
Bild: Ein Graffito an der Hauswand der »Doro« in Limbach-Oberfrohna. 2010 attackierte ein Neonazi zwei Vereinsmitglieder. Dann zündete er die »Doro« an, die bis zum ersten Stock ausbrannte (Foto: Robert Weis)
In der Bundespolitik ist das Entsetzen über den Erfolg der AfD bei der Bundestagswahl noch immer groß. In allen ostdeutschen Flächenländern und in 43 von 48 Wahlkreisen wurde die in weiten Teilen rechtsextreme Partei stärkste Kraft, in Görlitz und im Kreis Sächsische-Schweiz-Osterzgebirge erhielt sie beinahe 50 Prozent der Stimmen. Und während man in Berlin noch damit beschäftigt ist, angesichts der neuen Kräfteverhältnisse im Bundestag eine tragfähige Koalition zustande zu bringen, weiten die extrem rechten Kräfte ihre Dominanz in vielen ländlichen Räumen Ostdeutschlands weiter ungehindert aus. Was aber bedeutet das für die demokratische Zivilgesellschaft, die sich hier gegen rechts, für kulturelle Vielfalt und die Rechte von geflüchteten, queeren oder behinderten Menschen engagiert?
Robert Weis ist resigniert, als er Ende Februar über die Ergebnisse der Bundestagswahl spricht. Der 32-Jährige lebt im sächsischen Limbach-Oberfrohna. Bereits sein halbes Leben engagiert er sich zivilgesellschaftlich in der Kleinstadt, die etwa 15 Autominuten von Chemnitz entfernt liegt. Im vergangenen Jahr hat er mit dem demokratischen Verein „soziale und politische Bildungsvereinigung Limbach-Oberfrohna“ politische Infoveranstaltungen, Konzerte, Filmvorführungen und Sprachcafés mit Geflüchteten organisiert. Am 23. Februar wählten 41,6 Prozent[1] der Einwohner:innen den Direktkandidaten der hier vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuften AfD, Maximilian Krah.
Weis war 16 Jahre alt, als er gemeinsam mit Freund:innen die Bildungsvereinigung gründete. Kurz darauf eröffneten sie einen Kultur- und Veranstaltungsraum, da sie sich im von Rechten dominierten Jugendclub nicht sicher fühlten. „Die Doro“, wie sie den Ort nennen, hat einen großen Garten und bunte Graffiti an den von Rissen durchzogenen Außenwänden, die mit Hilfe von Stahlträgern aufrecht gehalten werden. Innen gibt es einen Konzertraum mit Bühne und Bar, der komplett schwarz gestrichen ist.
Allein die Türrahmen, die zu einem gemütlichen Nebenzimmer mit Kicker führen, sind weiß. Stellenweise platzt die Lackierung ab oder ist gräulich verfärbt – sie ist verrußt, wie ein genauerer Blick zeigt. Die Rahmen erinnern daran, was hier vor 15 Jahren passierte. 2010 attackierte ein Neonazi zwei Vereinsmitglieder. Dann zündete er die Doro an, die bis zum ersten Stock ausbrannte. Der Täter wurde unter anderem wegen Brandstiftung, Körperverletzung und Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt.
Der Brandanschlag ist der Höhepunkt der Gewalt, die die Vereinsmitglieder bislang erlebt haben. Als Teenager seien sie ständig von Rechten verprügelt worden, sagt Robert Weis. Doch auch heute noch halten die Angriffe an: Vor den letzten Landtagswahlen habe jemand ein Fenster des Vereinsheims eingeworfen. Die Shell-Tankstelle im Ort, ein Treffpunkt für Rechtsradikale, meiden viele Vereinsmitglieder, um nicht attackiert zu werden.
Kampf um den öffentlichen Raum
Ein solches Einschränken der Bewegungsfreiheit für Betroffene von rechter Gewalt sei Ausdruck „extrem rechter Dominanzbestrebungen“, sagt Heike Radvan, Professorin für Rechtsextremismusforschung mit Fokus auf Ostdeutschland und zivilgesellschaftliche Gegenwehr an der Universität Tübingen. Betroffen davon seien demokratisch engagierte Personen sowie People of Color, migrantische, queere, jüdische und behinderte Menschen.
