Bild: Markus Spiske / Unsplash
Nach dem Sturm auf das Kapitol in Washington D.C. sperrten zahlreiche soziale Netzwerke die Konten des damaligen US-Präsidenten Donald Trump. Dieses massenhafte „Deplatforming“ wirft mit neuer Dringlichkeit die ungelöste netzpolitische Frage auf, wie Hassrede und Fake-News in den sozialen Netzwerken bekämpft werden können, ohne dabei die Meinungsfreiheit zu beschneiden. Doch mindestens ebenso beunruhigend wie das eigenmächtige Handeln der Plattformkonzerne ist die empörte Reaktion vieler Politiker*innen auf die Blockaden – sie scheinen erst jetzt zu begreifen, wie weit die Privatisierung der Rechtssetzung durch Plattformunternehmen bereits vorangeschritten ist.
Tatsächlich hat die jahrelange Untätigkeit des Gesetzgebers die beispiellose Machtkonzentration in der Hand der Plattformen erst ermöglicht. Konzerne wie Google, Amazon oder Facebook haben in den vergangenen zwanzig Jahren die zentralen Infrastrukturen unserer digitalen Gesellschaft in Besitz genommen: Sie überwachen unseren Alltag, kontrollieren die Online-Vertriebskanäle und kuratieren unsere digitale Öffentlichkeit. Es gab keine Gesetze, die dies verhindert hätten. Im Gegenteil: Die im Jahr 2000 verabschiedete europäische E-Commerce-Richtlinie hatte den Markt weit- gehend dereguliert und die Plattformbetreiber von jeglicher Verantwortung entbunden. Auch das 2017 beschlossene deutsche Netzwerkdurchsuchungsgesetz lässt den Plattformunternehmen bei der Löschung illegaler Inhalte weitgehend freie Hand. Regulierungsversuche auf dieser Rechtsgrundlage entpuppten sich vielfach als Papiertiger: Das erste EU-Verfahren gegen Google ist beispielsweise nach zehn Jahren noch immer beim Europäischen Gerichtshof anhängig. Die Technologiekonzerne können entscheidende Informationen zurückhalten, so dass eine Überprüfung der Auflagen kaum erfolgen kann. Drohende Strafzahlungen werden aus der Portokasse finanziert, während der massenhafte strukturelle Datenmissbrauch weiter unangetastet bleibt. Auch monopolistische Fusionen, wie zuletzt Googles Aufkauf des Wearables-Herstellers Fitbit, lassen sich nach wie vor nicht verhindern.
Nach Jahrzehnten des Wegsehens möchte der europäische Gesetzgeber nun aber endlich eine spezielle Verordnung für die Plattformökonomie auf den Weg bringen. Mitte Dezember stellte die EU-Kommission dazu das Digital Service Package vor, bestehend aus dem Digital Service Act für Haftungsfragen von digitalen Vermittlungsdiensten sowie dem Digital Markets Act mit neuen Wettbewerbsregeln für besonders große Gatekeeper-Plattformen. Insbesondere Letzterer könnte ein echter Gamechanger für die Digitalwirtschaft werden und erstmals einen effektiven Schutz vor Plattform-Missbrauch ermöglichen. Der Vorschlag weist allerdings auch viele Leerstellen und Unstimmigkeiten auf. Zudem ist zu befürchten, dass die Vorschläge im Laufe des Gesetzgebungsprozesses deutlich aufgeweicht werden. Zentral ist daher: Die Zukunft des digitalen Kapitalismus in Europa entscheidet sich an den politischen Konflikten, die in den nächsten Jahren rund um das Digital Service Package entstehen werden.
