Ausgabe Dezember 2019

Die antifeministische Internationale

Es waren krude Sätze, mit denen Stephan B., der Attentäter von Halle, seine Morde zu rechtfertigen versuchte: „Feminismus ist schuld an der sinkenden Geburtenrate im Westen, die die Ursache für die Massenimmigration ist. Und die Wurzel dieser Probleme ist der Jude.“ So wirr diese Verschwörungstheorie auch ist, steht sie doch exemplarisch für einen beunruhigenden Trend: Antifeminismus ist ein prägendes Motiv bei vielen Rechtsterroristen, sei es in Halle, Christchurch oder auf Utøya. Doch damit nicht genug: Weltweit haben sich Antifeminismus und konservativer Familismus in den vergangenen Jahrzehnten zu regelrechten Steigbügelhaltern für den Aufstieg von Rechtspopulisten und Autoritären entwickelt. Frauenfeindliche Ideologien fungieren dabei als Bindeglieder zwischen rechtskonservativen Sicherheits-, Migrations- und Bevölkerungsdiskursen. Es tobt ein Kulturkampf um die Definitionsmacht über Sexualität, Geschlecht und Familie sowie um sexuelle und reproduktive Rechte. Der zentrale Vorwurf an den Feminismus und den sogenannten Genderismus lautet: Sie würden die als natürlich oder gottgewollt behauptete patriarchale Ordnung zersetzen, „wehrhafte“, „mannhafte“ Maskulinität (Björn Höcke) unterminieren sowie soziale und kulturelle Identitäten zerstören. Verknüpft mit Migrationsabwehr und Rassismus werden Geschlechterfragen aus rechter Perspektive politisiert wie nie zuvor. Und zwar mit Erfolg: Die affektive Aufladung rechtspopulistischer Strömungen durch die Feindbilder Feminismus und Gender mobilisiert weltweit Unterstützung für autoritäre, illiberale und nicht-egalitäre Politik – und trägt zu ihrer Attraktivität für breite Bevölkerungsschichten bei.

Im Namen von Meinungsfreiheit und gesundem Menschenverstand – „das wird man ja wohl mal sagen dürfen“ – wird der „Genderismus“ als Hassobjekt konstruiert. Dieser totalitär klingende Begriff soll Angstphantasien und moralische Panik wecken. Es sei den Eliten in Politik und Medien gelungen, Gender und Gender-Mainstreaming im Kanon der „Political Correctness“ zu verankern, der nun der Bevölkerungsmehrheit in vielen Ländern aufgezwungen würde. Der Feminismus sei ein Eliteprojekt und würde nur für eine Minderheit sprechen. Demgegenüber reklamieren rechtspopulistische Kräfte bekanntlich, eine schweigende Mehrheit zu repräsentieren. Im Namen von Demokratie und Redefreiheit wird jetzt die liberale Demokratie als Raum von Emanzipation und individueller Wahlmöglichkeit attackiert.

 

Konterrevolution gegen die sexuelle Befreiung der 68er

Dieser Antifeminismus wurde seit den 1960er Jahren systematisch transnational als kulturelle Gegenrevolution konstruiert – gegen die Welle von Frauenbewegungen, die 68er-Bewegung, die Befreiungstheologie in Lateinamerika und den entsprechenden Liberalisierungs- und Demokratisierungsschub. Über Jahrzehnte hat eine Vielzahl evangelikaler und konservativ-katholischer Sekten – von der US-amerikanischen Billy Graham Association bis zu der in Brasilien gegründeten Organisation zum „Schutz von Tradition, Familie und Privateigentum“ – eine transnationale Anti-Abtreibungs-Lobby aufgebaut. Sie organisiert auf dem ganzen Globus „Märsche für das Leben“. Mit antikommunistischem Duktus verfolgten diese Sekten außerdem die imperiale Mission, eine christliche Wertehegemonie zu errichten und in Staaten wie Südkorea und den Philippinen Gesetzgebung und Verfassung zu moralisieren.

