
Bild: Bildungsministerium Bettina Stark-Watzinger, 21.5.2022 (IMAGO / Christian Ditsch)
Die prekären Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft sorgen seit Jahren für Protest vonseiten junger Wissenschaftler:innen. Im Fokus ihrer Kritik steht das enorme Ausmaß befristeter Beschäftigung im Wissenschaftsbetrieb. Doch geändert hat sich an dieser Situation bislang kaum etwas, obwohl man sich parteiübergreifend einig darüber ist, dass etwas geschehen muss: Auch die Ampelkoalition hat dies in ihrem Koalitionsvertrag festgehalten.[1] Im März legte das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) nun ein Eckpunktepapier zur Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) vor.[2] Das Papier soll die Grundlage für einen Gesetzentwurf bilden, den die Regierung im Herbst vorstellen will. Doch kaum war das Papier veröffentlicht, liefen betroffene Wissenschaftler:innen, solidarische Professor:innen und sogar die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) Sturm. Denn wie auch schon bei früheren Reformen ermöglicht das Eckpunktepapier den Hochschulen einen breiten Interpretationsspielraum, den sie – so die Befürchtung – zulasten der Beschäftigten auslegen könnten.
Doch von vorn: Anders als in anderen Arbeitsbereichen ist die befristete Anstellung im Wissenschaftsbetrieb die Regel; 2020 betraf das fast 82 Prozent des akademischen „Mittelbaus“, also alle unterhalb einer Professur Beschäftigten.[3] Die durchschnittliche Dauer eines Arbeitsvertrags beträgt dabei nur rund zwei Jahre, ein Fünftel bis ein Viertel der Arbeitsverträge hatte 2020 sogar nur eine Laufzeit von maximal einem Jahr.[4] Dieser Zustand bindet bei den Betroffenen enorme Ressourcen für regelmäßige Bewerbungen sowie Forschungsanträge und führt zu großen Unsicherheiten und psychischen Belastungen. Karriere- und Familienplanung werden dadurch erheblich erschwert, was nachweisbar vor allem junge Frauen davon abhält, sich auf die Ungewissheiten einer akademischen Laufbahn einzulassen. Unter diesen Arbeitsbedingungen leidet nicht zuletzt auch die Qualität der wissenschaftlichen Arbeit: So entscheiden sich viele Nachwuchswissenschaftler:innen Berichten zufolge für oberflächlichere und weniger hinterfragende Herangehensweisen.
Verantwortlich für diesen Zustand ist das im Jahr 2007 verabschiedete WissZeitVG, mit dem ein Sonderbefristungsrecht für Hochschulen eingeführt wurde: Befristungen sind grundsätzlich möglich, während sich Angestellte qualifizieren. Wann genau dies der Fall ist, wurde im Gesetz allerdings inhaltlich nicht präzisiert und wird von den Hochschulen sehr weitreichend ausgelegt – selbst Lehrtätigkeiten, Projektmanagement oder die Mitwirkung an Anträgen werden als qualifizierende Tätigkeiten gewertet und damit Befristungen begründet. Bislang sind Befristungen zudem auf insgesamt zwölf Jahre begrenzt, auf je maximal sechs vor und nach dem Abschluss einer Promotion – danach darf es keine weitere befristete Anstellung an Hochschulen jenseits einer Professur geben. Und diese sind bekanntlich rar. Eine signifikante Ausnahme stellt lediglich die Arbeit in Drittmittelprojekten dar, die durch externe Mittelgeber:innen wie etwa Stiftungen, Ministerien oder die Deutsche Forschungsgemeinschaft finanziert werden.
