Ausgabe Dezember 1990

Deutsche Einheit - aber was ist das?

Zwischen föderalen und zentralistischen Traditionen

1. Der Kontext der deutschen Einheit

Die deutsche Einheit ist nicht das, wofür sie meistens, zumal von deutschen Politikern, gehalten wird: eine Frage, die die Deutschen in souveränem nationalem Alleingang beantworten könnten, nachdem sie sich in der europäischen und der atlantischen Runde versichert haben, man werde die zu erwartende Antwort wohlwollend tolerieren.

Denn auch die, die dieser Antwort vor allem in Osteuropa mit Bangen oder gar mit heimlichem Ingrimm entgegensehen, sind angesichts der obwaltenden Machtverhältnisse gehalten, sie wenigstens hinzunehmen, wenn auch weniger wohlwollend als andere. Nein - die deutsche Einheit, das ist die Frage nach der Verfassung eines endlich befriedeten Europa, nach dem Ende der Ära von Weltkrieg 1 und 2, und nach dem Ende des Epiloges dieser Ära, dem Kalten Krieg der Supermächte mit seiner Abgrenzung von Einflußsphären. Zu ihr ist es gekommen, weil die Anti-Hitler-Koalition kein Konzept für die Verfassung des von den Weltkriegen politisch, moralisch und physisch verheerten Europa besaß. In Ermangelung eines solchen Nach-Welt-Kriegs-Konzeptes kam es dazu, daß die wirtschaftlich stärkere und vom Hitlerkrieg weniger betroffene Seite, die 3 Westalliierten, den größeren Teil Deutschlands ihrem Wirtschafts- und Machtbereich eingliederten, was von den betroffenen Deutschen nur zu bereitwillig akzeptiert wurde.

Dezember 1990

Sie haben etwa 5% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 95% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (1€)
Digitalausgabe kaufen (10€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe September 2025

In der September-Ausgabe plädiert Lea Ypi für eine Migrationsdebatte im Sinne der Aufklärungsphilosophie. Cinzia Sciuto fordert, der zunehmenden Aushöhlung des Völkerrechts mit einer entschiedenen Verteidigung desselben zu begegnen – und nicht mit Resignation und falschem Realismus. Für Georg Diez markieren die Kriegsverbrechen in Gaza und die fehlenden Reaktionen darauf einen Epochenbruch; sie stünden für nicht weniger als den Verrat des Westens an der Humanität. Herfried Münkler analysiert, wie Kriege historisch endeten und Friedenszeiten begannen und was das mit Blick auf den Ukrainekrieg bedeutet. Simone Schlindwein deckt auf, wie Russland junge Afrikanerinnen mit falschen Versprechen für die Kriegswirtschaft rekrutiert. Warum die grüne Digitalisierung ein Mythos ist und was der KI-Boom den Globalen Süden kostet, erläutern Ingo Dachwitz und Sven Hilbig. Und Eva-Maria Klinkisch sowie Markus Rieger-Ladich zeigen auf, wie Long Covid-Betroffene von der Gesellschaft und dem Gesundheitssystem systematisch ignoriert werden – und was dagegen zu tun ist. 

Zur Ausgabe Probeabo

Weitere Artikel zum Thema

Politik vor Recht: Die Aushöhlung der liberalen Demokratie

von Miguel de la Riva

Als der FPÖ-Chefideologe und heutige Parteivorsitzende Herbert Kickl im Januar 2019 in einem ORF-Interview darauf angesprochen wurde, dass seine Asylpläne an die Grenzen von EU-Recht, Menschenrechtskonvention und Rechtsstaat stoßen, antwortete der damalige österreichische Innenminister, „dass das Recht der Politik zu folgen hat und nicht die Politik dem Recht“.

Ernst, aber nicht hoffnungslos

von Thorben Albrecht, Christian Krell

Spätestens seit Ralf Dahrendorfs berühmt gewordener These vom „Ende des sozialdemokratischen Jahrhunderts“ gehören SPD-Niedergangsprognosen zu den Klassikern der parteibezogenen Publizistik. Die Partei hat diese Prognose bisher um 42 Jahre überlebt. Aber das konstituiert keine Ewigkeitsgarantie.