
Bild: »Der Holzarbeiter« von Wilhelm Morgen, 1911
Der Brexit, die Präsidentschaft von Donald Trump in den USA und der Aufstieg nationalistischer Parteien in Europa signalisieren unabweisbar eine Zeitenwende. Der fragile, durch eine lange Periode sozialer Auseinandersetzungen erkämpfte Zusammenhang von Kapitalismus und Demokratie, wie er für die Nachkriegsjahrzehnte kennzeichnend war, ist zerbrochen. Hinter der Fassade der deutschen Wirtschaftsdaten ist der Zerfall der gesellschaftlichen Ordnung unübersehbar. Einst verlässliche Normen und Institutionen haben an Substanz und Legitimität eingebüßt. Wir stehen damit nicht bloß partiellen Funktionsstörungen gegenüber, sondern einer Systemkrise.
Daher wachsen Ungewissheit und Orientierungslosigkeit. Das aber macht Nationalismus und die Abwehr von „Fremden“ für viele wieder anziehend: Es sind rückwärtsgewandte Reaktionen, nachdem Zukunftsversprechen nicht einmal mehr angeboten werden. Doch das „Volk“, das die Rechte beschwört, hat es nie gegeben. Es konstituiert sich erst durch die Setzung des „Fremden“ als Feind und die Entgegensetzung von „Volk“ und politischem Establishment.
Dabei sind es vor allem Verlusterfahrungen, die den Nährboden für den Aufstieg der Nationalisten bilden. Zentral ist ein dreifacher Verlust – von Kontrolle, Perspektiven und Traditionen.