Wie die Fossillobby unsere Zukunft gefährdet

Bild: Das Kraftwerk Jänschwalde im Lausitzer Braunkohlerevier in Brandenburg (IMAGO / Rainer Weisflog)
Wir leben in einer Welt, in der eine vergleichsweise kleine Gruppe von Personen, Unternehmen und Institutionen große Macht ausübt – allen voran die Öl-, Gas- und Kohlebranche, aber auch diesen Branchen gewogene, mit ihnen finanziell verbundene, von ihnen finanzierte oder korrumpierte Medienunternehmer, Politikerinnen und Politiker, Lobbyisten, Wissenschaftler, Agenturen, Anwaltskanzleien, Thinktanks und Stiftungen, Medienschaffende, Prominente, Industrieverbände und einige wenige extrem reiche Menschen. Es ist ein Netzwerk, das durch gemeinsame Interessen und Ziele verbunden ist. Die meisten, die an diesem Netzwerk beteiligt sind, sind Männer. Die Ziele dieser Männer sind erschreckend simpel: Es geht darum, für möglichst lange Zeit möglichst viel Geld damit zu verdienen, fossile Brennstoffe aus der Erde zu extrahieren und zu verkaufen, um so noch reicher und mächtiger zu werden. Es klingt trivial, und das ist es auch.
Allein die fünf größten börsennotierten Erdölproduzenten der Welt, die Unternehmen ExxonMobil (USA), Shell (früher Niederlande, seit 2022 Großbritannien), Chevron (USA), Total (Frankreich) und BP (Großbritannien), machten im Jahr 2022, trotz Coronapandemie, zusammen 200 Milliarden Dollar Gewinn – nicht Umsatz! Sie erreichten damit einen historischen Rekord, und das, obwohl 2022 die katastrophalen Auswirkungen der Erderhitzung bereits weltweit zu besichtigen waren. Trotz aller Reduktionsziele, aller Klimakonferenzen und -abkommen, aller Sonntagsreden. Und selbst diese 200 Milliarden Dollar Gewinn sind nur ein Bruchteil des Geldes, das 2022 mit Öl und Gas verdient wurde, denn die größten Profiteure der heraufziehenden Katastrophe sind nicht etwa börsennotierte Unternehmen, sondern Nationalstaaten. Die meisten davon sind Diktaturen oder Autokratien.
Noch im Oktober 2023, als die Internationale Energieagentur IEA die – halbwegs – gute Nachricht verkündet hatte, dass die Nachfrage nach Öl und Gas um das Jahr 2030 ihren Prognosen zufolge ihren Gipfelpunkt erreichen werde, widersprach die OPEC geradezu erbost. Solche „Narrative“ würden das Energiesystem in die Gefahr bringen, „spektakulär zu scheitern“, so der OPEC-Generalsekretär Haitham Al Ghais. Er warnte vor „Energiechaos von einem potenziell nie dagewesenen Ausmaß, mit schlimmen Konsequenzen für Volkswirtschaften und Milliarden Menschen überall auf der Welt“. Nein, der Mann sprach nicht von den katastrophalen Auswirkungen der von seiner Branche maßgeblich zu verantwortenden Klimakrise, er sprach von der Gefahr für das Geschäftsmodell seiner Branche. Die OPEC erklärte auch – diese Phrase begegnet uns sinngemäß häufig –, der veränderte Blick auf Öl und Gas sei „ideologisch getrieben statt faktenbasiert“. Das ist eine atemberaubende Verdrehung der Tatsachen, denn die Fakten sind glasklar: Öl, Gas und Kohle tragen die Menschheit einer apokalyptischen Zukunft entgegen. „Ideologie“ dagegen hat dazu geführt, dass die fossilen Branchen damit so lange durchgekommen sind.
