Lea Ypi: Klasse statt Identität. Für eine aufgeklärte Debatte um Migration, S. 47-56
Die systemischen Gründe für Migration spielen im politischen Diskurs meist keine Rolle. Stattdessen werden Menschen, die in der EU eine bessere Zukunft suchen, für strukturelle Probleme verantwortlich gemacht. Die Politikwissenschaftlerin Lea Ypi plädiert für eine Migrationsdebatte im Sinne der Aufklärungsphilosophie: Um die rechte Hegemonie im Migrationsdiskurs zu brechen, müsse der identitätsbezogenen Problemdiagnose eine sozioökonomische entgegengesetzt werden.
Cinzia Sciuto: Frieden durch Recht. Wider den falschen Realismus der Machtpolitik, S. 57-68
Das Völkerrecht verliert immer mehr an Relevanz: Es wird in der Ukraine oder Gaza gebrochen, und Regierungschefs wie Trump propagieren offen das Recht des Stärkeren. Angesichts dessen scheint ein politischer Realismus, der sich auf Machtpolitik stützt, das Gebot der Stunde. Doch das wäre grundfalsch, so die Chefredakteurin der Zeitschrift „MicroMega“, Cinzia Sciuto. Denn die Demokratie im Inneren ist immer in Gefahr, wenn international die Ideologie der Macht herrscht.
Georg Diez: Gaza als Epochenbruch. Wie der Westen die Humanität verrät, S. 69-74
Die Bilder von Verheerung, Tod und Hunger in Gaza sind mittlerweile allgegenwärtig – die politischen Reaktionen darauf kommen aber zu spät, kritisiert der Journalist Georg Diez. Die Kriegsverbrechen in Gaza und die fehlenden Reaktionen darauf seien längst eine Zäsur: Der Westen habe offenbar den Anspruch aufgegeben, eine Ordnung auf Grundlage universeller Humanität anzustreben.
Herfried Münkler: Von Augustus bis Putin. Wie Kriege enden und Friedenszeiten beginnen, S. 75-87
Mit der russischen Invasion der Ukraine ist der Eroberungskrieg nach Europa zurückgekehrt. Der Politikwissenschaftler Herfried Münkler analysiert anhand historischer Beispiele, welche geopolitischen Ordnungen lange Friedenszeiten ermöglicht haben. Die Art und Weise, wie der Ukrainekrieg beendet wird, könne entscheiden, ob Russland eine neue Ordnung erzwingt oder sich der bestehenden unterordnet.
Simone Schlindwein: Russlands Rekrutierungsmaschine. Wie Putin junge Afrikanerinnen in der Kriegswirtschaft ausbeuten lässt, S. 89-95
Russland wirbt für seine Kriegswirtschaft gezielt junge Frauen aus Afrika und Lateinamerika an, die dann in anders deklarierten Fabriken Drohnen produzieren sollen. Die Afrika-Korrespondentin Simone Schlindwein beschreibt das System aus falschen Versprechen und Ausbeutung, das die Hoffnung auf ein besseres Leben schamlos ausnutzt, um den Arbeitskräftemangel in der russischen Waffenproduktion zu lindern.
Markus Beckedahl: Die Entkernung der Demokratie. Wie wir die digitale Öffentlichkeit vor den Oligarchen retten können, S. 97-104
Die wichtigsten digitalen Kommunikationsräume werden von mächtigen US-Konzernen kontrolliert und durch Rechtsradikale instrumentalisiert. Der Journalist und netzpolitische Aktivist Markus Beckedahl warnt vor fatalen Folgen für unabhängigen Journalismus, öffentlichen Diskurs und digitale Souveränität. Er fordert eine demokratische Gestaltung der digitalen Öffentlichkeit durch transparente Regeln, öffentlich-rechtliche Plattformen und gemeinwohlorientierte Netzwerke.
Ingo Dachwitz und Sven Hilbig: Mythos grüne Digitalisierung. KI und der neue Raubbau am Globalen Süden, S. 105-114
Der KI-Boom lässt weltweit gigantische Rechenzentren aus dem Boden sprießen und deren Energieverbrauch steigen. Der Journalist Ingo Dachwitz und der Jurist Sven Hilbig zeigen, wie darunter vor allem der Globale Süden leidet, durch Ausbeutung billiger Arbeitskräfte und Ressourcen, als Empfänger von Elektroschrott und durch den beschleunigten Klimawandel. Positive Veränderungen könnten nur dann gelingen, wenn die EU gleichberechtigte Partnerschaften mit den betroffenen Ländern schließt.
Eva-Maria Klinkisch und Markus Rieger-Ladich: Vulnerabilität als Politikum. Long Covid in der Leistungsgesellschaft, S. 115-124
In Deutschland leiden über eine Million Menschen an postinfektiösen Erkrankungen wie Long Covid, auf die das Gesundheitssystem bisher keine Antwort gibt. Der Erziehungswissenschaftler Markus Rieger-Ladich und die Soziologin Eva-Maria Klinkisch kritisieren, dass Verwundbarkeit und Relevanz der Betroffenen heute, wie schon während der Pandemie, ungleich verteilt sind. Sie fordern ethische Reflexionen und institutionelle Reformen, um den Erkrankten endlich zur nötigen Unterstützung zu verhelfen.