für Öffentlichkeit und Medien, über Lobbytätigkeit bis zum öffentlichkeitswirksamen Protest.

Deshalb fordern wir:

- Die Einführung einer Steuer auf internationale Finanztransaktionen (z.B. Tobin Tax).

- Die Schließung der Steuerparadiese und "Off-Shore-Zentren".

- Keine Privatisierung der Alterssicherung (z.B. Pensionsfonds).

- Das Verbot von spekulativen Derivaten und der hochspekulativen "Hedge-Funds". - Schuldenstreichung für die Entwicklungsländer. - Strengere Banken- und Börsenaufsicht auch für die sog. institutionellen Anleger.

- Stabilisierung der Wechselkurse zwischen den drei Hauptwährungen Dollar, Euro und Yen.

- Die demokratische Umgestaltung internationaler Finanzinstitutionen.

- Die stärkere Besteuerung von Kapitaleinkünften und großen Vermögen.

Die unterzeichnenden Organisationen tragen die Erklärung mit und unterstützen die Anliegen und die Arbeit des Netzwerkes zur demokratischen Kontrolle der Finanzmärkte.

UnterzeichnerInnen der Erklärung Organisationen: Aktion Selbstbesteuerung * ALASEI * Arbeitskreis Ökonomie und Kirche * Arbeitskreis Politische Ökonomie: FATAL GLOBAL? * Berliner Landesarbeitsgemeinschaft Umwelt und Entwicklung - BLUE 21 * Bundesarbeitsgemeinschaft Internationalismus BAGI * Basis Grün - Linke Grüne in Bayern * Bildungswerk der DAG Niedersachsen * Berliner Entwicklungspolitischer Ratschlag - BER * Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Friends of the Earth Germany - BUND * DAG Bildungswerk * Dachverband entwicklungspolitischer Aktionsgruppen in Baden-Württemberg * EIRENE Deutscher Zweig * Entwicklungspolitische Gesellschaft - EpoG * Fachstelle Wirtschaftspolitik des ABP * Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika - FDCL * Freundschaftsgesellschaft Berlin Cuba * Frauen für den Frieden * Germanwatch Berlin * Gewerkschaft HBV in der AM Informatik, Hamburg * Globalisation as if people mattered - international * Gossner Mission * Grüne Jugend Bundesverband * Industriegewerkschaft Medien - Druck und Papier, Publizistik und Kunst * Informationsstelle Lateinamerika - ila * INKOTA-Netzwerk * Initiative Ordensleute für den Frieden - IOF * Jusos Hamburg * Kirchliche Arbeitsstelle Südliches Afrika - KASA * Kontaktstelle für Umwelt und Entwicklung - KATE * Kairos Europa * Kreisverband Potsdam Bündnis 90/Grüne * Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie * Le Monde diplomatique Deutschland * Linksruck * Medico international * Miljpartiet De Gronne, Norwegen * MISSIO * Netzwerk am Turm * Netzwerk gegen Konzeraherrschaft * Ökumenisches Netz Rhein Mosel Saar * Ökumenisches Netz Württemberg * Oswald von Nell-Breuning-Institut * Pax Christi Deutsches Sekretariat * Pax Christi Regionalstelle der Bistümer Osnabrück und Hamburg * Pax Christi Basisgruppe Koblenz * PLÄDOYER für eine ökumenische Zukunft * Pro Ökumene * Share - Aktion für gerechte Ökonomie * Solidaritätsdienst International - SODI * solarpolis * spwZeitschrift für Sozialistische Politik und Wirtschaft (Redaktion) * Südwind - Institut für Ökonomie und Ökumene * Stiftung Nord-Süd Brücken * Stiftung Umverteilen * Umweltbüro Neubeuern * Versöhnungsbund Landespruppe Baden-Württemberg * Weltwirtschaft, Ökologie und Entwicklung - WEED * Weltfriedensdienst