Es ist längst klar belegt, wie insbesondere die Öl- und Gasbranche, aber auch deutsche Kohlekonzerne wie RWE und LEAG den öffentlichen Diskurs massiv manipulierten, um ihre Geschäfte weiter ungestört betreiben zu können. Sie lügen, betrügen, verschleiern – seit Jahrzehnten. Die Welt weiß längst, dass CO2-Emissionen die Atmosphäre aufheizen, doch insbesondere US-Konzerne finanzierten mit Hunderten von Millionen, wenn nicht Milliarden Dollar über viele Jahre eine oft sehr aggressive Kampagne, um diese Tatsache zu verschleiern. Sie ließen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler attackieren, drängten Politiker aus dem Amt, etablierten das Narrativ, dass es sich bei friedlichem Klimaprotest um „Terror“ handele, verheimlichten Daten, simulierten breite Unterstützung, kauften Studien und vermeintlich unabhängige Fürsprecher.[1]
Dass sie damit inzwischen aufgehört hätten, ist ein Irrtum – lediglich die Strategien haben sie geändert. Bis heute ist in Sachen Klima-, Antriebs- und Energietechnik eine bemerkenswerte Menge an Desinformation im Umlauf. Und es ist klar, wem diese Desinformation nützt. Bis heute gelingt es den Profiteuren der Klimakrise, nicht nur atemberaubende Gewinne mit der fortschreitenden Zerstörung unserer Lebensgrundlagen zu machen, sondern sie bekommen dafür auch noch gewaltige Mengen an Steuergeldern. Das sagen nicht irgendwelche Öko-Aktivistinnen, sondern Fachleute vom Internationalen Währungsfonds (IWF). Zitat aus einem IWF-Bericht: „Die Subventionen für fossile Brennstoffe lagen im Jahr 2022 bei sieben Billionen Dollar oder 7,1 Prozent des (Welt-)Bruttoinlandsprodukts.“ Der Großteil dieser Subventionen, 82 Prozent, sei „implizit“, weil gewaltige Umweltschäden vor allem durch Luftverschmutzung und die Erderwärmung nicht eingepreist und konsumbasierte Steuern nicht erhoben würden. Und selbst dann, wenn man nur die verbleibenden 18 Prozent „expliziten“ Subventionen betrachtet, sind das immer noch 1,26 Billionen, also 1260 Milliarden Dollar Subventionen für die Erhitzung des Planeten. In einem einzigen Jahr.
Meine Vermutung ist, dass den meisten Leserinnen und Lesern diese Ausmaße nicht geläufig sind, selbst dann nicht, wenn sie sich sehr für das Thema Klimakrise interessieren. Das hat seine Gründe. Obwohl die Fakten seit langer Zeit auf dem Tisch liegen, ist es den Profiteuren der Katastrophe gelungen, weite Teile der Menschheit einzulullen und abzulenken.
Die Klimakrise ist da
Die jüngsten Überschwemmungen in Süddeutschland dürften nur ein Auftakt sein. Es gibt jetzt jede Sommersaison so viele Naturkatastrophen, dass man leicht den Überblick verliert. Klar ist, dass 2023 das heißeste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen war. Dabei spielten das Wetterphänomen El Niño auch eine Rolle, außerdem der Rückgang der Luftverschmutzung etwa durch weniger schwefelhaltige Schiffsabgase, aber: „Die globalen Rekordtemperaturen, die wir in diesem Jahr erlebt haben, wären ohne die bisherige Erwärmung um etwa 1,3 Grad Celsius, die auf den Ausstoß von Kohlendioxid und anderen Treibhausgasen aus menschlichen Quellen zurückzuführen ist, nicht möglich gewesen“, so der Klimaforscher Zeke Hausfather. Es passiert in etwa das, was Klimaforscherinnen und -forscher seit langem vorhersagen – nur noch viel schneller. Daran zeigt sich zudem, dass der Weltklimarat IPCC genau das Gegenteil dessen tut, was seine Kritiker ihm stets vorwerfen: Er ist alles andere als „alarmistisch“, sondern in seinen Prognosen immer sehr zurückhaltend und konservativ.
Und wir stehen erst am Anfang der Klimakrise. Klimabedingte Kata-strophen vernichten schon jetzt Jahr für Jahr Milliardenwerte und töten mindestens Tausende, vermutlich eher Zehntausende von Menschen und ein Vielfaches an Tieren. Teile Südeuropas werden sich in absehbarer Zeit in Wüsten- oder Steppenlandschaften verwandeln, Teile Afrikas, Asiens, Indiens und auch Nordamerikas könnten unbewohnbar werden. Die Wanderungsbewegungen der Gegenwart, von denen sich industrialisierte, reiche Regionen wie Nordamerika oder Europa schon heute überfordert fühlen, werden sich im Vergleich zu dem, was bevorsteht, winzig ausnehmen. Es ist wichtig, all das im Hinterkopf zu haben, wenn man sich mit den Profiteuren der Katastrophe und ihren Methoden beschäftigt. Erst dann werden der atemberaubende Zynismus und die Skrupellosigkeit deutlich, mit denen sie jahrzehntelang vorgegangen sind und weiterhin vorgehen.
