Ausgabe Juni 2005

Ungarn 1945: Befreiung oder Eroberung?

Sechzig Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges wird die historische Bedeutung des Jahres 1945 in der ungarischen Gesellschaft äußerst unterschiedlich eingeschätzt. Für die einen bedeutet 1945 zunächst einmal die Befreiung vom Faschismus und die Rettung vor der "Endlösung" der Nazis, für die anderen ist es vor allem der Beginn der sowjetischen Besatzung und kommunistischen Diktatur.

Die ungarische Gesellschaft ist innenpolitisch seit einigen Jahren tief gespalten. Die Grenzlinie verläuft zwischen zwei Parteiblöcken, dem sozialistisch-liberalen und dem konservativ-nationalen. Spätestens seit dem Wahlkampf 2002, der von Viktor Orbáns rechtskonservativer Koalition verloren wurde, gehören scharfe Töne und verbale Entgleisungen zum politischen Alltag im Land. Unter diesen ungünstigen Vorzeichen steht auch die Vergangenheitsaufarbeitung, die im vergifteten innenpolitischen Klima wenig konstruktiv verläuft. Markante Beispiele sind der Streit um das Haus des Terrors sowie das Holocaust-Gedenkmuseum.

Das Haus des Terrors war ein Lieblingsprojekt der Orbán-Regierung, das wenige Wochen vor der Wahl 2002 mit großem Aufwand eingeweiht wurde. Der Ort des Museums könnte eigentlich als Geschichtsort nicht günstiger gewählt sein, beherbergte das Haus am Budapester Prachtboulevard Andrássy út doch 1944/45 die Geheimpolizei der Pfeilkreuzler1 und nach dem Krieg das stalinistische Pendant.

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In der Dezember-Ausgabe ergründet Thomas Assheuer, was die völkische Rechte mit der Silicon-Valley-Elite verbindet, und erkennt in Ernst Jünger, einem Vordenker des historischen Faschismus, auch einen Stichwortgeber der Cyberlibertären. Ob in den USA, Russland, China oder Europa: Überall bilden Antifeminismus, Queerphobie und die selektive Geburtenförderung wichtige Bausteine faschistischer Biopolitik, argumentiert Christa Wichterich. Friederike Otto wiederum erläutert, warum wir trotz der schwachen Ergebnisse der UN-Klimakonferenz nicht in Ohnmacht verfallen dürfen und die Narrative des fossilistischen Kolonialismus herausfordern müssen. Hannes Einsporn warnt angesichts weltweit hoher Flüchtlingszahlen und immer restriktiverer Migrationspolitiken vor einem Kollaps des globalen Flüchtlingsschutzes. Und die Sozialwissenschaftler Tim Engartner und Daniel von Orloff zeigen mit Blick auf Großbritannien und die Schweiz, wie wir dem Bahndesaster entkommen könnten – nämlich mit einer gemeinwohlorientierten Bürgerbahn. 

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