Ausgabe September 2025

Klasse statt Identität

Für eine aufgeklärte Debatte um Migration

Lea Ypi, Professorin für Politische Theorie an der London School of Economics, 7.12.2022 (IMAGO / TT / Fredrik Persson)

Bild: Lea Ypi, Professorin für Politische Theorie an der London School of Economics, 7.12.2022 (IMAGO / TT / Fredrik Persson)

Die Aufklärung wird heutzutage oft geschmäht, sowohl von rechts als auch von links. Von der Rechten, weil kritisches Reflektieren, der Mut, sich seines Verstandes zu bedienen (Kant), schon immer eine Bedrohung für die passive Unterwerfung gegenüber Autorität bedeutet hat, die für die Normalisierung von Ausgrenzungen erforderlich ist. Aber auch von vielen Vertreter:innen der postkolonialen Linken wird sie geschmäht. Sie machen die Aufklärung für die Grausamkeit, Unterdrückung und den Paternalismus verantwortlich, was die Begegnung europäischer Staaten mit anderen Teilen der Welt oftmals geprägt hat.

Diese Haltung ist zwar nicht gänzlich falsch, aber auch nicht besonders nuanciert. Natürlich stimmt es, dass die Aufklärung von den herrschenden Eliten letztlich für ihre ausbeuterischen, „zivilisatorischen“ Missionen instrumentalisiert wurde, doch in ihren Anfängen verkörperte sie eine höchst subversive Haltung. Das zeigt ein Blick auf Gotthold Ephraim Lessing, einen der namhaftesten Vertreter jenes Zeitalters, das wir „die Aufklärung“ nennen. Zu seinen Lebzeiten hatte er Probleme mit der Zensur, nach seinem Tod führte die Kontroverse über seinen angeblichen Pantheismus zu einem großangelegten Angriff auf die aufklärerische Konzeption der Vernunft.

»Blätter«-Ausgabe 9/2025

Sie haben etwa 4% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 96% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (5.00€)
Digitalausgabe kaufen (12.00€)
Druckausgabe kaufen (12.00€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe September 2025

In der September-Ausgabe plädiert Lea Ypi für eine Migrationsdebatte im Sinne der Aufklärungsphilosophie. Cinzia Sciuto fordert, der zunehmenden Aushöhlung des Völkerrechts mit einer entschiedenen Verteidigung desselben zu begegnen – und nicht mit Resignation und falschem Realismus. Für Georg Diez markieren die Kriegsverbrechen in Gaza und die fehlenden Reaktionen darauf einen Epochenbruch; sie stünden für nicht weniger als den Verrat des Westens an der Humanität. Herfried Münkler analysiert, wie Kriege historisch endeten und Friedenszeiten begannen und was das mit Blick auf den Ukrainekrieg bedeutet. Simone Schlindwein deckt auf, wie Russland junge Afrikanerinnen mit falschen Versprechen für die Kriegswirtschaft rekrutiert. Warum die grüne Digitalisierung ein Mythos ist und was der KI-Boom den Globalen Süden kostet, erläutern Ingo Dachwitz und Sven Hilbig. Und Eva-Maria Klinkisch sowie Markus Rieger-Ladich zeigen auf, wie Long Covid-Betroffene von der Gesellschaft und dem Gesundheitssystem systematisch ignoriert werden – und was dagegen zu tun ist. 

Zur Ausgabe Probeabo

Weitere Artikel zum Thema

Wir brauchen Fachkräfte – und schieben sie ab

von Lena Marbacher

Vor zehn Jahren, im Sommer 2015, sprach die damalige Bundeskanzlerin, Angela Merkel den berühmt gewordenen Satz: „Wir schaffen das!“. Trotz der damit suggerierten Offenheit gegenüber den vielen damals in Deutschland ankommenden Geflüchteten schob ihr Kabinett im darauffolgenden Jahr 25 375 Menschen ab.

Kanada als Vorbild: Fünf Punkte für nachhaltige Migration

von Naika Foroutan, Harald Bauder, Ratna Omidvar

Angetrieben von der AfD, die die jüngsten Anschläge durch Asylbewerber nutzt, um immer weitere Verschärfungen in der Migrationspolitik zu fordern, schlittert die Bundesrepublik gegenwärtig in eine aktionistische Abschottungspolitik, die jegliche Expertise aus Wirtschaft und Wissenschaft ignoriert. Seit Jahren wird dadurch hierzulande verhindert, dass dringend notwendige Weichen in der Migrationspolitik neu gestellt werden.