UN-Generalsekretär António Guterres hat einmal gesagt: „Neue Investitionen in Exploration und Förderinfrastruktur für fossile Brennstoffe sind Wahnsinn.“ Das ist, objektiv betrachtet, absolut korrekt. Und gleichzeitig ist es, objektiv betrachtet, genau das, was passiert. Durch das immer schnellere Wachstum der erneuerbaren Energien und der Elektromobilität sowie andere Faktoren wächst parallel aber das Risiko für die Öl- und Gasbranche, dass sich ihre Investitionsgüter in stranded assets, also in abzuschreibende Investitionsgüter verwandeln. Eine Studie, die schon 2021 in „Nature Energy“ erschien, enthält die Schlussfolgerung, dass diese Entwicklung bis 2036 Investitionsgüter „zwischen sieben und elf Billionen US-Dollar“ betreffen könne – nur auf Basis der bestehenden Klimaziele diverser Staaten. Deshalb führen die Profiteure der Katastrophe einen zunehmend aggressiven Abwehrkampf gegen die weiterhin meist reichlich harmlosen Versuche von Politik und Zivilgesellschaft, ihren (selbst-)zerstörerischen Geschäftsmodellen per Regulierung langsam den Boden zu entziehen. Wir wissen sehr genau, was zu tun ist. Und es ist sogar viel billiger als das, was wir jetzt tun. Dass wir Energieversorgung und Transport nicht viel schneller umstellen, ist ein mit viel Geld und Desinformation herbeilobbyierter Erfolg der Männer, die die Welt verbrennen.
Viele Freunde fossiler Brennstoffe sind sich auch in anderen Fragen bemerkenswert einig. Was etwa den Umgang mit Homosexuellen, mit Transmenschen, was die Haltung zu Frauenrechten oder Antidiskriminierung angeht, fänden Wladimir Putin, Mohammed bin Salman, Rupert Murdoch und viele US-Republikaner mühelos Gemeinsamkeiten. Weil die alte, fossil angetriebene, männerdominierte Welt mit ihren Machtstrukturen bedroht scheint, können sich die reaktionären Profiteure fossiler Brennstoffe auch leicht auf reaktionäre Positionen in gesellschaftlichen Fragen verständigen.
Dennoch: In erster Linie geht es nicht um politische Ideologien, es geht um die Verteidigung fossiler Geschäftsmodelle. Da sind sich in Deutschland so unterschiedliche Akteure wie der FDP-Politiker Frank Schäffler und viele andere in seiner Partei, Springer-Chef Mathias Döpfner, Ex-Kanzler Gerhard Schröder von der SPD, CDU-Politiker wie Friedrich Merz und Jens Spahn und sogar die ehemalige Linke Sahra Wagenknecht auf einmal einig.
Es ist in diesem Zeitalter der Verschwörungserzählungen besonders schwer, all das einzugestehen: dass es einer eher kleinen Gruppe, die aus reinem Eigennutz und extremer Kurzsichtigkeit heraus handelt, gelungen ist, einen relevanten Teil der Bevölkerung der westlichen Demokratien massiv und über Jahrzehnte hinweg in die Irre zu führen. Und dass sehr viele bereit waren, sich einlullen zu lassen oder zumindest die so erreichte Verzögerung ohne allzu großen Widerstand hinzunehmen. Wenn Monsterstürme, mörderische Hitzewellen, Dürreperioden und sterbende Ökosysteme aber erst einmal so allgegenwärtig geworden sind, dass auch die hartnäckigsten Klimawandelleugner nicht umhinkommen, die Realität der menschengemachten Erderhitzung zu akzeptieren, wird es zu spät sein. Die Katastrophe abzuwenden, erfordert eine gewaltige globale Anstrengung. An ihrem Ende wird eine lebenswertere Welt stehen. Aber bis es so weit ist, werden viele Menschen rund um den Globus die notwendige Veränderung als das Problem, nicht als die Lösung wahrnehmen. Und sei es nur, weil sie das wahre Problem immer noch nicht sehen oder sehen wollen. All das hat, so bitter es ist, vor allem mit einem zu tun: Geld.
Menschen sind umso weniger willens, ihr Verhalten zu ändern, je weiter die vermuteten Konsequenzen des Nichthandelns entfernt scheinen, zeitlich wie räumlich. Umgekehrt entscheiden sie sich lieber für eine kleinere, aber kurzfristig zu erwartende Belohnung als für eine, auf die sie länger warten müssen. Noch stärker wird dieser Effekt, wenn auch nur ein Hauch Unsicherheit über die zu erwartenden Folgen herrscht. Aus diesem Grund waren die Fossilbranchen und ihre Verbündeten mit der so beliebten Strategie „Zweifel säen“ über viele Jahre erfolgreich – und sind es gelegentlich bis heute, auch wenn sie nicht mehr so offen agieren. Das ist auch in Deutschland zu beobachten. Die Achse der Freunde fossiler Geschäftsmodelle reicht weit hinein in die deutsche Politik.
