Ausgabe Mai 1990

Entschließung des Zentralbankrates der Deutschen Bundesbank vom 29. März 1990 (Wortlaut)

Im Hinblick auf die beabsichtigte politische Vereinigung der beiden deutschen Staaten und die in diesem Zusammenhang vorgesehene Ausweitung des Währungsgebietes der D-Mark auf das Gebiet der DDR hält der Zentralbankrat folgende Regelungen im Rahmen eines Staatsvertrages mit der DDR für unerläßlich (Ziffer 1 sowie 3 bis 6) beziehungsweise wünschenswert (Ziffer 2):

Umtauschkurs von zwei zu eins

1. Alle am Umstellungstag auf Mark der DDR lautenden Schuldverhältnisse (einschließlich der Verbindlichkeiten aus laufenden Transaktionen) sind im Verhältnis 2 Mark der DDR zu 1 D-Mark umzustellen. Ausgenommen hiervon sind Bankguthaben von natürlichen Personen (einschließlich des auf diese Guthaben eingezahlten Bargeldes) bis zu einem Betrag von 2000 Mark je Einwohner der DDR, die im Verhältnis 1 zu 1 umgestellt werden. Über die Bankkonten kann nach Umstellung frei verfügt werden.

2. Im Hinblick auf die notwendigen Abstriche an den über 2000 D-Mark je Kopf hinausgehenden privaten Einlagen soll die Bundesregierung in Verhandlungen mit der DDR auf eine Regelung hinwirken, die eine Beteiligung der Sparer an dem Treuhandvermögen und Privatisierungsvermögen in der DDR sicherstellt.

3. Der Staatsvertrag muß sicherstellen, daß in der DDR auf währungspolitischem Gebiet ausschließlich das Bundesbankgesetz und die von der Bundesbank erlassenen Anordnungen gelten. Dazu gehört, daß die geldpolitischen Entscheidungen des Zentralbankrates in der DDR durchgesetzt werden können.

4. Zur Erfüllung ihrer Aufgaben muß die Deutsche Bundesbank für das Gebiet der DDR vorläufig eine Verwaltungsstelle in Berlin und zirka 15 Zweiganstalten in der DDR errichten können.

5. Das Kreditwesengesetz ist in der DDR einzuführen, die Niederlassungsfreiheit für Kreditinstitute aus der Bundesrepublik Deutschland und dem Ausland zu gewähren; Vorschriften über Zinsbindungen und Devisenbeschränkungen sind aufzuheben.

6. Die Kreditaufnahme öffentlicher Stellen in der DDR ist zu limitieren. Bei seiner Empfehlung an die Bundesregierung ließ sich der Zentralbankrat vor allem davon leiten, daß mit der Einführung der D-Mark in der DDR die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft der DDR nicht geschwächt, sondern möglichst gestärkt werden soll, denn mit der D-Mark gilt in der DDR eine voll konvertible Währung, und ihre Wirtschaft muß dann im Wettbewerb mit allen Industrieländern bestehen können. Gleichzeitig sind bei der Umstellung soziale Aspekte zu berücksichtigen. Aus der Sicht der Bundesbank ist vor allem auch sicherzustellen, daß die D-Mark weiterhin stabil bleibt. Die gegenwärtige Lage erlaubt es nicht, den Umstellungssatz an einem realistischen Wechselkurs abzulesen, denn die D-Mark wird offiziell zur Zeit in der DDR teils im Verhältnis 4,4 zu 1; 3 zu 1 und 2,4 zu 1 umgerechnet, in keinem wichtigen Fall aber 1 zu 1. Ein Umstellungssatz 1 zu 1 würde in der Tat die Wirtschaft der DDR einer Verschuldung und einem Kostenniveau aussetzen, dem die meisten Betriebe nach Auffassung der Bundesbank im internationalen Wettbewerb nicht gewachsen wären. Die DDR selbst hat in der Expertenkommission für die Schulden der Betriebe einen Umstellungssatz von 2 zu 1 oder 2,5 zu 1 vorgeschlagen. Aber auch für die Schulden des Wohnungswesens und des Staates kann die DDR einen dann in D-Mark und schließlich zu D-Mark-Zinsen zu leistenden Schuldendienst nicht aufbringen, wenn 1 zu 1 umgestellt würde.