Gründerväter der „pro-life“-Internationale, wie der Benediktinerpater Paul Marx aus Minnesota, errichteten ein transnationales strategisches Netzwerk gegen die vermeintliche weltweite Zerstörung der Familie durch die „sexuelle Revolution“. Als „Missionar des Lebens“ bereiste er 90 Länder und förderte nationale Anti-Abtreibungs-Zellen mit Geldern, Publikationen und Konferenzen: von Irland bis zu den Philippinen, von Australien bis Lateinamerika. Ein international einflussreicher Erfolg der US-„Lebensschützer“ war 1984 die Einführung der Global Gag Rule durch Präsident Ronald Reagan. Die besagt, dass keine öffentlichen Mittel an Organisationen in den USA und im globalen Süden fließen sollen, die Abtreibung unterstützen. Donald Trump führte am ersten Tag seiner Amtszeit die Gag Rule wieder ein, nachdem sie mehrfach – zuletzt von Barack Obama – außer Kraft gesetzt worden war.

Auch Europa wurde im vergangenen Jahrzehnt zur Zielregion einer ultrakonservativen Mission aus den USA – mit Familismus als Flaggschiff gegen den Feminismus. Mehr als 50 Mio. Dollar flossen bereits von US-Organisationen an europäische Gruppierungen rechtspopulistischer und christlich-reaktionärer Couleur.[1] Zu diesem Feldzug trug nicht zuletzt auch Trumps Ex-Berater Steve Bannon bei: Er tourte vor der Europawahl mit illiberalen Botschaften und faschistoiden Gewaltphantasien quer durch Europa und drohte mit einem Sturm von Nationalisten auf die liberale Brüsseler Demokratie. Das Ziel war offensichtlich: Europa zu verunsichern und zu spalten.

Mit einem ähnlichen Ziel führte im März der World Congress of Families in Verona gleich drei Arten rechter Gruppierungen Europas zusammen: erzkonservative christliche Abtreibungsgegner*innen, rechtspopulistische zivilgesellschaftliche Kräfte und rechte Parteien. Wie bereits beim Weltfamilienkongress 2017, der mit Unterstützung Viktor Orbáns in Ungarn stattfand, wollte die Großveranstaltung unter Mitwirkung des damaligen italienischen Innenministers Matteo Salvini einen „Wind of Change“ nach Europa bringen und die Europawahl beeinflussen. Die drei versammelten reaktionären Fraktionen verschränken einen religiös motivierten „Lebensschutz“ und Familismus mit völkisch-rassistischen, nationalistischen und antimigrantischen Vorstellungen zu einem Autoritarismus, der sich gegen Feminismus und „Genderismus“ richtet. Ihre Losung für die Europawahl lautete: „Brexit, Bible and Borders could make Europe great again.“

Immer wieder treten zudem christliche – oft junge weibliche – Abtreibungsgegner*innen bei UN-Konferenzen auf, um zur Rettung von Mutterschaft und Familie aufzurufen. Naturalisierend argumentieren sie, dass Männer und Frauen „verschieden“ sind und dies eine unhintergehbare Voraussetzung und Grenze für Gleichstellungspolitik darstellt. Quotierung wird als verfehlte Gleichstellungsmaßnahme oder übertriebene „Gleichmacherei“ verunglimpft. Doch der globale Antifeminismus kommt nicht nur aus konservativ-christlichen Kreisen: Bei der Weltbevölkerungskonferenz 1994 in Kairo und der Weltfrauenkonferenz 1995 in Peking bildeten Vertreter des Vatikans und islamistischer Staaten eine „unheilige Allianz“ gegen die Durchsetzung sexueller und reproduktiver Rechte. Religiöse Kräfte etablieren so ein normatives Regime, das mit Moral und Sanktionsandrohung beansprucht, Ordnung (wieder-)herzustellen, indem es Körper, Sexualität und Bevölkerungen biopolitisch reguliert und andere Geschlechterrollen und individuelle Selbstbestimmung einschränkt oder gar verbietet.