Nicht nur in Limbach-Oberfrohna prägt diese Form rechter Raumnahme den Alltag. „Zwickau, Chemnitz, Zittau – da würde ich von extrem rechten Dominanzbestrebungen sprechen“, zählt die Expertin für Sachsen auf. Die soziale Dynamik ziele darauf ab, den öffentlichen Raum für alle Personen einzuschränken, die nicht in ein rechtes Weltbild passen, beispielsweise durch dominantes Auftreten von AfD-Abgeordneten im Kommunalparlament – und durch Bedrohungen und Gewalt.
Ein Blick in die Statistik zeigt, in welchem Ausnahmezustand sich die demokratische Zivilgesellschaft hierzulande momentan befindet: Im vergangenen Jahr meldete das Bundesinnenministerium einen neuen Höchststand rechtsextremer Straftaten. Allein bis zum 30. November wurden 33 963 Delikte verzeichnet – ein Anstieg von über 17 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.[2] In Sachsen schossen die Zahlen im Zuge der Landtagswahlen auf ein neues Rekordhoch: Im Mittel wurde elfmal pro Tag eine rechtsmotivierte Straftat verübt. Das starke Abschneiden der AfD bei den Wahlen demonstrierte erneut die Akzeptanz von rechtsextremem Gedankengut, viele Täter dürften sich dadurch zu den Angriffen ermutigt gefühlt haben. Opferberatungsstellen warnten bereits im Vorfeld der Wahlen vor diesen Verhältnissen, auch in Thüringen und Brandenburg.[3]
Die Stoßrichtung der eskalierenden Gewalt zeigt dabei zunehmend in Richtung demokratische Zivilgesellschaft: So stiegen in Sachsen im Jahr 2023 neben rassistisch motivierten Taten insbesondere Attacken auf Personen stark an, die sich politisch gegen Rechtsextremismus positionieren oder kulturell von der Norm abweichen.[4] Auch in Thüringen verfestigte sich eine sehr hohe Bedrohungsrate gegenüber demokratisch engagierten Menschen.[5] Insbesondere organisierte Neonazis nehmen vermehrt politische Gegner:innen ins Visier, um den öffentlichen Raum von rechts zu besetzen und ihre regionale Dominanz zu stärken.[6] Besonders deutlich ist das im Bereich der Jugendkultur. Viele der rechten Täter sind jung. Neben Vandalismus richten sie sich mit Beleidigungen und Bedrohungen gezielt gegen Jugendliche wie Punks und Skater:innen, die als links gelten.[7] Das Radikalisierungspotenzial dieser Generation lässt sich laut Radvan häufig auf die Primärsozialisation im Elternhaus zurückführen. Die Eltern der heutigen Teenager waren oft in den 1990er Jahren selbst jung und wurden durch den nationalistisch und rassistisch dominierten Diskurs der Baseballschlägerjahre geprägt. Verstärkt die Sekundärsozialisierung – in Vereinen und Schule, aber auch durch Gleichaltrige – schließlich diese Anlagen für rechtes Denken, kann es zu einer Radikalisierung kommen.
Dieser Prozess ist längst in vollem Gange: Gerade im ländlichen Raum schüchtern rechte Akteur:innen nicht nur die demokratische Zivilgesellschaft ein, beschmieren beispielsweise im sachsen-anhaltinischen Halberstadt ein kulturelles Zentrum mit Hakenkreuzen oder bedrohen im brandenburgischen Strausberg Teilnehmende einer Gedenkveranstaltung für die Opfer des NS mit einem Messer[8], sondern versuchen auch, die Lücken an soziokulturellen Angeboten selbst zu füllen. So richtet sich die neonazistische Kleinstpartei „Der III. Weg“ mit Treffpunkten, Nachhilfe, Kampfsporttraining und einer eigenen Jugendorganisation gezielt an junge Leute im Landkreis Zwickau, in dem auch Limbach-Oberfrohna liegt. In Arnsdorf bei Dresden unterwanderten Rechte schon vor Jahren die dort ansässigen Vereine.[9] Wenn als Folge dieser Einflussnahme vor allem von rechts dominierte Räume Freizeit und Alltag vieler junger Menschen prägen, verstärkt das die Anziehungskraft der extremen Rechten – und beschränkt gleichzeitig die Freiheit derjenigen, die von rechts diskriminiert, bedroht oder angegriffen werden.[10] Der Wahlerfolg der AfD vor allem im Osten wird diese Dynamiken voraussichtlich noch beschleunigen.
