Ausgabe Juni 1995

Das Preußische ist uns sowieso ausgetrieben

Die Bundesrepublik zwischen alt und neu (Gespräch)

"Blätter": Die Debatte um den 8. Mai 1945, um Niederlage und Befreiung, Wirkung und Ursache dürfte schon aufgrund der unübersehbaren Zahl der Beiträge bis an die Schmerzgrenze der Politik-Konsumenten gegangen sein. Es scheint an der Zeit, sich um das zu kümmern, was - im Westen des besiegten Deutschland - nach jenem 8. Mai seinen Anfang nahm: die Bundesrepublik. Wie sehen Sie die bundesdeutsche Gründungskonstellation?

Kurt Sontheimer: Der 8. Mai 1945 ist das Datum, von dem aus etwas Neues in Deutschland beginnen konnte. Zunächst war das eine mehr oder weniger exklusive Angelegenheit der Besatzungsmächte, die in ihren jeweiligen Besatzungszonen nach verschiedenen politischen Orientierungen wirkten; der große Unterschied bestand dabei zwischen der Sowjetzone und den Westzonen. Aufgrund der weltpolitischen Veränderungen, die in den Kalten Krieg mündeten, kam es 1949 zur Gründung der Bundesrepublik, die weitgehend vorbestimmt war durch das, was die Westmächte vom Parlamentarischen Rat, der Verfassungsgebenden Versammlung, erwarteten: es sollte ein westliches politisches System werden mit Menschen- und Bürgerrechten, mit einer föderalistischen Ordnung, damit der massive Zentralismus des Dritten Reiches nicht mehr wiedererstehen könne, ein Land der westlichen Welt.

Juni 1995

Sie haben etwa 4% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 96% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (1€)
Digitalausgabe kaufen (10€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe November 2025

In der November-Ausgabe ergründen Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey die Anziehungskraft des demokratischen Faschismus. Frank Biess legt die historischen Vorläufer von Trumps autoritärer Wende offen – ebenso wie die Lebenslügen der Bundesrepublik. Daniel Ziblatt zieht Lehren aus der Weimarer Republik für den Umgang mit den Autokraten von heute. Annette Dittert zeigt, wie Elon Musk und Nigel Farage die britische Demokratie aus den Angeln zu heben versuchen. Olga Bubich analysiert, wie Putin mit einer manipulierten Version der russischen Geschichte seinen Krieg in der Ukraine legitimiert. Ute Scheub plädiert für die Umverteilung von Wohlstand – gegen die Diktatur der Superreichen. Sonja Peteranderl erörtert, inwiefern sich Femizide und Gewalt gegen Frauen mit KI bekämpfen lassen. Und Benjamin von Brackel und Toralf Staud fragen, ob sich der Klimakollaps durch das Erreichen positiver Kipppunkte verhindern lässt.

Zur Ausgabe Probeabo

Weitere Artikel zum Thema

Warnungen aus Weimar

von Daniel Ziblatt

Autokraten sind vielerorts auf dem Vormarsch. Ihre Machtübernahme ist aber keineswegs zwangsläufig. Gerade der Blick auf die Weimarer Republik zeigt: Oft ist es das taktische Kalkül der alten Eliten, das die Antidemokraten an die Macht bringt.