Selbst in säkularen Staaten erscheint Religion heute längst nicht mehr als reine Privatsache. Vielmehr hat sie sich zu einer vermeintlich öffentlich relevanten Frage von kultureller Identität und Zugehörigkeit entwickelt. Insbesondere mit der christlichen Restauration in Polen und ganz Osteuropa dehnte sich das antifeministische und familistische Netzwerk aus, verbündete sich mit dem russisch-orthodoxen Klerus – und schließlich auch mit dem Putin-Regime. So entstanden ideologische Achsen zwischen West- und Osteuropa; zwischen La Manif Pour Tous („Die Demo für alle“), die in Frankreich gegen Ehe und Adoptionsrecht gleichgeschlechtlicher Paare kämpft, und Russlands Präsidenten Wladimir Putin, der mit einem Gesetz Kinder vor der angeblichen „Propaganda nicht-traditioneller sexueller Beziehungen“ schützen will.

Family first!

Doch wie funktioniert diese Verbindung von reaktionären Geschlechterbildern und nationalistischer Politik? Kultur- und kontinentüberschreitend glorifiziert der konservative Familismus die Familie als Keimzelle gesellschaftlicher Ordnung. Familie meint dabei heteronormativ Vater-Mutter-Kinder mit „natürlich“ zweigeschlechtlichen Rollen. Sie bildet die Grundfeste des Patriarchats, der Geschlechterhierarchie und hegemonialen Männlichkeit. Gleichzeitig wird das Narrativ „Family first!“ mit dem patriotisch-nationalistischen Muster „Nation first!“ verknüpft. So steigt der Slogan zum autoritären und rassistischen Kampfbegriff auf, der sowohl gegen individuelle Selbstbestimmungsrechte über Körper und Sexualität in Stellung gebracht wird als auch zur Abgrenzung gegen alles Fremde dient – und gleichzeitig Geborgenheit sowie emotionale Beheimatung verspricht.

Neofamilistische Netzwerke in Europa fokussieren dabei mit unterschiedlichen Strategien auf Elternrechte statt auf Frauen- bzw. individuelle Rechte: Die Gruppe Besorgte Eltern zum Beispiel protestiert transnational gegen die „Früh- und Hypersexualisierung“ ihrer Kinder. Gleichzeitig stellt sie sich gegen Anti-Diskriminierungs- und Pro-Diversitäts-Erziehung, um die „Einmischung des Staates“ in die Erziehung ihrer Kinder zurückzudrängen.[2] Die 2013 in Spanien gegründete Organisation CitizenGo versucht durch Onlinepetitionen familistische und antifeministische Kampagnen in 50 Ländern anzustoßen. Und mit dem erklärten Ziel der „Redefreiheit“ lobbyiert die US-amerikanische Alliance Defending Freedom im EU-Parlament und finanziert Gerichtsverfahren von Abtreibungsgegner*innen und Homophoben in Europa. Gleichzeitig fordern rechtspopulistische Gruppen und Parteien, unter anderem die AfD, die öffentlichen Mittel für frauen-, gender- und diversitätsunterstützende Maßnahmen zu streichen – von der Geschlechterforschung an Universitäten bis zu Frauennotrufen und Frauenhäusern.

Ein Novum sind jedoch andere Methoden dieses Kulturkampfes: Jenseits von demokratischer Diskussionskultur und Meinungspluralismus greifen diese Strömungen zu aggressiven und gewaltförmigen Mitteln. Sie verrohen die Sprache und brutalisieren zivile Umgangsformen. Im deutschsprachigen Raum wird massiv gegen geschlechtsgerechte Sprachformen gehetzt. Jedwede Kritik an Rechtspopulismus und Rassismus wird mit Hasstiraden und Provokationen durch Trolle in den sozialen Medien beantwortet. Mit Vergewaltigungs- und Morddrohungen sollen Genderforscher*innen und Kritiker*innen eingeschüchtert und mundtot gemacht werden.

