Ausgabe Juli 2000

Humanitäre Heuchelei

Es besteht ein krasser Widerspruch zwischen der allgemeinen humanitären politischen Rhetorik und der tatsächlichen Bereitschaft der Regierungen der USA und der EU, ein effektives System der internationalen Hilfe aufzubauen. Die internationale Verrechtlichung, Standardisierung und Koordination der staatlichen und nichtstaatlichen humanitären Akteure bewegt sich auf niedrigerem Niveau als zum Beispiel im Bereich des internationalen Post- und Flugverkehrswesen oder bei der Durchführung der olympischen Spiele. Dieser von einigen Beobachtern beschönigend als "System" der internationalen humanitären Hilfe bezeichnete Politikbereich gleicht einem System des institutionalisierten Zynismus. Letztes Opfer der hohen Kunst der Vereinnahmung und Neutralisierung von zunächst in kritischer Absicht entwickelter Begriffe könnte das Konzept der "zivilen Konfliktprävention" zu sein. Was hier eine Möglichkeit beschreibt, ist bei der "humanitären Hilfe" längst eingetreten.

Die UN-Vollversammlung hat dem amtierenden Beauftragten für humanitäre Hilfe, Sergio de Mello, zwar die Aufgabe der weltweiten "Koordination" humanitärer Hilfe und eine Art Lobbyfunktion für humanitäre Prinzipien zugewiesen, ohne ihn allerdings mit den dafür notwendigen institutionellen Instrumenten auszustatten.

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In der September-Ausgabe plädiert Lea Ypi für eine Migrationsdebatte im Sinne der Aufklärungsphilosophie. Cinzia Sciuto fordert, der zunehmenden Aushöhlung des Völkerrechts mit einer entschiedenen Verteidigung desselben zu begegnen – und nicht mit Resignation und falschem Realismus. Für Georg Diez markieren die Kriegsverbrechen in Gaza und die fehlenden Reaktionen darauf einen Epochenbruch; sie stünden für nicht weniger als den Verrat des Westens an der Humanität. Herfried Münkler analysiert, wie Kriege historisch endeten und Friedenszeiten begannen und was das mit Blick auf den Ukrainekrieg bedeutet. Simone Schlindwein deckt auf, wie Russland junge Afrikanerinnen mit falschen Versprechen für die Kriegswirtschaft rekrutiert. Warum die grüne Digitalisierung ein Mythos ist und was der KI-Boom den Globalen Süden kostet, erläutern Ingo Dachwitz und Sven Hilbig. Und Eva-Maria Klinkisch sowie Markus Rieger-Ladich zeigen auf, wie Long Covid-Betroffene von der Gesellschaft und dem Gesundheitssystem systematisch ignoriert werden – und was dagegen zu tun ist. 

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