Ausgabe Februar 1992

Geschichtswäsche?

Die deutsch-deutsche Debatte nimmt seit einiger Zeit, kriminalisierend und moralisierend, Dimensionen an, über die dringend nachzudenken ist: auch über Gefahren und Folgewirkungen, die keiner der Anreger etwa der Tribunaldiskussion wollen kann - jedenfalls kaum, soweit es sich um Bürgerrechtler handelt. Besorgte Stimmen, das Stasi-Syndrom könne ansteckend wirken, wie Leichengift, sind wohl nicht ernst genug genommen worden.

1. Geschichtsloses Reden von Geschichte

So geschichtslos ist selten über Geschichte geredet worden. Noch gleicht, was sich als die neueste deutsche Geschichtsdebatte ankündigt, einer Gespensterschlacht im luftleeren Raum. Etwas von ihrer Unwirklichkeit könnte sie loswerden, würden die Teilnehmer der Auseinandersetzung sich bemühen, die historische Realität der vier "umstrittenen" Jahrzehnte wieder einzublenden.

Denn die DDR, und was aus ihr geworden ist, wird sich ohne den zeitgeschichtlichen Kontext und die weltpolitischen Rahmenbedingungen von 1945, 1949, 1961 ebenso wie von 1970 und 1989 kaum begreifen lassen. Das betrifft aber auch jede Aufarbeitung, deren Ziele nicht Abrechnung, Rache, neue Runden der Existenzvernichtung sind, sondern tatsächlich Begreifen, Verstehen, Umdenken, Versöhnung und (Re-)Integration.

Februar 1992

Sie haben etwa 6% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 94% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (1€)
Digitalausgabe kaufen (10€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe November 2025

In der November-Ausgabe ergründen Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey die Anziehungskraft des demokratischen Faschismus. Frank Biess legt die historischen Vorläufer von Trumps autoritärer Wende offen – ebenso wie die Lebenslügen der Bundesrepublik. Daniel Ziblatt zieht Lehren aus der Weimarer Republik für den Umgang mit den Autokraten von heute. Annette Dittert zeigt, wie Elon Musk und Nigel Farage die britische Demokratie aus den Angeln zu heben versuchen. Olga Bubich analysiert, wie Putin mit einer manipulierten Version der russischen Geschichte seinen Krieg in der Ukraine legitimiert. Ute Scheub plädiert für die Umverteilung von Wohlstand – gegen die Diktatur der Superreichen. Sonja Peteranderl erörtert, inwiefern sich Femizide und Gewalt gegen Frauen mit KI bekämpfen lassen. Und Benjamin von Brackel und Toralf Staud fragen, ob sich der Klimakollaps durch das Erreichen positiver Kipppunkte verhindern lässt.

Zur Ausgabe Probeabo

Weitere Artikel zum Thema

Warnungen aus Weimar

von Daniel Ziblatt

Autokraten sind vielerorts auf dem Vormarsch. Ihre Machtübernahme ist aber keineswegs zwangsläufig. Gerade der Blick auf die Weimarer Republik zeigt: Oft ist es das taktische Kalkül der alten Eliten, das die Antidemokraten an die Macht bringt.