Mütter als Bollwerk gegen die »Überfremdung«

Diese familien- und maskulinitätsbestärkende Bewegung ist aber auch eine Reaktion auf die neoliberale Politik der letzten Jahrzehnte und die globalisierte Ökonomie. Denn diese haben weltweit wirtschaftliche und soziale Unsicherheit geschaffen, Abstiegsängste geschürt und vielen Männern den Verlust ihrer Ernährerrolle beschert. Diese Krise der patriarchalen Männlichkeit durch soziale Abstiegsbedrohung wird umgedeutet – und zwar als eine Diskriminierung durch „männerfeindliche“ Gleichstellungsmaßnahmen. Maskulinistische Männer- und Vaterrechtsgruppen, die eine „humanistische Gegentheorie“ gegen den Feminismus auf der Internetplattform Wikimannia artikulieren, begreifen sich als neue Opfer und strukturell Unterjochte. Oft sind es weiße Männer, die mit einem Gestus weißer Vorherrschaft Rassismus und Antifeminismus verknüpfen, ihre Privilegien verteidigen und weibliche wie auch migrantische Konkurrenz auf den Arbeitsmärkten zurückweisen.

Das Pendant zur Figur des marginalisierten oder betrogenen Mannes ist im vergeschlechtlichten Rechtspopulismus[3] die Frau in der Rolle als Gebärerin und Mutter zum „Erhalt des Staatsvolks“. Insbesondere seit der Migrationsbewegung von 2015 wird sie völkisch-nationalistisch gegen die kinderreichen „Anderen“ in Stellung gebracht. Dazu sind auch Fake News recht: So behauptete die AfD in ihrem Parteiprogramm von 2016 fälschlicherweise, Deutschland habe die „niedrigste Geburtenrate in ganz Europa“. Formulierungen wie „Willkommenskultur für Neu- und Ungeborene“ oder „Mehr Kinder statt Masseneinwanderung“ zeigen außerdem, dass die anvisierte „aktivierende Familienpolitik“ der AfD als Politik gegen Migrant*innen konzipiert ist. Entsprechend diskreditiert die AfD alle Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf als „Staatsfeminismus“. Dieser schränke die Freiheit der Frauen ein, sich allein für die Mutter- und Familienrolle zu entscheiden. In diesem Kontext plädiert die AfD sogar für eine Verschärfung des Scheidungsrechts.[4]

Nicht nur die AfD bedient sich Topoi wie „Überfremdung“ und „Umvolkung“, um damit die vermeintliche Verdrängung nationaler Bevölkerungen in Europa durch die wegen höherer Geburtenraten vorgeblich wachsende migrantische, vor allem muslimische Bevölkerung zu beschwören. Die rechtsextreme Identitäre Bewegung verängstigt gezielt mit der Verschwörungstheorie des „großen Austauschs“ und plädiert für den Schutz des „Eigenen“ – für traditionelle Werte, Heimat- und Familienliebe. In Ungarn verkauft die Regierung Orbán die niedrige Geburtenrate als ein „ernstes Problem“ angesichts einer angeblich wachsenden Roma-Bevölkerung. Orbán führte Sozialmaßnahmen für Familien und Frauen ein – als Gratifikation für das Kinderkriegen. Und die regierende PiS in Polen ist zwar mit dem geplanten Abtreibungsverbot am massiven Widerstand der Polinnen gescheitert, verspricht aber eine Grundrente für Mütter von mindestens vier Kindern – ganz im Dienste des Ideals der Großfamilie.[5]

Während stereotype Muster von Patriarchat, Familismus und Mütterlichkeit weltweit erstarken, variieren die rechten Positionen zu Gleichgeschlechtlichkeit, Trans- und Intersexualität stark: In den meisten osteuropäischen und afrikanischen Ländern sind LGBTIQ-Rechte ebenso verhasst wie alles, was mit Gender zu tun hat. Dagegen zeigen sich ihre Pendants aus Westeuropa und Skandinavien flexibel, was homophobe und exkludierende Positionen betrifft. So wächst die Zahl der Frauen und Schwulen in Führungspositionen rechter Parteien. Im Zuge der rechtspopulistischen Abgrenzung gegen Immigrant*innen wird häufig homo- und/oder femo-nationalistisch behauptet, die eigene Gesellschaft sei toleranter als „andere Kulturen“,[6] vor allem als der Islam. Und das Militärregime in Thailand treibt unter dem Applaus der Weltbank den „Homonationalismus“ noch einmal weiter: Es vermarktet regelrecht seine queere Szene, die gesellschaftlich stark verankert ist, und nutzt Queerpersonen als liberales und demokratisches Aushängeschild, um den Tourismus zu fördern.

