Ausgabe November 2001

Brief aus Amerika

12. Oktober 2001. Richard Lugar, der kluge Senator aus Indiana, versteht eine Menge von Außenpolitik. Heute sieht man, warum seine Partei (die Republikaner) ihn im vergangenen Jahr trotzdem nicht zu ihrem Präsidentschaftskandidaten erkor. Um eine Stellungnahme zu Washingtons gestrigen Warnungen vor einem unmittelbar bevorstehenden Terroristen-Angriff gebeten, bemerkte er, er sehe nicht, was daran neu sei: Diese Warnung habe die Regierung während der letzten Wochen fünfmal ausgesprochen.

Es stimmt, daß die Gefahr ausländischer Angriffe auf die eigenen Städte unsere Öffentlichkeit gänzlich unvorbereitet trifft. Tugenden, die man den Yankees früher zuschrieb – Common Sense, Skepsis, wenn nicht Mißtrauen gegenüber Autoritäten, die Überzeugung, die Zukunft meistern zu können – scheinen allerdings in den Untergrund gedrängt zu sein. Unbestimmte, aber alles durchdringende Angst, ein verzweifeltes, nein, obsessives Pochen auf nationale Solidarität und eine fast totale Bereitschaft, amtlichen Anweisungen Folge zu leisten, prägen die Geistesverfassung der Nation.

Die Medien, ignorant, flach und unkritisch, tragen beträchtliche Mitverantwortung für die offenkundigsten Mängel, unter denen die Funktionstüchtigkeit der amerikanischen Demokratie heute leidet.

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In der November-Ausgabe ergründen Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey die Anziehungskraft des demokratischen Faschismus. Frank Biess legt die historischen Vorläufer von Trumps autoritärer Wende offen – ebenso wie die Lebenslügen der Bundesrepublik. Daniel Ziblatt zieht Lehren aus der Weimarer Republik für den Umgang mit den Autokraten von heute. Annette Dittert zeigt, wie Elon Musk und Nigel Farage die britische Demokratie aus den Angeln zu heben versuchen. Olga Bubich analysiert, wie Putin mit einer manipulierten Version der russischen Geschichte seinen Krieg in der Ukraine legitimiert. Ute Scheub plädiert für die Umverteilung von Wohlstand – gegen die Diktatur der Superreichen. Sonja Peteranderl erörtert, inwiefern sich Femizide und Gewalt gegen Frauen mit KI bekämpfen lassen. Und Benjamin von Brackel und Toralf Staud fragen, ob sich der Klimakollaps durch das Erreichen positiver Kipppunkte verhindern lässt.

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