Das liegt auch im Hinblick auf das thüringische Sonneberg nahe, wo rechte Gewalttaten in die Höhe schnellten, nachdem im Juli 2023 zum ersten Mal ein AfD-Kandidat das Amt des Landrats errang.[11] Und nicht nur auf der Straße wird die demokratische Zivilgesellschaft attackiert. Auch politisch delegitimiert die AfD ehrenamtliche Vereine und Initiativen, schikaniert sie juristisch und setzt sich dafür ein, deren Förderung zu kürzen.[12] Denn gerade die prekäre, oft nur von Jahr zu Jahr bewilligte Finanzierung der Projekte, macht die demokratische Zivilgesellschaft angreifbar.
»Demokratie leben« unter Beschuss
Exemplarisch für diese AfD-Strategie stehen die Attacken auf das Bundesprogramm „Demokratie leben“ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, das zivilgesellschaftliche Initiativen und Vereine fördert, die sich für Demokratie und gegen Extremismus engagieren. Ginge es nach den Plänen des AfD-Landtagsabgeordneten Hans-Thomas Tillschneider, würde man in der Kulturpolitik Sachsen-Anhalts „alle Programme, die mit diesem Programm ‚Demokratie leben‘ zusammenhängen, streichen“.[13] Im Januar brachte auch die bayrische AfD-Landtagsfraktion einen Antrag ein, der die Landesregierung aufforderte, sich für einen sofortigen Stopp des Bundesprogramms einzusetzen. Und auch AfD-Landrat Robert Sesselmann versuchte in Sonneberg, eine vergleichsweise geringe Eigenbeteiligung des Landkreises zu unterbinden und so die dortigen Projektfinanzierungen durch „Demokratie leben“ zu kappen.[14] Bislang sind diese Angriffe an fehlenden Mehrheiten im Sonneberger Kreistag wie im bayrischen Landtag gescheitert. Die bayrische CSU lehnte den AfD-Antrag noch entschieden ab, der Abgeordnete Gerhard Hopp nannte das Förderprogramm „eine zentrale Säule der Bundesregierung im Einsatz gegen alle Formen von Extremismus“.[15] Doch gerade in der Union bröckelt diese Überzeugung mehr und mehr. In der 551 Fragen umfassenden kleinen Anfrage zur politischen Neutralität staatlich geförderter, zivilgesellschaftlicher Organisationen heißt es: „Auch erscheint […] zweifelhaft, dass etwaige Förderprogramme, die die betroffenen Vereine in ihrer gemeinnützigen Arbeit unterstützen sollen, ihren Zweck erfüllen.“[16] Das einzig genannte Beispiel? „Demokratie leben“. Im ostdeutschen Salzwedel stimmte die CDU im März bereits mit der AfD gegen das vom Bund bewilligte Programm, 90 000 Euro jährlich fehlen nun bis 2033 für demokratische Jugendarbeit.
Was macht die Union?
