Vor einigen Tagen erhielt ich einige Interview-Fragen von einer nordamerikanischen christlichen Zeitschrift. Die erste Frage lautete: "Können Ost- und Westdeutschland die besten Eigenschaften ihrer beiden Gesellschaften vereinigen, um so eine gerechtere und menschlichere Ordnung herzustellen?" Man muß vielleicht weit entfernt sein, um eine solch einfache Frage stellen zu können. Immerhin erinnert sie daran, daß in einer Vereinigung jeder Partner Neues und Eigenes einbringt, die eigenen Erfahrungen, Ängste und Hoffnungen mitbringt. Was wir statt dessen erleben, ist Anschluß oder Vereinnahmung, und der einfache Gedanke, daß auch die DDR etwas zu geben habe, das uns hier bereichern und verbessern könnte, scheint von einem anderen Stern zu stammen. Nein, werde ich also antworten müssen, das Ziel ist nicht, "to produce a more just and human order", sondern die bestehende Ordnung des demokratischen Kapitalismus wird als die einzig mögliche sinnvolle Ordnung angesehen; der Beweis dafür ist ihre wirtschaftliche Effizienz. Andere Kriterien sind irrelevant. Eine andere besorgte Frage geht auf das Wiedererstarken von deutscher Fremdenfeindlichkeit und deutschem Antisemitismus durch die Wiedervereinigung. Ich halte die erste Gefahr für die größere. Die Verschärfungen im Ausländerrecht weisen darauf hin. Manchmal frage ich mich, ob wir wirklich an einem europäischen Haus bauen oder eine deutsche Festung errichten.
In der November-Ausgabe ergründen Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey die Anziehungskraft des demokratischen Faschismus. Frank Biess legt die historischen Vorläufer von Trumps autoritärer Wende offen – ebenso wie die Lebenslügen der Bundesrepublik. Daniel Ziblatt zieht Lehren aus der Weimarer Republik für den Umgang mit den Autokraten von heute. Annette Dittert zeigt, wie Elon Musk und Nigel Farage die britische Demokratie aus den Angeln zu heben versuchen. Olga Bubich analysiert, wie Putin mit einer manipulierten Version der russischen Geschichte seinen Krieg in der Ukraine legitimiert. Ute Scheub plädiert für die Umverteilung von Wohlstand – gegen die Diktatur der Superreichen. Sonja Peteranderl erörtert, inwiefern sich Femizide und Gewalt gegen Frauen mit KI bekämpfen lassen. Und Benjamin von Brackel und Toralf Staud fragen, ob sich der Klimakollaps durch das Erreichen positiver Kipppunkte verhindern lässt.