Ein Vergleich aus gegebenem Anlaß
Wieder einmal, wie schon vor 120 Jahren, wird ein deutscher Einheitsstaat gegründet. Aber in Politik wie Publizistik sind Vergleiche mit dem Bismarck-Reich nicht sonderlich populär, trotz der Berliner Ausstellung über den "eisernen Kanzler".
Inzwischen hat diese Berührungsangst schon wieder ihre publizistische Rationalisierung erfahren. Man hat erkannt, daß der Einheitszug nicht nur im gemeindeutschen Staat Einfahrt hält; nun ist rasch noch ein Haltbahnhof hinzuphantasiert worden - die E n d s t at i o n V e r g e s s e n (wir kennen sie aus der Historikerdebatte unter dem Stichwort "Normalisierung" des Geschichtsbildes). Gustav Seibt kommentierte kürzlich in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (vom 23.8.1990) mit allen Anzeichen der Entdeckerfreude den eben gefundenen "Nutzen der Diskontinuität". Hatte sich das 19. Jahrhundert noch damit abplagen müssen, so zitiert er den katholisch-liberalen Historiker Franz Schnabel, daß "in allen großen politischen Schlachten ... in den Reihen der Lebenden stets auch die Geister der Vergangenheit (kämpften)", so erleichtert uns heute - nach Seibt - "das geringe Gewicht historischer Argumente in den gegenwärtigen Debatten".