Ausgabe August 1990

Die Grauzone des Wartens

Zur jüdischen Selbstfindung auf deutschem Boden

Die friedliche Revolution hat Folgen gezeitigt, die Phase der Restauration, Begleiterscheinung jeder Umwälzung, löst deutliches Unbehagen aus. Das Wort Stalinismus ist en vogue, die Vergangenheit gibt sich passé, die Zukunft ist ungewiß. Über die spezifisch deutsche Vorgeschichte wird bislang kaum aufs Neue nachgedacht. Das Jahr 1945 scheint in Vergessenheit geraten. Im Einheitsrausch sind die Ursachen der Landesteilung aus dem Blickwinkel gekommen und jüdische Vorbehalte unerwünscht, die sich mit der Sorge jener verbinden, denen DDR-Souveränität als Garant zweier demokratischer Deutschländer, ausgerichtet an Europa, am Herzen lag. Heute, so will mir scheinen, ist es schwerer denn je, dem Thema jüdischer Integration in der DDR gerecht werden zu wollen. Alle Voraussetzungen sind in Frage gestellt. Was ist, was war das Thema Juden in Deutschland und wie wird es sich zukünftig in welches Umfeld einordnen lassen?

Die Integrationsfrage wurde bislang, so absonderlich das klingen mag, aus dem starren DDR-Selbstverständnis staatlicher Politik beantwortet. Jude war demnach, so die Übereinkunft, wer sich als Mitglied einer der acht Religionsgemeinden eingeschrieben hatte. Heute sind das rund 350 Personen. Auf sie trifft die halachische Definition zu, von jüdischen Müttern geboren oder konvertiert zu sein.

August 1990

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