Ausgabe Januar 1990

Von Bitburg nach Annaberg

Dezember 1970: Ein Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland geht vor dem Denkmal für die Verteidiger des Warschauer Ghettos in die Knie. Das Foto geht um die Welt, macht Geschichte, zeigt ein anderes Deutschland. Mai 1985: Ein Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland schreitet erhobenen Hauptes an der Seite eines Präsidenten der Vereinigten Staaten von Nordamerika über einen Soldatenfriedhof und erweist den Toten die letzte Ehre - auch Waffen-SS-Angehörigen. November 1989: Ein Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland will in Polen Solidarität mit einigen Deutschen demonstrieren und strebt auf den Annaberg.

Er erreicht den Gipfel nicht, umklammert statt dessen einen polnischen Ministerpräsidenten und zwingt ihn in die Umarmung, die Versöhnung ausdrücken soll. Anschließend läßt er sich in der katholischen Universität zu Lublin feiern, freut sich über die Würde eines Ehrendoktors der sozialwissenschaftlichen Fakultät und rennt am vorletzten Tag seines viel zu langen Besuchs in der Volksrepublik Polen im Sturmschritt über die Massengräber von Auschwitz auf die Rampe des Vernichtungslagers Birkenau. Deutsche Zeitgeschichte im Zeitraffer. Willy Brandt zwang es, am Ghettodenkmal zu knien. Kohl zwang Reagan nach Bitburg. Kohl zwang Tadeusz Mazowiecki im Hof des Schlosses Kreisau in Niederschlesien in seine Arme. Für Auschwitz und Birkenau blieb nicht viel Zeit.

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Aktuelle Ausgabe Dezember 2025

In der Dezember-Ausgabe ergründet Thomas Assheuer, was die völkische Rechte mit der Silicon-Valley-Elite verbindet, und erkennt in Ernst Jünger, einem Vordenker des historischen Faschismus, auch einen Stichwortgeber der Cyberlibertären. Ob in den USA, Russland, China oder Europa: Überall bilden Antifeminismus, Queerphobie und die selektive Geburtenförderung wichtige Bausteine faschistischer Biopolitik, argumentiert Christa Wichterich. Friederike Otto wiederum erläutert, warum wir trotz der schwachen Ergebnisse der UN-Klimakonferenz nicht in Ohnmacht verfallen dürfen und die Narrative des fossilistischen Kolonialismus herausfordern müssen. Hannes Einsporn warnt angesichts weltweit hoher Flüchtlingszahlen und immer restriktiverer Migrationspolitiken vor einem Kollaps des globalen Flüchtlingsschutzes. Und die Sozialwissenschaftler Tim Engartner und Daniel von Orloff zeigen mit Blick auf Großbritannien und die Schweiz, wie wir dem Bahndesaster entkommen könnten – nämlich mit einer gemeinwohlorientierten Bürgerbahn. 

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