Bereits vor zwei Jahren sorgten junge Nachwuchswissenschaftler:innen mit ihrem Protest an diesen Zuständen unter dem Hashtag #ichbinHanna bundesweit für Aufmerksamkeit. Ihre Kritik entzündete sich damals an einem Video des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF). Es handelte von der fiktiven Wissenschaftlerin Hanna und irritierte deshalb so stark, weil die üblichen, aber stark umstrittenen Befristungspraktiken im Wissenschaftsbetrieb explizit gerechtfertigt wurden. Zugleich vermittelte das Video die Botschaft, dass, wer eine dauerhafte Beschäftigung einfordere, Innovation verhindere und zudem egoistisch gegenüber nachfolgenden Jahrgängen handele, da er oder sie das System „verstopfe“. Unter #ichbinHanna berichteten tausende Wissenschaftler:innen in den sozialen Medien von ihren persönlichen Problemen mit und ihrem Scheitern an der Prekarität im deutschen Wissenschaftssystem.[5] Wie selten zuvor sensibilisierten sie damit eine breite Öffentlichkeit für die prekären Arbeitsbedingungen im Wissenschaftsbetrieb.
Doch trotz der massiven Kritik verteidigt die Bundesregierung diese Befristungsmöglichkeiten in der Wissenschaft weiterhin – und zwar als einen Schlüssel dafür, eine permanente personelle Fluktuation zu gewährleisten, die hierzulande als essenziell für wissenschaftliche Innovation gilt: Selbst promovierte Wissenschaftler:innen werden nicht als Angestellte gesehen, die Daueraufgaben der Hochschulen – wie Lehre, Verwaltung, Kommunikation, Gremientätigkeit und Forschung – übernehmen sollen, sondern primär als Personen, die Qualifikationen mit dem Ziel der Professur oder einer Tätigkeit außerhalb der Wissenschaften erwerben und dabei fortwährend „innovativ“ sein sollen.
Befristungen als Innovationsmotor?
Dass Wissenschaft auch das Bohren dicker Bretter sein kann und muss, wird dabei ebenso ausgeblendet wie die Notwendigkeit einer kontinuierlichen, qualitativ gut abgesicherten Lehre, deren Träger:innen sich nicht permanent um ihre Zukunft sorgen müssen – und das ausgerechnet in einer Lebensphase, in die neben dem Berufseinstieg oft auch die Familienplanung fällt. Diese aber stellen zu viele Akademiker:innen noch immer viel zu lange hinten an.
Zwar hat die Bundesregierung 2015 selbst eingeräumt, dass „der Anteil von Befristungen – insbesondere über sehr kurze Zeiträume – ein Maß erreicht hat, das weder gewollt war noch vertretbar erscheint.“[6] Aus diesem Grund versuchte die damalige große Koalition bereits 2016 die negativen Folgen des WissZeitVG durch eine Gesetzesnovelle einzudämmen. Dabei nahm sie zwar behutsame Anpassungen mehrerer Detailregelungen vor, behielt jedoch die grundsätzliche Konstruktion des Gesetzes bei und griff auf vage Formulierungen zurück, die von den Hochschulen häufig zuungunsten ihrer Mitarbeitenden ausgelegt werden. Weder die offizielle Evaluation noch mehrere weitere Untersuchungen des Vorhabens konnten in der Folge wesentliche Verbesserungen im Wissenschaftsbetrieb erkennen – die Befristungsquote blieb unverändert, während die Vertragslaufzeiten lediglich leicht anstiegen.
Darüber, dass es weiteren Reformbedarf gibt, herrscht mittlerweile ein breiter politischer Konsens. So ist man sich parteiübergreifend weitgehend einig, dass Promovierende grundsätzlich befristet angestellt werden dürfen und es für diese – angesichts einer durchschnittlichen Promotionszeit von rund sechs Jahren[7] – bei erstmaligen Arbeitsverträgen eine Mindestbefristungszeit von wenigstens drei bis vier Jahren geben muss. Dies spiegelt sich auch in dem jüngst vorgelegten Eckpunktepapier des BMBF wider, allerdings nur als eine „Soll“-Bestimmung, von der die Hochschulen auch abweichen können. Und nicht zuletzt daran entzündete sich nun wieder massive Kritik.
Insbesondere die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) möchte flexible Befristungsmöglichkeiten weitestgehend bewahren. Sie sieht nur für eine Minderheit der Promovierten die Möglichkeit einer Daueranstellung und möchte daher vielmehr eine „Vorverlegung der Karriereentscheidung“[8] erreichen. Sprich: Mehr Wissenschaftler:innen als bisher sollen bereits frühzeitig mehr oder weniger freiwillig auf eine Karriere in der Wissenschaft verzichten. In diese Richtung weist auch der Koalitionsvertrag, wonach man „frühzeitiger Perspektiven für alternative Karrieren schaffen“ will.