Die deutschen Verzögerer und ihre Methoden
Ein in mehrfacher Hinsicht symptomatisches und auch politikwirksames Beispiel ist der FDP-Bundestagsabgeordnete Frank Schäffler. Er war federführend und erfolgreich bei dem Vorstoß, das 2023 geplante Gebäudeenergiegesetz so zu entkernen, dass es für die Gasbranche erst viel später Einbußen verursacht. Er stellte sich dafür sogar gegen seine Parteiführung und blamierte sie öffentlich – nach einem Parteitag im April 2023 musste Finanzminister Christian Lindner, der FDP-Vorsitzende, eine mit den Koalitionspartnern SPD und Grüne bereits getroffene Vereinbarung wieder aufkündigen. Schäffler brachte einen Dringlichkeitsantrag ein, gemeinsam mit 30 anderen aus der FDP-Bundestagsfraktion. Am Ende stimmten die Liberalen fast einstimmig für diesen Antrag, und die FDP kündigte die im Koalitionsausschuss getroffene Vereinbarung zum sogenannten Gebäudeenergiegesetz wieder auf. Schäffler hatte das unausweichliche Ende der Gasheizung in Deutschland erfolgreich hinausgeschoben.
Sein Antrag war mit einem Feigenblatt versehen: Der Gebäudesektor, also auch das Heizen, solle früher in den Emissionshandel einbezogen werden. Damit wäre Heizen mit Öl und Gas schneller teurer geworden, der Umstieg auf klimaneutrale Lösungen attraktiver. Doch auf dem Parteitag kassierte Lindner diesen Teil des Antrags wieder mit der Bemerkung, das sei leider „technisch und politisch nicht mehr möglich“. Ein Schachzug im Stil von Charles Koch[2]: Die eine Maßnahme ist leider nicht umsetzbar, die andere auch nicht, also machen wir weiterhin möglichst wenig von dem, was die Geschäftsmodelle der Fossilbranchen in irgendeiner Form tangieren könnte.
Schäffler wäre generell ein Mann nach Kochs Geschmack. Der FDP-Abgeordnete hat öffentlich zuletzt 2014 die Klimakrise geleugnet, in einem Beitrag fürs Handelsblatt („Ich bin ein Klimaskeptiker“). Der sehr aggressive Text enthält lauter Talking-Points, die heute noch gängig sind: „Klimahysterie“, „Schuldkomplex“, „Umerziehungsversuche“, „Klimareligion“. Die Verbindungen zwischen der Welt Kochs und der Schäfflers reichen aber weiter. Schäffler tritt beim Ludwig von Mises Institut Deutschland auf. Das amerikanische Mutterschiff wurde in den frühen Achtzigern von Leuten gegründet, denen Kochs libertäre Thinktanks nicht radikal genug waren. Bis 2021 war Schäffler auch Mitglied der Friedrich A. von Hayek Gesellschaft, der selbst ihre eigenen Mitglieder schon 2015 vorwarfen, „Staatshasser“ und „rechte, reaktionäre Kräfte“ zu dulden. Der Chef-Klimawandelleugner in der AfD, Michael Limburg, ist indes bis heute Mitglied und hält für die Hayek-Gesellschaft Vorträge zu Klimathemen. Sie gehört zum von Koch, ExxonMobil und anderen finanzierten Atlas-Netzwerk.[3] Es geht den Mitgliedern des Atlas-Netzwerks im Kern immer um die Ideologie von möglichst unregulierten Märkten als Heilsbringer. Die Anhänger dieser Ideologie betrachten die Überlegenheit solcher unregulierter Märkte als gewissermaßen gottgegebenes Gesetz. Physik dagegen behandeln sie gern als verhandelbar (oder sie leugnen einfach deren Aussagekraft). Interessant ist das vor dem Hintergrund, dass all die neoliberalen „klimaskeptischen“ Thinktanks und ihre Verbündeten auf dem politischen Parkett allen, die die Klimakrise ernst nehmen, gerne „Ideologie“ unterstellen.