Erster Akt: Haftungsregeln für Plattformen
Mit dem Digital Service Act sollen einheitliche Regeln für den Umgang mit illegalen Inhalten in der Plattformökonomie vorgegeben werden. Er ähnelt von seiner Bauart dem deutschen Netzwerkdurchsuchungsgesetz und zielt auf Hass- und Falschnachrichten auf Social-Media-Plattformen, adressiert darüber hinaus jedoch auch gefälschte oder gefährliche Produkte auf E-Commerce-Plattformen, die hier bisher nicht in der Verantwortung stehen. Anstatt weiter auf freiwillige Zusammenarbeit mit den Plattformkonzernen zu setzen, sollen nun europaweit einheitliche Leistungspflichten für Plattformbetreiber gelten. Was genau illegale Inhalte sind, entscheiden dabei weiterhin die EU-Mitgliedstaaten, hier macht der Digital Services Act keine neuen Vorgaben. Vielmehr umfasst der Gesetzesvorschlag ein Kompendium an Verfahrensvorschriften, die eine effektive Rechtsdurchsetzung und wirkmächtige Verbraucherschutzrechte in der Plattformökonomie überhaupt erst möglich machen sollen. Typisch für das gesamte Gesetzespaket ist die zielgruppenspezifische Regulierungsweise, die kleine Unternehmen vor zu hohen Auflagen schützen und zugleich große Plattform-Monopole umfassend kontrollieren soll – je größer, desto mehr Anforderungen. Dieses Vorgehen ist grundsätzlich begrüßenswert, führt jedoch dazu, dass mächtige Spartenplattformen durch das Raster fallen.
Inhaltlich haben es insbesondere die Auflagen für die großen und sehr großen Plattformen in sich: So sollen Online-Plattformen ab zehn Millionen Euro Jahresumsatz zukünftig durch unabhängige Kontrolleure der EU-Mitgliedstaaten, sogenannte Trusted Flaggers, beaufsichtigt werden. Die Plattformen sollen eigene Maßnahmen zur Löschung von illegalen Inhalten oder Nutzerprofilen ergreifen und unter gewissen Umständen direkt die Strafvollzugsbehörden informieren. Darüber hinaus erhalten erstmals alle Nutzer*innen ein Einspruchsrecht und können unabhängige, von den Mitgliedstaaten zu benennende Schiedsgerichte anrufen, um ihre Rechte durchzusetzen.
Sehr große Plattformen mit mehr als 45 Millionen monatlichen Nutzer*innen (rund zehn Prozent der EU-Bevölkerung) wie Facebook oder Amazon müssten darüber hinaus ihren Nutzer*innen erstmals das Recht auf umfassenden Einblick in die Funktionsweise der Empfehlungsalgorithmen sowie ein Recht auf individuelle Anpassung der entscheidenden Algorithmen-Parameter ermöglichen. Um besser gegen zielgruppenspezifische Werbung mit Falschnachnachrichten vorgehen zu können, sollen sehr große Plattformen zudem eine Datenbank mit allen Werbeanzeigen des vergangenen Jahres öffentlich zugänglich machen. Darüber hinaus müssen sie sich jährlich von unabhängigen Evaluierungsstellen auditieren lassen sowie einen Bericht über sämtliche systemischen Risiken und die getroffenen Schutzmaßnahmen veröffentlichen.
Die hier vorgeschlagenen Regeln könnten nachholen, was lange Zeit versäumt wurde. Erstmals wird eine unabhängige Kontrolle der Diskursregeln auf Social-Media-Plattformen gesetzlich verankert. Auch die Pflicht für Plattformen, ihre Verwendung von Nutzerdaten bzw. die Funktionsweise ihrer Algorithmen transparent und personalisierbar zu machen, ist eine langjährige Forderung der Zivilgesellschaft, die möglichst breit ausgelegt werden sollte. Es ist allerdings nicht nachvollziehbar, warum dies erst ab einer Plattformgröße von 45 Millionen Nutzer*innen greifen soll. Begrüßenswert ist dagegen, dass neben der Europäischen Kommission und von den Mitgliedstaaten benannte Digital Service Coordinators auch geprüfte Wissenschaftler*innen auf Anfrage einen besseren Zugang zu Datenbanken der Plattformen bekommen sollen, um die Einhaltung der Regeln zu überprüfen.
Zweiter Akt: Neuregelung des digitalen Wettbewerbs
Der Digital Markets Act geht noch einen Schritt weiter und räumt veraltete Wettbewerbsregeln aus dem Weg, die eine effektive Bekämpfung von Plattform-Macht bisher verhinderten. So bekennt sich die EU-Kommission zu einem aktiven Marktdesign oder, wie es die Vize-Kommissionschefin Margrethe Vestager formulierte, dazu „dass das Kartellrecht Hand in Hand mit der Regulierung arbeiten muss“.