Staatsverschuldung der DDR

Wenn aber die Aktiva der Kreditinstitute in der DDR 2 zu 1 umgestellt werden, die Passiva, also die Bankeinlagen und der Bargeldumlauf, 1 zu 1 umgestellt würden, entstünde der Zwang, bei den Kreditinstituten Ausgleichsforderungen gegenüber dem Staat in Höhe von 50 bis 100 Milliarden D-Mark einzustellen, die marktgerecht zu verzinsen wären, um die Kreditinstitute in der DDR in die Lage zu versetzen, Zinsen auf eine 1 zu 1 umgetauschte Passivseite zahlen zu können. Die weitere Entwicklung der Staatsverschuldung der DDR muß aber schon heute als sehr kritisch eingeschätzt werden. Ein Umstellungssatz von 2 zu 1 für Bargeld und Bankguthaben ist nach Auffassung der Bundesbank zumutbar, weil heute eine Mark der DDR nicht annähernd eine D-Mark wert ist; vielmehr bedeutet ein Umtausch der Bankguthaben 2 zu 1 eine erhebliche "reale" Aufwertung ihrer Ersparnisse, das heißt die Sparer können damit viele Waren billiger und in besserer Qualität kaufen als bisher. Um den besonderen sozialen Aspekten Rechnung zu tragen, schlägt die Bundesbank vor, jedem Bürger der DDR die Möglichkeit zu geben, 2000 DDR-Mark 1 zu 1 gegen D-Mark umtauschen zu können; eine vierköpfige Familie zum Beispiel könnte das bis zum Betrag von 8000 Mark der DDR tun. Mit dieser Sonderregelung würden die Ersparnisse des größten Teils der Sparer in der DDR voll 1 zu 1 umgestellt werden. Die Bundesbank glaubt, diese Ausnahme geldpolitisch verantworten zu können. Die Bürger der DDR könnten unmittelbar nach der Umstellung frei über ihre gesamten D-Mark-Konten verfügen.

Auch längerfristige Anlagen

Dabei geht die Bundesbank davon aus, daß die Kreditinstitute in der DDR dann den Sparern auch alle längerfristigen Anlagemöglichkeiten mit vergleichsweise hohen Zinsen bieten werden, so wie das in der Bundesrepublik der Fall ist. Überdies empfiehlt die Bundesbank, daß die DDR das sogenannte volkseigene Vermögen unter anderem dafür nutzt, den Sparern für den Entgang an nominalen Vermögen bei der Umstellung verbriefte Anteilsrechte an diesem Vermögen einzuräumen. Für die Wettbewerbsfähigkeit der DDR-Wirtschaft wird es von entscheidender Bedeutung sein, wie die laufenden Verbindlichkeiten aus Arbeitsverträgen, Rentenansprüchen, Mietverhältnissen und so weiter umgestellt werden. Dieses Problem wird dadurch erschwert, daß gegenwärtig in der DDR eine völlig unrealistische Preis- und Kostenstruktur besteht. Es stellt sich dabei die Frage, ob die gröbsten Verzerrungen, die insbesondere durch staatliche Subventionen für Konsumgüter in Höhe von rund 50 Milliarden Mark der DDR oder fast einem Drittel aller Verbrauchsausgaben entstanden sind, vor der Umstellung aufgehoben und dafür Preiserhöhungen zugestanden werden. Geschieht das, wofür vieles - auch nach bisheriger Meinung der DDR - spricht, so müssen auch Löhne und Renten angehoben werden.

Ein solches höheres Lohnniveau könnte aber nicht 1 zu 1 umgestellt werden, ohne die schon geringe Wettbewerbsfähigkeit der DDR weiter gravierend zu schwächen. Nach der Lohn- und Rentenanpassung empfiehlt sich hierfür ein Umstellungssatz von 2 zu 1; er läuft nicht auf eine auch nach Auffassung der Bundesbank unzumutbare Halbierung gegenüber den jetzigen nominalen Werten hinaus, sondern auf ein NettoRealeinkommen nach Einführung der D-Mark, das eher höher ist als bisher. Nach der Umstellung ist es Sache der Betriebe und Gebietskörperschaften der DDR, mit den Arbeitnehmern und ihren Vertretungen neue Lohnverträge auszuhandeln. Würden aber die Löhne 1 zu 1 umgestellt und würde die unrealistische Preisstruktur erst nach der Umstellung entzerrt, so bestünde die Gefahr, daß die dann notwendigen kräftigen Preiserhöhungen für den sogenannten Grundbedarf eine Preis-Lohn-Spirale auslösten - eine Gefahr, auf die die Bundesbank aus ihrer primären Verantwortung für die Stabilität des Geldwertes der D-Mark von vornherein aufmerksam machen muß und die es zu verhindern gilt.

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