Trotz dieser Unterschiede gilt: Ob die AfD höhere Geburtenraten als notwendig postuliert, um das Schrumpfen des deutschen „Staatsvolks“ zu verhindern; ob Putin mit völkischem Gestus russische Frauen zur Geburt von drei Kindern als Bollwerk gegen die Immigration aus den früheren Sowjetrepubliken auffordert; oder ob Erdog˘an gar auf fünf Kinder drängt, um die aufstrebende Macht der Türkei und die Position der Auslandstürken in Europa zu stärken: Der wachsende Nationalismus versucht, über den Körper und die Gebärfähigkeit von Frauen zu bestimmen. Dieser Neofamilismus ist autoritär, denn er lässt keinen Raum für Emanzipation und individuelle Selbstbestimmungsrechte.

Kulturkämpfe im globalen Süden

Im globalen Süden profitierten feministische und LGBTIQ-Bewegungen in der jüngeren Vergangenheit von Demokratisierungsanstrengungen und erkämpften sich Rechte und Respekt. Doch auch dort erstarken Rechtspopulismus, Neoliberalismus und Autoritarismus, auch dort ist die Gegenrevolution spürbar: In verschiedenen lateinamerikanischen Ländern, in denen Feministinnen sich zunehmend gegen Abtreibungsverbote und Frauenmorde organisieren, verbündeten sich Evangelikale und konservative Katholik*innen in Gegenkampagnen. Sie meinen, Kinder vor der „Genderideologie“ des schulischen Sexualkundeunterrichts schützen zu müssen. Dieser Backlash kulminierte 2017 in Brasilien in Protesten mit antisemitischer Stoßrichtung gegen die Gendertheoretikerin Judith Butler sowie in der Unterstützung der Pfingstkirchen für den Wahlkampf des rechtsextremen Jair Bolsonaro. Dessen Geschlechterpolitik richtet sich gleichermaßen gegen verfassungsmäßig garantierte Rechte wie demokratische Werte.[7] Auch hier soll die „intakte Familie“ die durch den Neoliberalismus verursachten sozialen Schäden auffangen. So werden die Ursachen verschoben: von der sozialen Destruktivität neoliberaler Politik zum angeblich destabilisierenden Einfluss von Feminismus und „Genderideologie“ – während patriarchale Kontrolle über Körper und Sexualität in der Gesellschaft Sicherheit und Ordnung garantieren soll.

Das Vorbild sind dabei die USA: Autoritäre Politiker wie Jair Bolsonaro und der philippinische Präsident Rodrigo Duterte brüsten sich damit, dem vulgären sexistischen Machopopulismus Trumps nachzueifern. Sie betten ihren Antifeminismus in eine gewaltförmige Agenda von Recht und Ordnung gegen (Drogen-)Kriminalität ein. Die sexistischen und misogynen Ausfälle von Duterte dienen der Selbstdarstellung als starker Mann, aber auch der Einschüchterung und Delegitimierung kritischer und feministischer Kräfte. Seine Haudegenmethode bestärkt das Klima sexueller Gewalt auf den Philippinen, stellt Verachtung für demokratische Strukturen und für Menschen-, Frauen- und LGBTIQ-Rechte zur Schau und schränkt Räume für entsprechende zivilgesellschaftliche Kämpfe ein. Gleichzeitig etikettiert Duterte seinen mörderischen Feldzug gegen (vor allem kleine) Drogendealer als „frauenfreundlich“, schließlich sei Drogenkonsum die Ursache von Vergewaltigungen.

