Mit Berufung auf die christlich-abendländische Tradition, die Aufklärung und ihre jüngste Geschichte fordert die westliche Welt Toleranz: Toleranz gegenüber abweichenden Lebensstilen, Meinungen und religiösen Überzeugungen. Sie fordert sie von sich und den anderen. Seit einiger Zeit ist allerdings auch von den Grenzen der Toleranz die Rede, die denen aufgezeigt werden müssten, die sie selbst nicht achteten. An prominenter Stelle stehen hier der Islam und die Muslime, deren Verhältnis zu Toleranz im Allgemeinen und religiöser Toleranz im Besonderen, so könnte man meinen, in besonderer Weise klärungsbedürftig, wenn nicht belastet ist.
Tatsächlich ist das Thema ausgesprochen kontrovers: Sehen die einen den Islam als Religion der Toleranz schlechthin, kritisieren andere den Fanatismus der Muslime, die die Ungläubigen "mit Feuer und Schwert" bekämpften und Nicht-Muslime bestenfalls als "Bürger zweiter Klasse" zu tolerieren bereit seien. Beide Seiten argumentieren mit der Schrift, beide verweisen auf die Geschichte: "Goldene Mythen" erzählen von Zeiten friedvollen Zusammenlebens und hoher kultureller Blüte im umayyadischen Spanien (al-Andalus), fatimidischen Ägypten oder dem Bagdad der 1920er Jahre.