Mehr Druck auf Promovierte
Angesichts des bestehenden erheblichen Mehrbedarfs an Personal, insbesondere in der Lehre, die vielerorts zu einem großen Teil von freiberuflichen – und teilweise sogar unbezahlten (!) – Lehrbeauftragten übernommen wird, muss dies massiv irritieren. Die bisherigen Pläne der Bundesregierung sehen vor, den Druck auf Promovierte sogar noch zu erhöhen, wie aus dem Eckpunktepapier hervorgeht: Konnten diese bislang bis zu sechs Jahre befristet angestellt werden, sollen es nach der Reform nur noch drei Jahre sein. Dass die in vielen Disziplinen für eine Universitätsprofessur immer noch erforderliche Habilitation in so kurzer Zeit absolviert werden kann, ist jedoch hochgradig unrealistisch. Entsprechend könnte eine solche Maßnahme die ohnehin schon enorme Konkurrenz um die wenigen Juniorprofessuren noch weiter erhöhen. Das gilt auch für Professuren an sogenannten Hochschulen für angewandte Wissenschaften (HAW), für die keine Habilitation benötigt wird.
Zwar will die Bundesregierung laut Koalitionsvertrag „auf mehr unbefristete Beschäftigung hinwirken“, unklar bleibt allerdings, wie und vor allem in welchem Umfang dies geschehen soll. Es deutet sich also an, dass bei einer Umsetzung des jüngsten Vorschlags ein größerer Teil der Wissenschaftler:innen die Hochschulen zu einem früheren Zeitpunkt verlassen muss, während die Zahl der dauerhaft angestellten Wissenschaftler:innen lediglich moderat steigt – wenn überhaupt. Tatsächlich wären entscheidende Maßnahmen, die den Hochschulen einen Personalzuwachs ermöglichen und die Abhängigkeit von Drittmitteln abschwächen würden, auf Investitionen der Länder angewiesen. Letzteres empfiehlt auch der Wissenschaftsrat, der Bundes- und Landesregierung in wissenschaftspolitischen Fragen berät.[9] Zusätzliche Investitionen scheitern jedoch nicht zuletzt am „Fetisch der schwarzen Null“[10] und an der Schuldenbremse, die insbesondere die FDP-Bundestagsfraktion dogmatisch verteidigt, die aber auch SPD und Grüne trotz aller gegenwärtigen Herausforderungen nicht infrage stellen.
Dabei ist das Problem der Befristungen mit zahlreichen weiteren kritischen Phänomenen in der Wissenschaft eng verzahnt: So nehmen viele Nachwuchswissenschaftler:innen aufgrund des hohen Drucks, am Ende zu den wenigen Sieger:innen beim Wettlauf um eine Professur zu gehören, regelmäßig unbezahlte Mehrarbeit in Kauf und beugen sich zudem den familienfeindlichen Mobilitätserwartungen, wenn häufige Hochschulwechsel auch einen Umzug in eine andere Stadt erfordern.
Ohne Protest keine Verbesserungen
Zudem sind öffentlich finanzierte Promotionsstipendien oft viel zu niedrig bemessen und haben mit in der Regel maximal drei Jahren Förderung eine zu kurze Laufzeit. Zugleich scheitern sie nach wie vor daran, strukturelle Diskriminierungen im Wissenschaftssystem auszugleichen, und versäumen es zu oft, Personen aus marginalisierten Bevölkerungsgruppen zu fördern.[11] Den finanziellen Fördermöglichkeiten etwa durch BAföG und Stipendien liegen überdies politisch festgelegte Qualifikationszeiträume – drei Jahre für ein Bachelor- und zwei für ein Masterstudium sowie drei Jahre für eine Promotion – zugrunde, die mit den tatsächlich benötigten Zeiträumen oft kaum etwas zu tun haben.
