Einem polnischen Kommentator wird der Satz zugesprochen: "Die Teilung Europas ist keineswegs aufgehoben, nur die Grenze wurde verschoben - von der Elbe und Werra zur Oder und Neiße." In der Tat scheint die Oder-Neiße-Grenze mehr als nur die endlich anerkannte polnische West- und deutsche Ostgrenze zu sein, sie scheidet vielmehr die im Wohlstand lebenden (West)Europäer von ihren der Armut preisgegebenen Geschwistern im Osten und Südosten des Kontinents (die Sowjetunion eingeschlossen). Dabei wird unterstellt, daß die volle Teilhabe der ehemaligen DDR-Deutschen am westlichen Reichtum nur noch eine Frage der Zeit sei. Die mit dem Fall der ideologischen Grenze verbundene Annahme, daß die NATO oder der Westen oder das marktwirtschaftliche System insgesamt den Kalten Krieg gewonnen hätten, ohne daß ein einziger Schuß gefallen sei, ist freilich unbegründet. Die Ursachen für den Zusammenbruch der Sowjetunion und der von ihr viereinhalb Jahrzehnte gegängelten Staaten sind vielfältig. Sie liegen in einer zum Dogma erhobenen Planwirtschaft, in der Unfähigkeit der kommunistischen Eliten, damit zum Wohl der Bevölkerung umzugehen, in der Unregierbarkeit des russischen Imperiums (ganz gleich von wem es verwaltet wird), im gewaltfreien Aufstand unterdrückter Bürgerinnen und Bürger und schließlich im Konsumverlangen der Bevölkerung.
In der Dezember-Ausgabe ergründet Thomas Assheuer, was die völkische Rechte mit der Silicon-Valley-Elite verbindet, und erkennt in Ernst Jünger, einem Vordenker des historischen Faschismus, auch einen Stichwortgeber der Cyberlibertären. Ob in den USA, Russland, China oder Europa: Überall bilden Antifeminismus, Queerphobie und die selektive Geburtenförderung wichtige Bausteine faschistischer Biopolitik, argumentiert Christa Wichterich. Friederike Otto wiederum erläutert, warum wir trotz der schwachen Ergebnisse der UN-Klimakonferenz nicht in Ohnmacht verfallen dürfen und die Narrative des fossilistischen Kolonialismus herausfordern müssen. Hannes Einsporn warnt angesichts weltweit hoher Flüchtlingszahlen und immer restriktiverer Migrationspolitiken vor einem Kollaps des globalen Flüchtlingsschutzes. Und die Sozialwissenschaftler Tim Engartner und Daniel von Orloff zeigen mit Blick auf Großbritannien und die Schweiz, wie wir dem Bahndesaster entkommen könnten – nämlich mit einer gemeinwohlorientierten Bürgerbahn.