
Bild: Ein Mann demonstriert vor dem brennenden Büro des Bürgermeisters von Almaty gegen steigende Treibstoffpreise, 5.1.2022 (IMAGO / ITAR-TASS)
In der militärischen Eskalation Russlands gegenüber der Ukraine manifestieren sich in verheerender Weise höchst einseitige Interpretationen und Instrumentalisierungen der Geschichte und ihrer Ereignisse – von russischer, aber auch von westlicher Seite.
Im Juni 2021 beschwor Russlands Präsident Wladimir Putin in einem Aufsatz die »dreieinige Nation« (Russland, Belarus, Ukraine) und die »historische Einheit« von Russen und Ukrainern und warnte vor einer feindlichen Übernahme des Nachbarlandes durch den Westen. Hinter diesem Denken steht mehr als nur die geostrategische Rivalität mit USA und Nato: Es ist, wie der Historiker Igor Torbakow beschreibt, die Konsequenz einer kulturellen Abwendung vom angeblich dekadenten Europa, die kremlnahe Intellektuelle bereits seit Jahren forcieren. Zugleich ist die militaristische Außenpolitik, auf die Putin im Umgang mit der Ukraine setzt, auch historisch bedingt. Sie ist, argumentiert der Schriftsteller Sergej Lebedew, Ausdruck einer sowjetischen Tradition des Autoritarismus, deren Aufarbeitung gezielt verhindert werden soll, wie zuletzt das Verbot der NGO »Memorial« gezeigt hat. Diese Tradition prägt auch die Frage des Machttransfers, für den in Russland lange Kasachstan als Vorbild galt, so der Politologe Ewgeniy Kasakow.
Von westlicher Seite wurden dagegen nach Ende des Kalten Krieges die Sicherheitsbedürfnisse Russlands zunehmend negiert und übergangen, so der Historiker Bernd Greiner.