Seit 1990 ist der Eindruck entstanden, das Parteiensystem des neuen Deutschland existiere in zwei Varianten oder berge ein Subsystem in sich - im Westen faktisch ohne, im Osten mit der PDS und bald vielleicht ohne FDP. Die Ergebnisse der Wahlen, die in den ostdeutschen Ländern und Kommunen nach 1993/94 und zuletzt im Oktober 1995 in Berlin zum Abgeordnetenhaus (AH) und zu den Bezirksverordnetenversammlungen (BVV) stattfanden, haben diesen Eindruck bestätigt und sind als Indiz für eine fortdauernde OstWest-Teilung interpretiert worden. Wie peinlich, war doch seit der Öffnung der Mauer und der Prophezeiung, das nun zusammenwachse, was zusammengehöre, die Erwartung gehegt worden, daß nach der Vereinigung gerade in der neuen Bundeshauptstadt der Einheitsprozeß unter Laborbedingungen würde ablaufen können: In Berlin hatten bereits vor dem 3. Oktober 1990 Senat (West) und Magistrat (Ost) im Vorgriff auf die künftige gemeinsame Regierung den "Magisenat" gebildet; hier entstand rasch ein einheitlicher Arbeitsmarkt, wurde die Polizei im Osten aus dem Westen geführt und mit dem Personalaustausch zwischen den Verwaltungen begonnen.
In der September-Ausgabe plädiert Lea Ypi für eine Migrationsdebatte im Sinne der Aufklärungsphilosophie. Cinzia Sciuto fordert, der zunehmenden Aushöhlung des Völkerrechts mit einer entschiedenen Verteidigung desselben zu begegnen – und nicht mit Resignation und falschem Realismus. Für Georg Diez markieren die Kriegsverbrechen in Gaza und die fehlenden Reaktionen darauf einen Epochenbruch; sie stünden für nicht weniger als den Verrat des Westens an der Humanität. Herfried Münkler analysiert, wie Kriege historisch endeten und Friedenszeiten begannen und was das mit Blick auf den Ukrainekrieg bedeutet. Simone Schlindwein deckt auf, wie Russland junge Afrikanerinnen mit falschen Versprechen für die Kriegswirtschaft rekrutiert. Warum die grüne Digitalisierung ein Mythos ist und was der KI-Boom den Globalen Süden kostet, erläutern Ingo Dachwitz und Sven Hilbig. Und Eva-Maria Klinkisch sowie Markus Rieger-Ladich zeigen auf, wie Long Covid-Betroffene von der Gesellschaft und dem Gesundheitssystem systematisch ignoriert werden – und was dagegen zu tun ist.