Physik und Ideologie
Tatsächlich ist es genau umgekehrt: Die Klimaforschung basiert auf Physik, und Physik verhandelt nicht. Wenn wir nicht aufhören, CO2 zu emittieren, führt das in die Katastrophe, das ist unzweifelhaft. Neoliberale Ideologie dagegen erhebt den Anspruch wissenschaftlicher Allgemeingültigkeit, ist aber längst empirisch an der Realität gescheitert. Dieser Denkrichtung verdanken wir schließlich die Tatsache, dass der Planet sich auf einem Entwicklungspfad befindet, der die menschliche Zivilisation ins Verderben stürzen könnte. Auch deshalb, weil viele ihrer Wortführer jahrzehntelang darauf beharrten, dass man sich auf die Erkenntnisse der – empirischen, physikalisch begründeten – Klimaforschung nicht verlassen könne.
Auch der „Klimareferent“ der FDP im Jahr 2023, Steffen Hentrich, vertritt öffentlich Klimaskeptiker-Positionen, wie das ZDF offenlegte. Hentrich trat beispielsweise bei dem ebenfalls mit den Koch-Netzwerken verbandelten Klimaleugner-„Institut“ EIKE auf. Dieser Einrichtung hört heute sonst nur noch die AfD zu, ihr Vizepräsident ist der AfD-Politiker Michael Limburg. Ein anderes Mal war Hentrich beim Committee for a Constructive Tomorrow (CFACT) zu Gast, einer bekannten Klimawandelleugner-Organisation. CFACT-Großspender: der Donors’ Trust und die Stiftung der Koch-Brüder, daneben Exxon und diverse andere „konservative“ Stiftungen aus den USA. Selbstverständlich gibt es auch Bezüge von CFACT zum Atlas-Netzwerk.
Bis heute existiert ein internationales Bündnis mit dem Ziel, ultralibertäre Zustände zu erreichen und Klimaschutz so weit wie möglich zu verhindern. Wenn man das öffentlich macht, reagieren die Betroffenen sehr empfindlich: Als ich die Überschneidungen zwischen den Zielen des Koch-Netzwerks und Schäfflers Positionen in einer Spiegel-Kolumne darlegte, produzierten Schäffler und einige libertäre Freunde eine Podcast-Folge mit der Behauptung, es handele sich hierbei um einen „unehrenhaften Angriff auf Andersdenkende“. Dabei handelt es sich schlicht um Fakten. Mittlerweile hat Schäffler, für einen FDP-Hinterbänkler eher untypisch, es sogar zu internationalem Ruhm geschafft: Er taucht im Einstieg eines langen, sehr lesenswerten Enthüllungsartikels auf, der 2023 parallel im mehrfach ausgezeichneten Klima-Rechercheprojekt „Drilled“ und dem renommierten US-Politikmagazin „The New Republic“ erschien. Unter der Überschrift „Das ist das zwielichtige internationale Netzwerk, das Klimaprotestierende verteufelt“, skizzieren Amy Westervelt und Geoff Dembicki die Entstehung des Netzwerks rechtslibertärer klimawandelleugnender Thinktanks seit den Sechzigerjahren. Der Text weist nach, dass dem Atlas-Netzwerk zuzuordnende Thinktanks und andere Organisationen schon in den Siebzigerjahren rund um die Welt begannen, Umweltproteste für Terror zu erklären. Schäffler, der die Straßenblockaden der Letzten Generation immer wieder mit „Terrorismus“ gleichsetzt (wenn Bauern mit ihren Traktoren Straßen blockieren, tut er das nicht), sei „nur das jüngste Beispiel“ für die Strategie, Umweltproteste zu kriminalisieren und zum Terrorismus zu erklären. Die gleiche Strategie weist das Autorenteam in Südamerika, Großbritannien, Kanada, Australien und den USA nach, immer ausgehend von Akteuren aus dem Atlas-Umfeld.
Prometheus und die Familienunternehmer
Frank Schäffler selbst hat 2013 das Prometheus-Institut gegründet, dessen Finanziers er nicht transparent machen will. Es gehört ebenfalls zum Atlas-Netzwerk. In einem „Zeit“-Artikel über Schäffler ist nachzulesen, das amerikanische Cato Institute sei bei der Prometheus-Gründung ein explizites Vorbild gewesen, eine der Schaltzentralen der libertär verbrämten Klimawandelleugnung in den USA also. Schäffler verweist zur Frage der Finanzierung seines Instituts stets auf „ein paar Familienunternehmen“. Das ist eine interessante Wendung vor dem Hintergrund, dass Schäffler auch Mitglied des „Strategischen Beirats“ des Unternehmensverbands „Die Familienunternehmer“ ist. Diese Organisation betreibt intensives, aggressives Lobbying, insbesondere gegen jede Art von zusätzlicher Besteuerung.
