Ausgabe Dezember 2024

»Lassen Sie nicht zu, dass Skepsis zu Nihilismus wird«

Der Krieg in der Ukraine und Deutschlands historische Verantwortung

Anne Applebaum auf der Frankfurter Buchmesse 2024, 19.10.2024 (IMAGO / Panama Pictures / Dwi Anoraganingrum)

Bild: Anne Applebaum auf der Frankfurter Buchmesse 2024, 19.10.2024 (IMAGO / Panama Pictures / Dwi Anoraganingrum)

Es ist mir eine große Ehre, mich in die Gesellschaft der früheren Preisträger einzureihen, vor allem der Schriftsteller, Philosophen und Dichter, die allesamt über die Gabe verfügen, sich andere Welten vorzustellen. Als Historikerin und Journalistin bin ich dagegen jemand, die versucht, diese Welt zu erklären und zu verstehen, was oft weniger inspirierend und befriedigend sein kann. Umso dankbarer bin ich dafür, dass Sie mich in diese illustre Runde aufgenommen haben.

Mein ganz besonderer Dank gilt Irina Scherbakowa, einer außergewöhnlichen Frau, die ihre Laufbahn ähnlich begonnen hat wie ich: mit Interviews mit Überlebenden des sowjetischen Gulag. Wobei sie ihre Forschung zwanzig Jahre vor mir aufgenommen hat, als die Geschichtsschreibung in Russland noch eine gefährliche Angelegenheit war. Ich hatte das Glück, mit meiner historischen Forschung in den 1990er Jahren zu beginnen, als sich Überlebende und Historiker frei äußern konnten und es so schien, als könne auf dem Fundament der historischen Wahrheiten, die Scherbakowa und ihre Kollegen enthüllten, ein neues Russland errichtet werden.

Diese Hoffnung verflog sehr schnell. Ich kann Ihnen sogar den exakten Zeitpunkt nennen, an dem sie sich endgültig erledigt hatte: Es war der Morgen des 20. Februar 2014, als russische Truppen völkerrechtswidrig die Halbinsel Krim besetzten. Von da an wurde die Arbeit der russischen Geschichtsschreibung wieder gefährlich.

»Blätter«-Ausgabe 12/2024

Sie haben etwa 6% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 94% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (2.00€)
Digitalausgabe kaufen (11.00€)
Druckausgabe kaufen (11.00€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe Januar 2026

In der Januar-Ausgabe skizziert der Journalist David Brooks, wie die so dringend nötige Massenbewegung gegen den Trumpismus entstehen könnte. Der Politikwissenschaftler Philipp Lepenies erörtert, ob die Demokratie in den USA in ihrem 250. Jubiläumsjahr noch gesichert ist – und wie sie in Deutschland geschützt werden kann. Der Politikwissenschaftler Sven Altenburger beleuchtet die aktuelle Debatte um die Wehrpflicht – und deren bürgerlich-demokratische Grundlagen. Der Sinologe Lucas Brang analysiert Pekings neue Friedensdiplomatie und erörtert, welche Antwort Europa darauf finden sollte. Die Journalistinnen Susanne Götze und Annika Joeres erläutern, warum die Abhängigkeit von Öl und Gas Europas Sicherheit gefährdet und wie wir ihr entkommen. Der Medienwissenschaftler Roberto Simanowski erklärt, wie wir im Umgang mit Künstlicher Intelligenz unsere Fähigkeit zum kritischen Denken bewahren können. Und die Soziologin Judith Kohlenberger plädiert für eine »Politik der Empathie« – als ein Schlüssel zur Bekämpfung autoritärer, illiberaler Tendenzen in unserer Gesellschaft.

Zur Ausgabe Probeabo

Weitere Artikel zum Thema

Ukraine: Zwischen Korruption und Diktatfrieden

von Yelizaveta Landenberger

Anfang Dezember herrschte rege Pendeldiplomatie, während die Bombardierung ukrainischer Städte und die russischen Vorstöße an der Front unvermindert weitergingen. Völlig unklar ist, ob der im November bekannt gewordene US-»Friedensplan« auch nur zu einem Waffenstillstand führen kann.

Die Wehrpflicht gleicher Bürger

von Sven Altenburger

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat in Deutschland eine intensive Debatte über die Notwendigkeit einer Wehrpflicht ausgelöst. Dabei werden die ideengeschichtlichen Grundlagen der Wehrpflicht von ihren Gegnern regelmäßig verkannt, nämlich Republikanismus und Egalitarismus.