Solch antiemanzipatorische Deutungen von Frauenfreundlichkeit und Gleichstellung finden sich häufig in autoritären Regimen. In Indonesien machen konservativ-islamische Kräfte von unten mobil gegen kulturelle Veranstaltungen von Feministinnen und LGBTIQ-Personen. Sie kämpfen unter anderem gegen ein von der nationalen Frauenkommission vorgeschlagenes Gesetz gegen sexuelle Gewalt sowie gegen Indonesiens bislang noch recht liberale Gesetzgebung zu Homosexualität. Diese seien nicht vereinbar mit islamischen und indonesischen Wertevorstellungen, behaupten reaktionäre Frauengruppen wie die Familienliebe-Allianz AILA. Deshalb kandidierten konservative Musliminnen bei den letzten Wahlen und bedienten sich der Frauenquote, einer Errungenschaft der Frauenbewegung, um ihre antifeministischen und Anti-Diversitäts-Ziele im Parlament durchsetzen zu können.[8]

Ihre Botschaft, dass die traditionelle islamische Familie die Lösung für Probleme sexualisierter Gewalt und abweichender sexueller Orientierungen sei, verbreitet AILA über soziale Medien wie Instagram, WhatsApp und Facebook. Dort übt sie massiven Druck auf andere Frauen aus und ist auch in feministische Kreise vorgedrungen, wo sie vordergründig dasselbe Ziel wie Feminist*innen bedient: Frauen zu schützen. Das gilt allerdings nur für solche Frauen, die sich nicht gegen ihre Rollen als Ehefrauen, Mütter, Familienmitglieder, als Ressource für soziale und biologische Reproduktion und Hüterin von althergebrachten Werten auflehnen.

Chauvinismus unter dem Deckmantel der Frauenfreundlichkeit

In Indien fielen die Ergebnisse der diesjährigen Wahlen ebenso ambivalent aus wie in Indonesien: Noch nie wurden so viele weibliche Abgeordnete gewählt und noch nie haben so viele Frauen überhaupt abgestimmt. Jedoch votierten sie vor allem für konservativ-religiös eingefärbte Parteien. Die nationalistischen und religiösen Identitäten der rechtskonservativen, autoritären Parteien vermitteln den Frauen offenbar ein Gefühl von Sicherheit. So verschwimmen Kategorien wie fortschrittlich oder traditionell, links oder rechts, frauenfreundlich oder -feindlich, gleichstellend oder diskriminierend.

Auch in Indien sind Anti-Gender- und familistische Strategien Teil einer autoritären, identitätspolitischen Agenda. BJP-Premierminister Narendra Modi inszeniert sich als moralisch unbescholtenen, zölibatär lebenden Identitäts- und Ordnungsgaranten. Die seit 2014 regierende hindu-chauvinistische „Indische Volkspartei“ (BJP) betreibt eine antifeministische Politik, ohne sie so zu benennen. Gleichstellungs- und Anti-Diskriminierungs-Maßnahmen an Universitäten werden eingestellt, Frauen- und Genderstudien eingeschränkt, Geschlechterforscherinnen, feministische Wissenschaftlerinnen und neuerdings auch kritische Rechtsanwält*innen behindert und diskreditiert. Außerdem wird im Zuge einer hindu-identitären Gleichschaltung zunehmend Einfluss auf die Lehrinhalte an Universitäten und die Curricula an Schulen genommen.

Die Anti-Gewalt-Politik der BJP zeigt den eklatanten Unterschied zum starken indischen Feminismus: Die BJP sieht Frauen als Opfer von Gewalt, die geschützt werden müssen – beziehungsweise sich selbst durch Kleidungsstil, Zurückhaltung und Häuslichkeit schützen sollen. Statt also Gewaltverhältnisse zu verändern und Frauen mehr Freiheiten zu eröffnen, werden ihre Freiheiten weiter beschnitten.