Einzelpersonen: Andreas Bummel * Prof. Elmar Altvater, FU Berlin * Eberhard Bauer * Gerhard Bauer * Kerstin Bertow * Annelie Buntenbach, MdB * Lena Bröckl * Cailly Jean-Michel, Mitglied der "Amis du Monde Diplomatique" * Dr. Bernhard Danzer * Veronika Dehnhard * Prof. Ulrich Duchrow, Universität Heidelberg * Lorenz Erdmann * Dr. med. Wolfgang Fabricius * Cornelie Feld * Ralf Forster * Heiko Glawe, Politologe * Marc Gronwald * Elke Grub * Dr. Barbara Hähnchen * Marie Luise v. Halem * Prof. Friedhelm Hengsbach SJ * Detlev Hensche, Hauptvorstand IG Medien * Anette Henßler * Dr. Stefan Hessler, J.W. Goethe-Universität Frankfurt a.M. * Prof. Rudolf Hickel, Universität Bremen * Prof. Johannes Hoffmann, J.W. Goethe-Universität Frankfurt a.M. * Carsten Hübner MdB * Prof. Jörg Huffschmid, Universität Bremen * Dirk Jörke * Gerhard Katzer * Thomas Klouth * Haynti Koc * Marianne Koch * Joachim Bernd Felix Köhler * Petra Kraft * Gisela Kremberg * Daniel Kreutz, Ex-MdL/ NRW * Grendus Krystyna * Hans Langlotz * Robert Levin * Dr. Matthias Lüdeke * Ulla Lötzer MdB * Prof. Birgit Mahnkopf, FHW Berlin * Ingrid Manthey * Jürgen Menthe * Ulrich Meinecke, Geschäftsführer der HBV Hamburg * Friedrich Meyer-Stach * Andrea Nahles, MdB * Uwe Oeltjenbruns * Christian Osterhaus * Dr. Hermannus Pfeiffer, Publizist * Walter A. Pickshaus * Raffaele Piria * Tobias Polzin * Eva Quistorp MdEP a.D. * Jörg Reinbrecht, HBV-Hauptverwaltung Internationale * Clemens Ronnefeld * Ingrid Rössel-Drath * Dr. Walter Romberg, Minister a.D. * Dr. Heinrich Ruhemann * Ruth Ruhemann * Dr. Thomas Sauer * Astrid Schaffert * Horst Schiermeyer * Dr. Dietrich Schirmer * Ingo Schmidt * Martin Schodlok * Elisabeth Schröter, MdEP * Walter Schütz * Werner Schuster, MdB * Marie-Luise Stöhr * Prof. Dr. Martin Stöhr * Peter Stoll * Matthias Striebich * Roland Süß * Reinhold E. Tiel, Chefredakteur "Entwicklung und Zusammenarbeit" * Norbert Trautwein, Gewerkschaft HBV-HV * Dr. Shungu M. Tundanonga-Dikunda * Thomas Viertel * Manuel Weber * Frieder Otto Wolf, Ex-MdEP * Heinrich Wollny * Gernot Wolter

Aktuelle Ausgabe Oktober 2025

In der Oktober-Ausgabe wertet Seyla Benhabib das ungehemmte Agieren der israelischen Regierung in Gaza als Ausdruck einer neuen Ära der Straflosigkeit. Eva Illouz ergründet, warum ein Teil der progressiven Linken auf das Hamas-Massaker mit Gleichgültigkeit reagiert hat. Wolfgang Kraushaar analysiert, wie sich Gaza in eine derart mörderische Sackgasse verwandeln konnte und die Israelsolidarität hierzulande vielerorts ihren Kompass verloren hat. Anna Jikhareva erklärt, warum die Mehrheit der Ukrainer trotz dreieinhalb Jahren Vollinvasion nicht zur Kapitulation bereit ist. Jan Eijking fordert im 80. Jubiläumsjahr der Vereinten Nationen mutige Reformen zu deren Stärkung – gegen den drohenden Bedeutungsverlust. Bernd Greiner spürt den Ursprüngen des Trumpismus nach und warnt vor dessen Fortbestehen, auch ohne Trump. Andreas Fisahn sieht in den USA einen „Vampirkapitalismus“ heraufziehen. Und Johannes Geck zeigt, wie rechte und islamistische Rapper Menschenverachtung konsumierbar machen.

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