Ausgabe Mai 2010

Machtwechsel der Ideen

Für die Entzauberung des neoliberalen Glaubens

Seit Ausbruch der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise wird häufig von einer „Zeitenwende“ gesprochen und geschrieben. Vielstimmig beklagt man das Fehlen sozialmoralischer Grundlagen des Kapitalismus. Im Feuilleton wie im Wirtschaftsteil der Zeitungen wird der homo oeconomicus – der im wirklichen Leben ohnehin weit weniger rational handelt und sich von (falschen) Gefühlen treiben lässt: von Gier und Euphorie während des Booms und von Angst und Panik in der Krise – mit unverhohlenem Spott bedacht. Manch einer hat auch schon das Ende des Neoliberalismus, seines Weltbilds und seiner paradigmatischen Leitbilder verkündet.

Doch kommt der Abgesang auf das „neoliberale Einheitsdenken“ (Pierre Bourdieu) entschieden zu früh. Denn weder der gegenwärtige Krisendiskurs noch die als (temporäre) Regulierung konzipierten Instrumente der Krisenpolitik zielen darauf ab, die Hegemonie des Neoliberalismus zu brechen und eine andere Welt jenseits der kapitalistischen Marktwirtschaft zu ermöglichen.

Mit dem von Friedrich von Hayek schon Ende der 1940er Jahre geforderten „Mut zur Utopie“ ist es den Vertretern der marktradikalen Variante des (Neo-)Liberalismus seit den 1970er Jahren tatsächlich gelungen, den „Glauben an die Macht der Ideen“, den von Hayek nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs beschworen hatte, zurückzugewinnen.

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