Ausgabe März 2025

Dialektik der Unterwerfung

Zur postkolonialen Konstellation in Ostdeutschland

Im Stahl- und Walzwerk Maxhütte in Unterwellenborn, Thüringen, nach der letzten Schicht im Juli 1992. Aus dem VEB wurde nach der Wende eine GmbH im Besitz der Treuhandanstalt. Treuhandverfahren wie dieses ließen die Freiheits- und Partizipationsversprechen der westlichen Demokratie hohl klingen (IMAGO / fossiphoto)

Bild: Im Stahl- und Walzwerk Maxhütte in Unterwellenborn, Thüringen, nach der letzten Schicht im Juli 1992. Aus dem VEB wurde nach der Wende eine GmbH im Besitz der Treuhandanstalt. Treuhandverfahren wie dieses ließen die Freiheits- und Partizipationsversprechen der westlichen Demokratie hohl klingen (IMAGO / fossiphoto)

Vor 35 Jahren, am 18. März 1990, wählten die Menschen in der DDR zum ersten und einzigen Mal in einer freien Wahl die Volkskammer. Ein Akt der Selbstbestimmung, der gleichzeitig den Anfang vom Ende des Staates markierte. Die Befürworter einer schnellen „Wiedervereinigung“ hatten gewonnen. Doch auch 35 Jahre nach dem Ende der DDR existiert auf ihrem Territorium eine, in vielen demoskopischen Erhebungen und Wahlergebnissen ablesbare, vom Westen deutlich unterscheidbare politische Kultur.[1]

Die Integration der „neuen Länder“ sollte nach dem Erfolgsmodell der alten Bundesrepublik vonstattengehen: eine demokratische Verfassung und die entsprechenden Institutionen, dazu erhebliche Transferleistungen à la Marshallplan, den Rest sollte die Zeit erledigen. Diese Rechnung ist offensichtlich nicht aufgegangen. Im Wesentlichen aus zwei Gründen: Erstens fiel – anders als in den Nachkriegsjahrzehnten in der BRD – die Demokratisierung der neuen Bundesländer nicht in eine Phase mit kontinuierlichem Wachstum, wie in den „Trente Glorieuses“ im Westen. Zweitens war der Kapitalismus, in den die ostdeutsche Wirtschaft integriert wurde, nicht mehr ein national eingegrenzter, „rheinischer“, sondern ein global organisierter Kapitalismus. Dieser konnte eine Bevölkerung von 16 Millionen problemlos mit allen Konsumgütern versorgen, ohne auf dem Gebiet des verblichenen Staates alte Produktionsstätten fortführen oder dafür gar neue errichten zu müssen.

»Blätter«-Ausgabe 3/2025

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In der Oktober-Ausgabe wertet Seyla Benhabib das ungehemmte Agieren der israelischen Regierung in Gaza als Ausdruck einer neuen Ära der Straflosigkeit. Eva Illouz ergründet, warum ein Teil der progressiven Linken auf das Hamas-Massaker mit Gleichgültigkeit reagiert hat. Wolfgang Kraushaar analysiert, wie sich Gaza in eine derart mörderische Sackgasse verwandeln konnte und die Israelsolidarität hierzulande vielerorts ihren Kompass verloren hat. Anna Jikhareva erklärt, warum die Mehrheit der Ukrainer trotz dreieinhalb Jahren Vollinvasion nicht zur Kapitulation bereit ist. Jan Eijking fordert im 80. Jubiläumsjahr der Vereinten Nationen mutige Reformen zu deren Stärkung – gegen den drohenden Bedeutungsverlust. Bernd Greiner spürt den Ursprüngen des Trumpismus nach und warnt vor dessen Fortbestehen, auch ohne Trump. Andreas Fisahn sieht in den USA einen „Vampirkapitalismus“ heraufziehen. Und Johannes Geck zeigt, wie rechte und islamistische Rapper Menschenverachtung konsumierbar machen.

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