Das ist dringend nötig: Denn in der Plattformökonomie sind vermehrt sogenannte Gatekeeper-Plattformen entstanden, die so viele Nutzer*innen auf sich vereinen, dass sie für bestimmte Unternehmen unverzichtbar geworden sind, um ihre Kund*innen zu erreichen. Solche Gatekeeper-Plattformen funktionieren als „proprietäre Märkte“,[1] die aufgrund des datenbasierten Matchings zwischen Anbieter und Nachfrage sowie der hohen Skalen- und Netzwerkeffekte schlicht effizienter sind als Offline-Märkte. Ein „freier“ Wettbewerb ist unter diesen Bedingungen immer schwieriger zu erhalten, weil die Gatekeeper die Regeln des Marktes bestimmen, von dem sie selbst profitieren. Zudem üben diese Plattformen als Torwächter zu den Endkunden eine andere Form der Marktmacht aus, als gemeinhin in den Ökonomie-Lehrbüchern steht: Ihre Marktmacht wirkt eher nachfrage- als angebotsseitig, das heißt, sie heben meist nicht die Preise für Verbraucher an, sondern leben von der Besteuerung der von ihnen abhängigen Zulieferer, Händler und Werbetreibenden. Ihnen können sie dabei missbräuchliche Bedingungen aufzwingen, wie beispielsweise die zahlreichen Beschwerden von Amazon-Händler*innen belegen.[2] Um dies zu beheben, übernimmt die EU-Kommission einen wichtigen neuen Regulierungsansatz, der auch schon in die Mitte Januar verabschiedete 10. Novelle des deutschen Wettbewerbsrechts Einzug gefunden hat: Hürden für staatliche Markteingriffe, wie die obligatorische Marktmachtfeststellung und Marktabgrenzung, werden aufgeweicht und durch eine „Ex-Ante-Regulierung“ ergänzt, auf deren Grundlage die EU-Kommission zukünftig schneller und effektiver Missbrauch von Gatekeeper-Plattformen verhindern soll – selbst dann schon, wenn noch kein Monopol im klassischen Sinne vorliegt. So umfasst das Herzstück des Digital Markets Act eine „schwarze Liste“ mit verbotenen Praktiken, die zukünftig direkt bestraft werden können.
Die schwarze Liste verbotener Praktiken
Die vier wichtigsten Punkte des Digital Markets Act sind:
Erstens das Verbot von Selbstbevorzugung: Große Digitalunternehmen dürfen auf ihren Online-Marktplätzen oder Hardwaresystemen keine eigenen Angebote bevorzugen oder an exponierter Stelle anzeigen. Damit soll beispielsweise verhindert werden, dass Plattformen wie Amazon oder Google, die sowohl Marktanbieter als auch Marktteilnehmer sind, andere Marktteilnehmer über Sortieralgorithmen benachteiligen. Zudem dürfen auf Betriebssystemen wie bei Apples iOS oder Googles Android keine eigenen Anwendungen vorinstalliert oder Nutzer*innen zu Anmeldung bei weiteren Diensten gezwungen werden.
Zweitens das Verbot von Vertikalbeschränkung: Gewerbliche Plattformnutzer erhalten das Recht, ihre Dienstleistungen oder Produkte auch auf anderen Plattformen und zu anderen Preisen oder Bedingungen anzubieten. Aktuell versuchen einige Plattformanbieter insbesondere in der Hotelbranche, ihre Geschäftskunden durch sogenannte Best-Preis-Klauseln und Exklusivverträge an die eigene Plattform zu binden.
Drittens das Verbot von Datenmissbrauch: Gatekeeper dürfen die Daten ihrer gewerblichen Nutzer nicht mehr für eigene Zwecke nutzen. Damit soll beispielsweise verhindert werden, dass Amazon auf Basis der Verkaufszahlen seiner Geschäftskunden besonders profitable Produkte identifiziert und diese zu günstigeren Preisen selbst vertreibt. Auch dürfen Nutzerprofile nicht mehr mit Daten anderer Dienste kombiniert werden, wie dies Google oder Facebook großflächig praktizieren, um gezielter Werbung zu vermitteln.
Schließlich viertens das Verbot von Lock-In-Mechanismen – große Plattformanbieter dürfen ihre Nutzer*innen nicht im eigenen digitalen Ökosystem einsperren und daran hindern, zu anderen Diensten zu wechseln. Zu diesem Zweck müssen sie einerseits Dienste von Dritten auf der eigenen Plattform zulassen und deren Interoperabilität mit der Kernanwendung sicherstellen. Andererseits müssen Gatekeeper technische Vorkehrungen für die sogenannte Datenportabilität ihrer Nutzer*innen treffen, damit diese mitsamt ihren Daten auf andere Plattformen umziehen können.