Nötig und überfällig ist also nicht nur ein Abschied vom WissZeitVG, sondern ein wissenschaftspolitischer Paradigmenwechsel im Interesse von Angestellten und Studierenden sowie der Qualität ihrer Arbeit und Ausbildung. Dies kann nur gelingen, wenn man sich endlich von der neoliberalen Vorstellung einer „unternehmerischen Universität“ verabschiedet – den Willen dazu lässt die Bundesregierung bislang allerdings nicht erkennen. Immerhin hatte der breite und scharfe Protest gegen das Eckpunktepapier zur Reform des WissZeitVG den Effekt, dass das Kultusministerium die besonders unbeliebte Regelung zur Höchstbefristungsdauer von Postdocs neu diskutieren will.
Während die Bundesregierung auf die Länderverantwortung verweist, bleiben dort mutige Initiativen weitgehend aus. Hoffnung machte allein das ambitionierte Hochschulgesetz, dass das rot-grün-rote Berliner Abgeordnetenhaus 2021 verabschiedete. Dieses sieht die Einrichtung von Dauerstellen für Postdoktorand:innen vor, die sich beispielsweise im Rahmen eines Habilitationsverfahrens qualifizieren. Doch der Initiative schlug ein mitunter schriller Widerstand entgegen; ein von CDU und FDP angestrengtes Normenkontrollverfahren ist derzeit noch beim Berliner Verfassungsgerichtshof anhängig. Die sich abzeichnende CDU/SPD-Koalition hat bereits angekündigt, die innovativen Regelungen wieder zurückzunehmen. Für die Nachwuchswissenschaftler:innen verheißt all das nichts Gutes. Fest steht: Ohne weitere Empörung und Vernetzung wird es keine Verbesserungen geben. Dabei sollten sich die jungen Wissenschaftler:innen ein Beispiel an den noch prekärer beschäftigten Studierenden nehmen, die mit Verweis auf eine berlinweite tarifliche Regelung aktuell für bundesweite Verbesserungen kämpfen.
[1] SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP: Mehr Fortschritt wagen. Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit. Koalitionsvertrag, Berlin 2021, S. 23.
[2] Bundesministerium für Bildung und Forschung, Reform des WissZeitVG – Wesentliche Inhalte im Überblick, www.bmbf.de, 17.3.2023.
[3] Matthias Kuhnt, Tilman Reitz und Patrick Wöhrle: Arbeiten unter dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz: Eine Evaluation von Befristungsrecht und -realität an deutschen Universitäten. Dresden 2022, S. 35.
[4] Jörn Sommer u.a., Evaluation des novellierten Wissenschaftszeitvertragsgesetzes, Berlin und Hannover 2022, S. 62.
[5] Vgl. Amrei Bahr, Kristin Eichhorn und Sebastian Kubon, #IchBinHanna. Prekäre Wissenschaft in Deutschland, Berlin 2022; vgl. dies., #IchBinHanna: Promoviert, habilitiert, perspektivlos, in: „Blätter“, 8/2021, S. 21-24 und auch im Podcast: www.blaetter.de/podcast, 23.7.2021.
[6] Bundesregierung: Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes, BT-DS 18/6489, 28.10.2015, S. 1.
[7] Bundesbericht wissenschaftlicher Nachwuchs 2021. Statistische Daten und Forschungsbefunde zu Promovierenden und Promovierten in Deutschland, Bielefeld 2021, S. 137.
[8] Hochschulrektorenkonferenz, Zur Weiterentwicklung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes. Diskussionsvorschlag der Mitgliedergruppe Universitäten der Hochschulrektorenkonferenz, www.hrk.de, 6.7.2022.
[9] Vgl. Wissenschaftsrat, Strukturen der Forschungsfinanzierung an deutschen Hochschulen. Positionspapier, Köln 2022.
[10] Albrecht von Lucke, Ein Jahr Ampel-Wahl: Die Koalition als Kakophonie, in: „Blätter“, 9/2022, S. 5-8.
[11] Vgl. Gunnar Hinck, Arbeiterkind bleibt Arbeiterkind, www.taz.de, 16.11.2019.