Gleichzeitig profiliert sich die BJP mit widersprüchlichen Weiblichkeitsbildern. Einerseits behauptet sie sich als Traditionshüterin: So stellte sich die rechtskonservative Partei gegen den Obersten Gerichtshof, der den Ausschluss von Frauen im Menstruationsalter vom Besuch eines berühmten Tempels als verfassungsfeindlich verurteilt hatte. Im Wahlkampf betrieb die BJP eine dezidiert familienorientierte Frauenpolitik – zum Beispiel verteilt sie Gaszylinder zum Kochen. Andererseits heroisiert sie eine „Ausnahmeweiblichkeit“ von Frauen, die jenseits der Familie ihr Leben in den „Dienst der Hindu-Nation“ stellen: Ihre paramilitärische Kader-Frauenorganisation Durga Vahini bildet seit fast 30 Jahren Frauen an der Waffe zu maskulin und martialisch gestylten „Kriegerinnen“ aus. Deren Botschaft lautet: Wir sind bereit, die „Hindu-Nation“ gegen innere und äußere Feinde zu verteidigen – vor allem gegen Muslime. In diesem immer aggressiveren Kampf für die nationalistisch-hinduistische Kultur- und Identitätshoheit wird auch Stimmung gemacht gegen Lebensentwürfe von LGBTIQ-Personen. Dabei ist ein drittes Geschlecht in Indien kulturell und rechtlich etabliert. Und erst 2018 setzte der Oberste Gerichtshof endgültig die Kriminalisierung von Homosexualität außer Kraft, die die britischen Kolonialherren 1864 eingeführt hatten.

Letztendlich zielen die unterschiedlichen Varianten von Antifeminismus, Anti-Gender und Familismus im Verbund mit konservativ-völkischen oder identitär-religiösem Gedankengut alle auf das Gleiche: emanzipatorische Positionen in ihre Schranken zu verweisen sowie herrschaftskritische und egalitäre Kräfte zu diskreditieren. Dabei entwickelt der Antifeminismus eine autoritative Eigendynamik – und zwar selbst aus der „Mitte der Gesellschaft“ hinaus. Wie verschiedene Geschlechter miteinander leben wollen, ist ihm keine Frage demokratischer Aushandlungsprozesse, sondern vorgeordneter Normen. Deswegen muss der Kampf für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit immer auch ein feministischer sein.

[1] Vgl. Claire Provost und Mary Fitzgerald, Trump-linked Christian fundamentalists are pouring dark money into Europe, boosting the far right, in: „Nation of Change”, 30.3.2019.

[2] Vgl. Andreas Kemper, Keimzelle der Nation – Teil 2. Wie sich in Europa Parteien und Bewegungen für konservative Familienwerte, gegen Toleranz und Vielfalt und gegen eine progressive Geschlechterpolitik radikalisieren, Friedrich-Ebert-Stiftung 2014.

[3] Vgl. Birgit Sauer, Demokratie, Volk und Geschlecht. Radikaler Rechtspopulismus in Europa, in: Katharina Pühl und Birgit Sauer, Kapitalismuskritische Gesellschaftsanalyse. Queer-feministische Positionen, Münster 2018, S. 179-196.

[4] Vgl. Andreas Kemper, Keimzelle der Nation? Familien- und geschlechterpolitische Positionen der AfD, Friedrich-Ebert-Stiftung, Berlin 2014.

[5] Vgl. Elisa Gutsche (Hg.), Triumph der Frauen? The Female Face of the Far Right in Europe, Friedrich-Ebert-Stiftung 2018.

[6] Vgl. Jasbir Puar, Terrorist Assemblages: Homonationalism in Queer Times, Durham 2007; Sara Farris, Die politische Ökonomie des Femonationalismus, in: „Feministische Studien“ 2/2011, S. 321-334.

[7] Vgl. Flavia Biroli, The crisis of democracy and the backlash against gender. Expert paper prepared for UN Women, Beijing+25, New York 2019.

[8] Vgl. Dyah Ayu Kartika, An anti-feminist wave in Indonesia’s election?, www.newmandala.org, 14.10.2019; Dyah Ayu Kartika, The post-election challenges for Indonesia’s feminist movement, www.newmandala.org, 25.7.2019.

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