Ein Pionier des sogenannten corporate veil, also der Verschleierung von Konzernstrukturen in Privatunternehmen, ist – wer sonst? – Charles Koch. Ganz im Stil des Koch-Netzwerks in den USA bekämpfen die „Familienunternehmer“ auch erbittert jede Form der Klimaregulierung. Dabei gebrauchen sie gern den Kampfbegriff, der 2023 auch in Teilen von Union, FDP und auch der AfD immer wieder gegen Klimapolitik eingesetzt wurde: „Planwirtschaft“. So wollte ein Funktionär namens Gerald Linke mitten in der Debatte über das Heizungsgesetz im Frühjahr 2023 einen „planwirtschaftlichen Kurs bei der Wärmewende“ erkannt haben, weil neue Heizungen künftig – wie bereits im Koalitionsvertrag von 2021 festgelegt – mit 65 Prozent erneuerbarer Energie betrieben werden sollen.
Wer ist Gerald Linke? Der Vorstandsvorsitzende des Deutschen Vereins des Gas- und Wasserfachs, eines Verbands also, in dem deutsche Gasversorger wie diverse Stadtwerke organisiert sind. Der Fall zeigt, wie tief die Verzahnung der fossilen Lobby mit den deutschen Kommunen reicht. So waren fast 100 Stadtwerke und regionale Energieversorger in der Lobbyvereinigung „Zukunft Gas“ Mitglied. Das hat handfeste Konsequenzen: „Insgesamt flossen über die Jahre Millionen Euro von Stadtwerke-Kundinnen und -Kunden in Kampagnen und Werbung im Interesse von Gaskonzernen“, berichtete „Correctiv“ im Herbst 2023. Nach heftiger Kritik von Organisationen wie Lobbycontrol begann sich daran etwas zu ändern: Bis Mitte Oktober waren 21 Stadtwerke aus dem Lobbyverband ausgetreten, zu dessen Mitgliedern auch Unternehmen wie Wintershall, Shell und TotalEnergies gehören. Noch im Januar 2022, kurz vor Beginn des Ukrainekrieges, stand auf der Mitgliederliste ein weiteres Unternehmen: Gazprom NGV Europe.
Erfolgreiche Verzögerungsstrategie
Ein weiteres Beispiel für die auch in Deutschland agierenden Lobbykräfte ist die sogenannte Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM). Sie hat im Jahr 2019 zum Beispiel das, vorsichtig formuliert, umstrittene Papier „12 Fakten zur Klimapolitik“ veröffentlicht. Das Papier als Ganzes macht die weiterhin aktuelle Strategie großer Teile der deutschen Industrie in Sachen Klima deutlich. Sie sieht ungefähr so aus: Man muss den menschengemachten Klimawandel als Faktum akzeptieren und als Problem anerkennen. Offen Zweifel am Klimawandel säen wirkt inzwischen peinlich. Man muss den notwendigen Wandel also anders bremsen, zum Beispiel, indem man Zweifel an den Gegenmaßnahmen sät. So wie Charles Koch, Frank Schäffler oder Jens Spahn. Oder die OPEC. Oder die „Familienunternehmer“.
