Dass der Staat Israel im vergangenen Jahr seinen 70. Geburtstag feiern durfte, ist zunächst als Glücksfall zu betrachten. Die Deklaration des Staates am 14. Mai 1948 – nach jüdischer Zeitzählung am 5. Ijar 5708 – war das Ergebnis und der Endpunkt einer langen, leidvollen Geschichte. Doch die Freude über diesen Festtag war im Land selbst getrübt. Denn während wie 70 Jahre zuvor die Menschen auf den Straßen Tel Avivs tanzten, starben an der Grenze zwischen Israel und dem abgeriegelten Gazastreifen junge, von der radikal-islamistischen Hamas aufgestachelte Palästinenser durch die Geschosse israelischer Soldaten. Zudem zeugte die heftige innergesellschaftliche Debatte über das sogenannte Nationalitätsgesetz, das am 19. Juli 2018 verabschiedet wurde, wie zentral die Identitätsfrage für die Israelis auch Jahrzehnte nach der Staatsgründung noch immer ist. Einen „Schlüsselmoment für die Geschichte des Zionismus und des Staates Israel“ nannte Premierminister Benjamin Netanjahu das hochumstrittene Gesetz. Es trägt in erster Linie symbolpolitische Züge und soll den jüdischen Charakter des Staates Israel stärken. Dazu wird etwa dem Arabischen der Status als Amtssprache entzogen und Jerusalem als Hauptstadt bekräftigt.
In der September-Ausgabe plädiert Lea Ypi für eine Migrationsdebatte im Sinne der Aufklärungsphilosophie. Cinzia Sciuto fordert, der zunehmenden Aushöhlung des Völkerrechts mit einer entschiedenen Verteidigung desselben zu begegnen – und nicht mit Resignation und falschem Realismus. Für Georg Diez markieren die Kriegsverbrechen in Gaza und die fehlenden Reaktionen darauf einen Epochenbruch; sie stünden für nicht weniger als den Verrat des Westens an der Humanität. Herfried Münkler analysiert, wie Kriege historisch endeten und Friedenszeiten begannen und was das mit Blick auf den Ukrainekrieg bedeutet. Simone Schlindwein deckt auf, wie Russland junge Afrikanerinnen mit falschen Versprechen für die Kriegswirtschaft rekrutiert. Warum die grüne Digitalisierung ein Mythos ist und was der KI-Boom den Globalen Süden kostet, erläutern Ingo Dachwitz und Sven Hilbig. Und Eva-Maria Klinkisch sowie Markus Rieger-Ladich zeigen auf, wie Long Covid-Betroffene von der Gesellschaft und dem Gesundheitssystem systematisch ignoriert werden – und was dagegen zu tun ist.