Für eine aufgeklärte Debatte um Migration

Bild: Lea Ypi, Professorin für Politische Theorie an der London School of Economics, 7.12.2022 (IMAGO / TT / Fredrik Persson)
Die Aufklärung wird heutzutage oft geschmäht, sowohl von rechts als auch von links. Von der Rechten, weil kritisches Reflektieren, der Mut, sich seines Verstandes zu bedienen (Kant), schon immer eine Bedrohung für die passive Unterwerfung gegenüber Autorität bedeutet hat, die für die Normalisierung von Ausgrenzungen erforderlich ist. Aber auch von vielen Vertreter:innen der postkolonialen Linken wird sie geschmäht. Sie machen die Aufklärung für die Grausamkeit, Unterdrückung und den Paternalismus verantwortlich, was die Begegnung europäischer Staaten mit anderen Teilen der Welt oftmals geprägt hat.
Diese Haltung ist zwar nicht gänzlich falsch, aber auch nicht besonders nuanciert. Natürlich stimmt es, dass die Aufklärung von den herrschenden Eliten letztlich für ihre ausbeuterischen, „zivilisatorischen“ Missionen instrumentalisiert wurde, doch in ihren Anfängen verkörperte sie eine höchst subversive Haltung. Das zeigt ein Blick auf Gotthold Ephraim Lessing, einen der namhaftesten Vertreter jenes Zeitalters, das wir „die Aufklärung“ nennen. Zu seinen Lebzeiten hatte er Probleme mit der Zensur, nach seinem Tod führte die Kontroverse über seinen angeblichen Pantheismus zu einem großangelegten Angriff auf die aufklärerische Konzeption der Vernunft.