Ausgabe November 1996

Rückkehrrecht, Rückkehrpflicht?

Das Recht der bosnischen Kriegsflüchtlinge auf Rückkehr in ihre Wohnorte gehört zu den uneingelösten Versprechen des Friedensvertrages von Dayton. Seit dem 1. Oktober gibt es für Bosnier in einigen deutschen Bundesländern nun aber so etwas wie eine Pflicht zur Rückkehr. Beides paßt natürlich nicht zusammen. Die Rückkehrpflicht ist sogar dazu angetan, die Einlösung des Rückkehrrechts auf Dauer unmöglich zu machen. Anhang 7, Artikel I Abs. 1 des Dayton-Vertrages statuiert "die frühe Rückkehr von Flüchtlingen und Vertriebenen", die der Vertrag als ein individuelles Recht garantiert, als "ein wichtiges Ziel der Beilegung des Konflikts in Bosnien-Herzogowina". Das sollte man nicht nur als diplomatische Lyrik lesen: Flüchtlingsrückkehr zählt wirklich zu den tragenden Pfeilern des Vertragswerks. Dayton enthält integrierende und desintegrierende Momente; Flüchtlingsrückkehr ist dabei das wichtigste unter den integrierenden.

Bei den Verhandlungen auf der Wright-Patterson-Airbase in Ohio war sie nicht bloß ein verbales Zugeständnis an die muslimische Kriegspartei. Vielmehr sollte ein bestimmter Grad an Reintegration ganz Bosniens den Druck von der muslimisch-kroatischen Föderation wegnehmen, jener der beiden "Entitäten", die 1994 in Washington gestiftet worden war.

November 1996

Sie haben etwa 8% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 92% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (1€)
Digitalausgabe kaufen (10€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe Oktober 2025

In der Oktober-Ausgabe wertet Seyla Benhabib das ungehemmte Agieren der israelischen Regierung in Gaza als Ausdruck einer neuen Ära der Straflosigkeit. Eva Illouz ergründet, warum ein Teil der progressiven Linken auf das Hamas-Massaker mit Gleichgültigkeit reagiert hat. Wolfgang Kraushaar analysiert, wie sich Gaza in eine derart mörderische Sackgasse verwandeln konnte und die Israelsolidarität hierzulande vielerorts ihren Kompass verloren hat. Anna Jikhareva erklärt, warum die Mehrheit der Ukrainer trotz dreieinhalb Jahren Vollinvasion nicht zur Kapitulation bereit ist. Jan Eijking fordert im 80. Jubiläumsjahr der Vereinten Nationen mutige Reformen zu deren Stärkung – gegen den drohenden Bedeutungsverlust. Bernd Greiner spürt den Ursprüngen des Trumpismus nach und warnt vor dessen Fortbestehen, auch ohne Trump. Andreas Fisahn sieht in den USA einen „Vampirkapitalismus“ heraufziehen. Und Johannes Geck zeigt, wie rechte und islamistische Rapper Menschenverachtung konsumierbar machen.

Zur Ausgabe Probeabo

Weitere Artikel zum Thema

Gaza und die Ära der Straflosigkeit

von Seyla Benhabib

Künftige Historikerinnen und Historiker, die auf den Israel-Gaza-Konflikt zurückblicken, werden möglicherweise erkennen, dass dieser Konflikt an der Schnittstelle dreier Entwicklungen steht, die gemeinsam das Koordinatensystem der nach dem Zweiten Weltkrieg gegründeten internationalen Institutionen völlig verschoben und eine neue Ära eingeläutet haben.

Der Preis der Freiheit: Politische Gefangene in Belarus

von Olga Bubich

Es war eine große Überraschung für weite Teile der internationalen Gemeinschaft: Am 21. Juni ließ das belarussische Regime 14 politische Gefangene frei. Unter ihnen befand sich Siarhei Tsikhanouski, der 2020 verhaftet wurde, um seine Kandidatur bei den Präsidentschaftswahlen zu verhindern.