Wie schon beim Digital Service Act sollen die EU-Kommission sowie von den Mitgliedstaaten benannte Koordinatoren für digitale Dienste die Einhaltung der Regeln überwachen. Sie sollen notfalls direkt eingreifen, einstweilige Maßnahmen erlassen und Strafen in Höhe von bis zu zehn Prozent des weltweiten Konzernumsatzes erlassen. Zu diesem Zweck erhalten sie weitreichende Ermittlungsbefugnisse und können einen direkten Zugang zu den Datenbanken, Algorithmen und Servern der Plattformunternehmen einfordern. Zudem soll ein European Board for Digital Services entstehen, welches die harmonisierte Anwendung der Verordnung sicherstellt und wichtige Standardisierungsprozesse, beispielsweise für die Datenportabilität, anstoßen soll.
Zögerliche erste Schritte auf dem richtigen Weg
Die im Digital Markets Act vorgeschlagenen Regeln sind eine dringend nötige Ergänzung des europäischen Wettbewerbsrechts und können die ausufernde Marktmacht von Gatekeeper-Plattformen wirksam einschränken. Insbesondere das Verbot von Selbstbevorzugung, die effektive Datenportabilität und die Pflicht zur Interoperabilität mit digitalen Diensten von Dritten greifen tief in die Geschäftsmodelle der Tech-Konzerne ein. Sie befähigen die Wettbewerbsbehörden zu einem aktiven Design digitaler Märkte, mit dem die typischen Schließungsmechanismen von Softwareherstellern verhindert und die technologische Souveränität von Nutzer*innen gestärkt werden können.
Die EU-Kommission muss sich allerdings auch die Frage gefallen lassen, warum diese Maßnahmen erst jetzt kommen, zu einem Zeitpunkt, an dem die Marktmacht der Konzerne bereits voll ausgebildet ist. Auch bleibt unverständlich, warum ihre Kriterien für die Anwendungen des Digital Markets Act so eng definiert sind. Tatsächlich sollen nur jene Plattformen betroffen sein, die mindestens 45 Millionen monatlich aktive Nutzer*innen in mehreren EU-Staaten aufweisen. Dies schließt zwar die üblichen Verdächtigen sogenannten GAFAM-Konzerne ein – Google (Alphabet), Amazon, Facebook, Apple und Microsoft –, doch viele kleinere Gatekeeper-Plattformen auf Nischenmärkten, wie zum Beispiel die Streaming-Plattform Spotify, die Essenlieferplattform Take-Away, oder die Fernbus-Plattform Flixbus, werden nicht betroffen sein. Erst recht irritiert, dass die als „Ex-Ante“ betitelten Regulierungen kaum den Aufstieg neuer Gatekeeper-Plattformen verhindern werden können, wenn sie nur auf sehr große Plattformen beschränkt bleiben.
Auch inhaltlich bleiben viele Leerstellen. Trotz der staatlichen Markteingriffe verfolgt der Digital Markets Act letztlich einen marktliberalen Ansatz, insofern er „neutrale“ Märkte schaffen und den Missbrauch von Plattformunternehmen einschränken soll. Dabei ist freilich höchst zweifelhaft, dass Onlinemärkte im Privatbesitz überhaupt neutral sein können, solange Plattformunternehmen weiterhin zugleich Marktanbieter und Marktteilnehmer, Konkurrent und Schiedsrichter sein können. Auch die geplanten weitreichenden Ermittlungsbefugnisse der EU-Wettbewerbsbehörden werden einen Datenmissbrauch kaum wirksam verhindern können, wenn dieser mit illegal kopierten Daten auf ausländischen Servern erfolgt. Wirksamen Schutz würde hier nur eine strukturelle Entflechtung von Plattformkonzernen entlang verschiedener Unternehmensteile bieten, wie ihn beispielsweise Frankreich fordert. Doch diese Chance wird ebenso verpasst wie die dringend nötige Weiterentwicklung der Fusionskontrolle, mit der monopolistische Fusionen zukünftig besser verhindert werden können.
Und auch in Bezug auf die Frage der Datenteilungspflicht bleibt die Kommission letztlich hinter den Erwartungen zurück. Noch im vergangenen Jahr hatte Margrethe Vestager eine Öffnung der Datensilos großer Tech-Konzerne für kleinere Konkurrenten ins Spiel gebracht, um Marktzugangsbarrieren abzubauen und Innovationen anzustoßen. Während die Open-Data-Pflicht für öffentliche Verwaltungen und Unternehmen mit dem im November veröffentlichen Entwurf des Data-Governance-Acts noch ausgeweitet wird, dürfen sich private Großkonzerne weiter exklusiv den Wert der Daten aneignen.