Die wichtigste wissenschaftliche Publikation zum Verständnis dieser mit strategischer Desinformation geführten politischen Debatte über Klimapolitik ist 2020 im Fachjournal „Global Sustainability“ erschienen. Die Publikation, an der auch Autorinnen und Autoren aus Deutschland beteiligt sind, zerlegt die Verzögerungsdiskurse in vier grobe Kategorien: 1. „Es ist nicht möglich, die Folgen des Klimawandels abzumildern: Kapitulation.“ 2. „Andere sollen zuerst etwas unternehmen: Abwälzen von Verantwortung.“ 3. „Disruptiver Wandel ist unnötig: Forcieren nicht transformativer Lösungen.“ 4. „Die Veränderungen werden tiefgreifend sein: Hervorheben der Kehrseiten.“
In der deutschen Debatte des Jahres 2023 rund um das Klima und die Energiepolitik waren fast alle in dem Fachartikel beschriebenen Strategien zu beobachten. Friedrich Merz warb für CO2-Speicherung, obwohl die himmelweit von der tatsächlichen Marktreife entfernt ist. Jens Spahn ließ bei einem einzigen Talkshow-Auftritt CO2-Speicherung, E-Fuels und Kernfusion gleichzeitig aufmarschieren. In derselben Sendung wiederholte Spahn die bei Verzögerungstaktikern sehr beliebte Behauptung, Deutschland sei nur für zwei Prozent der globalen CO2-Emissionen verantwortlich („Abwälzen von Verantwortung“). Die FDP wiederum preist abwechselnd Fusionskraftwerke und E-Fuels an. Tatsache ist: Weder Fusionskraftwerke noch Carbon Capture and Storage (CCS) oder Direct Air Capture (DAC) für CO2 sind auch nur annähernd marktreif. Union und FDP führen mit Grund einen lehrbuchhaften Verzögerungsdiskurs: Sie haben selbst einfach keine Vorschläge. FDP-Politiker sprechen öffentlich immer gern von einem höheren CO2-Preis, damit der Markt den Rest regele. Politisch tat die Partei dafür aber bislang wenig. Das würde nämlich vieles teurer machen, und das heimliche Versprechen ist ja: Eigentlich muss sich gar nichts ändern. Verdreht wurde auch über das Zukunftsthema „Wärmepumpe“ gesprochen, als im Frühjahr 2023 das deutsche Unternehmen Viessmann seine Klimasparte für zwölf Milliarden Dollar an den US-Konzern Carrier verkaufte – übrigens 20 Prozent davon in Form von Carrier-Aktien. Der Deal war in Wahrheit ein Signal für die Stärke des Unternehmens und für das gewaltige Wachstumspotenzial in der für die Klimaneutralität so wichtigen Zukunftstechnologie Wärmepumpe. Bei der FDP entdeckte man trotzdem Anzeichen für „unzulängliche Standortpolitik“ und warnte vor „chinesischen Wärmepumpen“. Und Jens Spahn beklagte, die große Nachfrage erzeuge „großen Druck auf deutsche Hersteller“. Bei Union und FDP kann man augenscheinlich schmerzfrei zwei konträre Positionen problemlos gleichzeitig vertreten: Wärmepumpen werden zu schnell billiger – schlecht für die deutsche Industrie! Wärmepumpen sind zu teuer – schlecht für die Verbraucher!
Das Zeitalter des Lichts hat begonnen, das des Feuers muss enden
Trotz erbitterten Widerstands diverser Industrien sind wir jetzt so weit, dass wir das Zeitalter des Feuers hinter uns lassen können. Energie aus Wind, Schwerkraft und vor allem der Sonne ist mittlerweile konkurrenzlos billig, zudem viel effizienter und vielseitiger einsetzbar. Der zwangsläufige Wechsel hin zu erneuerbaren Energien, mit denen man nicht nur Autos laden und Elektrogeräte betreiben, sondern auch Wasserstoff, CO2-neutralen Flugzeugtreibstoff und sogar Kunststoffe herstellen kann, wird die globale Wirtschaftslandkarte verändern. Australien mit seinen riesigen sonnendurchfluteten Flächen dürfte am Ende zu den Gewinnern gehören, genauso wie andere Länder, in denen oft die Sonne scheint, sich selten Wolken zeigen, die über hoch liegende Gebiete und saubere Luft verfügen. Zu den – theoretischen – Topstandorten für Sonnenstrom gehören neben Chile, das all diese Voraussetzungen erfüllt, auch Namibia, Jordanien, Ägypten, Jemen, Oman, Saudi-Arabien und viele andere Golfstaaten, aber auch Länder wie Pakistan und Afghanistan oder lateinamerikanische Staaten von Bolivien über Peru bis Argentinien. Gute Standorte für die Erzeugung von Windstrom finden sich an nahezu allen Küsten, in vielen Gebirgen – und auch in vielen Gegenden, die heute nicht gerade energiewirtschaftliche Supermächte beherbergen, am Horn von Afrika etwa und auch an Afrikas Westküste, an Lateinamerikas Ostküste und in der Mongolei.
Die Technologien für die Herstellung von Sprit (etwa für Schiffe und Flugzeuge), von Kunststoffzutaten und Produkten für die chemische Industrie aus CO2 und grünem Wasserstoff gibt es längst. Dass diese Dinge in großem Stil in Mitteleuropa hergestellt werden, ist unwahrscheinlich, dazu sind Erneuerbare bei uns zu knapp. Einige der genannten künftigen Energie-Supermächte dürften hingegen in naher Zukunft zu Exporteuren CO2-neutraler Ersatzstoffe fürs fossile Gift werden. Im Idealfall mit Unterstützung deutscher Unternehmen wie Ineratec aus Karlsruhe oder Sunfire aus Dresden. Noch hat Deutschland die Chance, die katastrophalen energiepolitischen Fehler der letzten vier Legislaturperioden auszugleichen – wenn man solche Entwicklungen fördert, statt sie zu behindern aus dem absurden Wunsch heraus, sterbende Industrien künstlich am Leben zu erhalten. Dass diese Tatsachen bis heute weltweit, aber auch und gerade in Deutschland oft geleugnet oder mindestens unterschätzt werden, ist ein großer Erfolg intensiver Lobbyarbeit der Branchen, die an Öl, Kohle und Gas so viel Geld verdienen.
