Ausgabe März 2023

Die neue Berliner Anstandsdemokratie

CDU-Spitzenkandidat Kai Wegner nach der Wahl in Berlin, 12.2.2023 (IMAGO / Mike Schmidt)

Bild: CDU-Spitzenkandidat Kai Wegner nach der Wahl in Berlin, 12.2.2023 (IMAGO / Mike Schmidt)

Die Stadt Berlin erlebt momentan ein einzigartiges Demokratie-Experiment: Anstelle der doch arg auf den Hund gekommen Mehrheitsdemokratie ist die Anstandsdemokratie der neueste Schrei – und möglicherweise schon bald in erster und ernster Erprobung. Aber der Reihe nach!

Bekanntlich erbrachte die letzte Wahl zum Abgeordnetenhaus nur einen Triumphator, nämlich die CDU mit furiosen 28 Prozentpunkten – macht bei einer Wahlbeteiligung von 63 Prozent sensationelle 12 Prozent Zustimmung der gesamten Bevölkerung (inklusive jener 20 Prozent der Berlinerinnen und Berliner, die mangels deutschen Passes von der Wahl gleich ganz ausgeschlossen sind). Was für ein Wahnsinnsergebnis! Prompt erklärte daraufhin der strahlende CDU-Spitzenkandidat Kai Wegner es zu einer „Frage des Anstands“, dass nur er zum Bürgermeister gekürt werden dürfe und verlieh sich selbst den „Regierungsauftrag“.

Umgehend unterstützt wurde er dabei von der bekanntesten Anstands-Dame der Republik, nämlich der „Bild“-Zeitung. Diesem Publikationsorgan aller Anständigen und moralisch Gutmeinenden im Lande hatte es schon vor der Wahl geschwant, dass es nach der Wahl mit Sicherheit zu einem „Wahlklau“ kommen werde – natürlich durch die infame Vereinigte Linke aus SPD, Grünen und Linkspartei.

»Blätter«-Ausgabe 3/2023

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