Ebenso fehlt die vielfach geforderte plattformübergreifende Interoperabilität über offene Kommunikationsprotokolle. Mit solchen offenen Datenschnittstellen könnten beispielsweise Social-Media-Nutzer*innen mit Freunden über Plattformgrenzen hinweg kommunizieren oder Onlinekäufer Produkte auf Amazon erwerben, ohne dort ein eigenes Konto anlegen zu müssen. Dies könnte die Fähigkeit der Plattformen zum Gatekeeping entscheidend schwächen und einen Wettbewerb um Datenschutzfreundlichkeit entfachen.[3]
Probleme der Machtkonzentration und politische Konflikte
Ein weiterer Kritikpunkt an beiden Gesetzentwürfen des Digital Service Packages – der gerne auch von den Tech-Lobbyisten angeführt wird – ist die Unbedarftheit, mit der sich die EU-Kommission selbst neue Kompetenzen zuschreibt. Weitreichende Zugriffsrechte auf die Datenbanken von Gatekeeper-Plattformen sind für eine effektive Überwachung der Regeln zweifelsohne nötig, erhöhen jedoch auch das Risiko von staatlicher Überwachung. Es liegt auf der Hand, dass diese Aufgaben besser bei einer eigenständigen Behörde verortet wären, die wiederum von unabhängiger Seite kontrolliert werden könnte, wie dies beispielsweise auch in der Trennung von Ministerien und Kartellamt angelegt ist. Tatsächlich hatten zwei Ausschüsse des Europäischen Parlaments ebendies gefordert und eine unabhängige Europäische Digitalagentur vorgeschlagen, die mit ausreichend großem Personalapparat die Leistungspflichten der Plattformunternehmen überwachen, eigene Maßnahmen verhängen und wichtige digitale Standardisierungsprozesse koordinieren sollte.[4]
Abschließend kann dem Digital Service Package das Potential bescheinigt werden, die Spielregeln der Digitalökonomie grundlegend zu ändern. Es umfasst zielgerichtete neue rechtliche Grundlagen, die langwierige Kartellverfahren gegen missbräuchliches Handeln von Tech-Konzernen zukünftig überflüssig machen könnten. Damit könnte das Gesetzespaket in die Fußstapfen der EU-Datenschutzgrundverordnung treten und auch international Nachahmung finden.
Der Weg hin zu einer wirklich fairen Digitalwirtschaft ist allerdings noch weit und es bleibt abzuwarten, wie das Digital Service Package im Laufe des Gesetzgebungsprozesses noch verändert wird. Mit einer Verabschiedung ist frühestens in zwei Jahren zu rechnen. Bis dahin gilt es nun, den politischen Konflikt um die digitalen Märkte nicht den Lobbyisten von Big Tech zu überlassen, sondern progressive Stimmen von Bürgerrechtler*innen, Plattformnutzer*innen und der von den Plattformen abhängigen Unternehmen aktiv in den Prozess einzubringen, um das Vorhaben zu schärfen oder jedenfalls nicht zu verwässern. Fest steht: Ohne zusätzliche unabhängige Kontrollen auch von mittelgroßen Plattformen, strukturellen Entflechtungen sowie offene und interoperable Datenstandards wird die Machtkonzentration von Big Tech weiter zunehmen.
[1] Philipp Staab, Digitaler Kapitalismus. Markt und Herrschaft in der Ökonomie der Unknappheit, Berlin 2019.
[2] Pat Garofalo, Matt Stoller und Olivia Webb, Understanding Amazon: Making the 21st-Century Gatekeeper Safe for Democracy, in: „American Economic Liberties Project”, Working Paper Series on Corparate Power #5, 2020, www.economicliberties.us.
[3] Dominik Piétron, Digitale Souveränität durch Interoperabilität. Zur Möglichkeit dezentraler sozialer Netzwerke in der Plattformökonomie, in: WISO Direkt 24/2019, Friedrich-Ebert-Stiftung, https://library.fes.de.
[4] European Parliament, DRAFT REPORT with recommendations to the Commission on a Digital Services Act: adapting commercial and civil law rules for commercial entities operating online (2020/2019(INL)), www.europarl.europa.eu.