Für die klare Überlegenheit der Erneuerbaren, die manche Leserinnen und Leser vermutlich intuitiv als allzu steile These abtun, gibt es jede Menge des Öko-Aktivismus unverdächtige Quellen. Zum Beispiel Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität Exeter und des University College London. „Der Fortschritt der erneuerbaren Energien hat zur Folge, dass von fossilen Brennstoffen dominierte Projektionen nicht mehr realistisch sind“, sagte die Forscherin Femke Nijsse von der Universität Exeter im Oktober 2023. Ihre Aussage ist die kürzeste Zusammenfassung einer Studie, die in „Nature Communications“ veröffentlicht wurde, also an sehr hochkarätiger Stelle. Selbst „ohne weitere politische Veränderungen“ heißt es darin, sei Solarenergie „auf einem robusten Entwicklungspfad, um noch vor Mitte des Jahrhunderts die künftig dominante Energiequelle zu werden“. Der „Kipppunkt“, der Sonnenstrom zur billigsten und damit besten Form der Energieversorgung mache, sei „vermutlich schon überschritten“.
Es wird höchste Zeit, dass die Debatte über die ohnehin absolut zwangsläufige Umstellung unserer Energieversorgung endlich nicht mehr auf Fiktionen aufbaut, die nur der Kohle-, Öl- und Gasbranche nutzen. Der Siegeszug der Erneuerbaren ist unaufhaltsam. Sie sind einfach viel billiger. Als die Internationale Energieagentur im Herbst 2023 erklärte, die Nachfrage nach Öl und Gas werde um 2030 ihren Gipfelpunkt erreichen, sagte deren Exekutivdirektor Fatih Birol: „Der Übergang zu sauberer Energie passiert weltweit, und er ist unaufhaltsam. Es ist keine Frage von ‚wann‘, sondern nur von ‚wie bald‘ – und je früher, desto besser für uns alle.“ Die OPEC sieht das bekanntlich anders. Die Öl-, Gas- und Kohlekonzerne, die Petrostaaten und die Männer, die sie beherrschen, verblendete Finanzinvestoren und Manager, tun weiterhin so, als sei das Ende fossiler Brennstoffe verhandelbar. Das ist aber nachweislich falsch.
Wir können und müssen, pathetisch gesprochen, das Zeitalter des Feuers hinter uns lassen und das Zeitalter des (Sonnen-)Lichts einläuten. Wir alle haben lange von der Energie profitiert, die fossile Brennstoffe geliefert haben. Sie hat die Menschheit reicher, mächtiger und sogar gesünder gemacht. Längst wissen wir aber, dass diese Form der Energiegewinnung sehr schädlich für uns Menschen ist. Und wir wissen auch, wie wir ohne sie auskommen können. Längst profitieren nur noch die Hersteller fossiler Brennstoffe. Wir alle bezahlen dafür, mit unseren Steuern und unserer Zukunft. Es ist höchste Zeit, die Männer, die die Welt verbrennen, in ihre Schranken zu weisen.
Der Beitrag basiert auf dem Buch „Männer, die die Welt verbrennen“, das kürzlich im Ullstein Verlag erschienen ist. Dort finden sich auch die Quellennachweise.
[1] Detailliert dokumentiert hat das auch ein Untersuchungsausschuss des US-Kongresses, der Ende April 2024 seinen Bericht veröffentlichte. Vgl. budget.senate.gov.
[2] Charles Koch ist der mächtigste Fossillobbyist, den die USA bislang hervorgebracht haben. Er hat maßgeblich dafür gesorgt, dass die CO2-Bepreisung, die 2009 sogar schon das Repräsentantenhaus passiert hatte, am Ende doch stillschweigend beerdigt wurde.
[3] Das Netzwerk wurde 1981 von Sir Antony Fisher gegründet mit dem Ziel, „die Welt mit Thinktanks für freie Marktwirtschaft zu übersäen“.