Ausgabe Oktober 1996

Ankommen in der Bundesrepublik

Anfang der 80er Jahre hatte ich ein Kinderbuch zur Abrüstung geschrieben ("Wann soll man Bäume pflanzen?"), in das ich nicht mehr gar so gern schaue, aber das ich auch nicht verleugnen will. Natürlich war es staats- und SED-konform, aber es war auch nicht unrealistisch, und immerhin wurden zwei Auflagen davon verkauft. Vielleicht, weil spürbar war, daß ich für radikale Abrüstung wirklich "brannte". Jedenfalls gab es einige Schulklassen, die an- oder aufgeregt durch das Buch - für die Abrüstungspolitik der DDR demonstrieren wollten. Sie durften nicht. Demonstrationen gab es in der DDR am 1. Mai und 7. Oktober, spontane öffentliche Bekundungen selbst der Zustimmung zur SED-Politik waren nicht genehm. Emanzipation wird in deutschen Wörterbüchern allgemein mit Befreiung übersetzt, ich ziehe das Wort Selbstbefreiung vor. Man durfte in der DDR befreit werden, sich selbst befreien durfte man nicht.

Man hört heute oft, der "verordnete Antifaschismus" der DDR sei besser als kein Antifaschismus, und natürlich habe ich keinen Grund dem, aber viele Gründe einer solchen Gegenüberstellung zu widersprechen. Diesen Antifaschismus zu leben, selbstbestimmt zu leben, in geistigen und politischen Auseinandersetzungen, das eigene Kreuz dafür hinzuhalten, war kaum möglich.

Oktober 1996

Sie haben etwa 10% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 90% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (1€)
Digitalausgabe kaufen (10€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe November 2025

In der November-Ausgabe ergründen Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey die Anziehungskraft des demokratischen Faschismus. Frank Biess legt die historischen Vorläufer von Trumps autoritärer Wende offen – ebenso wie die Lebenslügen der Bundesrepublik. Daniel Ziblatt zieht Lehren aus der Weimarer Republik für den Umgang mit den Autokraten von heute. Annette Dittert zeigt, wie Elon Musk und Nigel Farage die britische Demokratie aus den Angeln zu heben versuchen. Olga Bubich analysiert, wie Putin mit einer manipulierten Version der russischen Geschichte seinen Krieg in der Ukraine legitimiert. Ute Scheub plädiert für die Umverteilung von Wohlstand – gegen die Diktatur der Superreichen. Sonja Peteranderl erörtert, inwiefern sich Femizide und Gewalt gegen Frauen mit KI bekämpfen lassen. Und Benjamin von Brackel und Toralf Staud fragen, ob sich der Klimakollaps durch das Erreichen positiver Kipppunkte verhindern lässt.

Zur Ausgabe Probeabo

Weitere Artikel zum Thema

Maskulin und libertär

von Stefan Matern, Sascha Ruppert-Karakas

Echte Männer sind rechts“ – das auf Social Media viral gegangene Video des AfD-Politikers Maximilian Krah ist mehr als nur ein lapidares Bekenntnis zu traditionellen Familien- und Geschlechterrollen. Es ist vielmehr der strategische Versuch, junge Menschen niedrigschwellig an AfD-Positionen heranzuführen. Im provokanten Politainmentstil bespielt die Partei auf den digitalen Plattformen unpolitisch anmutende Themen rund um die Probleme und persönlichen Unsicherheiten junger Männer.