Ausgabe Juli 2000

Sonnenblume, einbetoniert

Morgens um drei kamen noch einmal ganz harte Sachen auf den Tisch. Zwölf Stunden hatte die Schlussrunde zwischen sozialdemokratischen und grünen Unterhändlern gedauert, dann stand sie doch noch, die Neuauflage von Rot-Grün an Rhein und Ruhr - und die Sozialdemokraten packten den Schnaps aus. "Stellt euch nicht so an, so was trinkt man im Sauerland zum Frühstück", ermunterte SPD-Generalsekretär Franz Müntefering die zaudernden grünen Emissäre. Und die schluckten. Schon wieder. Es waren bittere Wochen gewesen, bis man endlich mit der SPD handelseinig werden durfte. Kaum eine Gelegenheit hatte SPD-Ministerpräsident Wolfgang Clement seit der Landtagswahl vom 14. Mai ausgelassen, um den Grünen zu zeigen, was er von ihnen hält: nichts. Offen flirtete er mit FDP-Stehaufmännchen Jürgen W. Möllemann und behandelte den kleinen Koalitionspartner wie dumme Jusos. Unablässig stichelte er gegen die grüne "Blockiererin" Bärbel Höhn und zog sogar noch bei gemeinsamen Presseauftritten Grimassen, wenn die Umweltministerin den Stand der Gespräche aus grüner Sicht skizzierte.

Doch die grüne "Mutter Courage" und ihre Getreuen haben sich nicht irritieren lassen. In einem Punkt haben sie sich doch durchgesetzt: Sie dürfen in der Regierung bleiben. Getreu dem olympischen Motto: Dabei sein ist alles.

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Aktuelle Ausgabe Oktober 2025

In der Oktober-Ausgabe wertet Seyla Benhabib das ungehemmte Agieren der israelischen Regierung in Gaza als Ausdruck einer neuen Ära der Straflosigkeit. Eva Illouz ergründet, warum ein Teil der progressiven Linken auf das Hamas-Massaker mit Gleichgültigkeit reagiert hat. Wolfgang Kraushaar analysiert, wie sich Gaza in eine derart mörderische Sackgasse verwandeln konnte und die Israelsolidarität hierzulande vielerorts ihren Kompass verloren hat. Anna Jikhareva erklärt, warum die Mehrheit der Ukrainer trotz dreieinhalb Jahren Vollinvasion nicht zur Kapitulation bereit ist. Jan Eijking fordert im 80. Jubiläumsjahr der Vereinten Nationen mutige Reformen zu deren Stärkung – gegen den drohenden Bedeutungsverlust. Bernd Greiner spürt den Ursprüngen des Trumpismus nach und warnt vor dessen Fortbestehen, auch ohne Trump. Andreas Fisahn sieht in den USA einen „Vampirkapitalismus“ heraufziehen. Und Johannes Geck zeigt, wie rechte und islamistische Rapper Menschenverachtung konsumierbar machen.

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