Auf der Suche nach Einsparungen nimmt die CDU explizit die Demokratieförderung ins Visier. Der Haushaltspolitiker Mathias Middelberg antwortete auf die Frage, wo die Union zu kürzen gedenke: „Das ist dieses Programm ‚Demokratie leben‘, wo wir exemplarisch genannt, wirklich große Probleme haben, weil wir nicht erkennen können, dass das Geld da irgendwie zweckmäßig eingesetzt wird.“[17] Middelberg folgt damit nicht nur inhaltlich einem Kernanliegen der AfD, sondern auch seine Argumentation ähnelt jener Partei, wenn diese im bayrischen Landtag moniert, das Programm sei zu „intransparent“ und werde „seinem Ziel nicht gerecht“.[18] Dabei würde die Kürzung öffentlicher Mittel der Demokratieförderung gerade den Osten treffen – und damit jene Teile der Zivilgesellschaft, die unter beispiellosem Druck von Rechtsaußen stehen. Nur sieben Prozent aller 24 000 Stiftungen der Bundesrepublik sind in den ostdeutschen Bundesländern angesiedelt. Verglichen mit Westdeutschland gibt es in den längst nicht mehr neuen Bundesländern weit weniger große Unternehmen oder privates Vermögen, die die finanzielle Lücke, die die Union zu reißen erwägt, füllen könnten.[19] Hinzu kommt, dass sich die AfD in den kommenden Wahlen voraussichtlich noch mehr Einfluss sichern kann. Eine nachhaltige Förderung über Bundesmittel, unabhängig von Land und Kommune, wäre für viele Projekte dann eine der wenigen Möglichkeiten, Demokratiearbeit überhaupt noch zu finanzieren. Das von der Ampel geplante Demokratiefördergesetz, das am Widerstand der FDP scheiterte, hätte diese Chance geboten.
Auch wenn das Vorhaben nun in weiter Ferne scheint: Eine solche Finanzierung zu sichern, wäre die Aufgabe der neuen Bundesregierung. Denn dass ein Erstarken des Rechtsextremismus und -radikalismus in Ostdeutschland zu Recht beklagt, gleichzeitig aber die rechte Raumnahme dort hingenommen wird, ist ein politisches Versagen. Spätestens nach den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern, wenn möglicherweise die AfD dort die Landesregierungen stellt, wird das auch die Bundespolitik nicht länger verdrängen können. Bis dahin spürt es vor allem die engagierte Zivilgesellschaft vor Ort – zum Beispiel in Limbach-Oberfrohna, wo junge Menschen für den Erhalt alternativer soziokultureller Räume sogar einem Brandanschlag trotzten und damit demokratische Grundlagen verteidigen – jeden Tag.
[1] Bundestagswahl – Verwaltungsgemeinschaft Limbach-Oberfrohna, wahlen.regioit.de.
[2] Höchststand bei rechtsextremen Straftaten, tagesschau.de, 6.1.2025.
[3] Im Umfeld der Wahlen: Zahl rechtsmotivierter Straftaten in Sachsen 2024 drastisch gestiegen, l-iz.de, 9.5.2025.
[4] Rechtsmotivierte, rassistische und antisemitische Gewalt in Sachsen 2023, raa-sachsen.de, 19.4.2024; zum drastischen Anstieg rassistischer Gewalt, die über die Hälfte rechter Angriffe ausmacht: Sheila Mysorekar: Rechtsextremismus: Wir haben Euch gewarnt, in: „Blätter“, 5/2024, S. 9-12.
[5] Romy Arnold u.a., Thüringer Zustände. Rechtsextremismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit im Freistaat Thüringen, 2024, S. 56-57, idz-jena.de.
[6] Vgl. Rechtsmotivierte Gewalt in Sachsen, a.a.O.; Vera Ohlendorf, Demokratiearbeit in Gefahr: Der Schutz der Zivilgesellschaft muss jetzt politische Priorität haben, amadeu-antonio-stiftung.de, 27.2.2025.
[7] Rechtsmotivierte Gewalt in Sachsen, a.a.O.
[8] Vera Ohlendorf, Demokratiearbeit in Gefahr, a.a.O.
[9] Annett Mängel, Nachhaltig gegen rechts: Demokratieprojekte sichern, in: „Blätter“, 1/2020, S. 9-12.
[10] Rechtsmotivierte Gewalt in Sachsen, a.a.O.
[11] Romy Arnold u.a., Thüringer Zustände, 2024, S. 10.
[12] Vgl. Ann-Kathrin Seidel, AfD vs. Zivilgesellschaft: Angriff auf die Gemeinnützigkeit, in: „Blätter“, 7/2022, S. 37-40.
[13] Niklas Ottersbach, Wie die AfD in Sachsen-Anhalt Kultureinrichtungen attackiert, deutschlandfunk.de, 12.2.2025.
[14] Jonas Wengert, Jugendarbeit in Gefahr? Landtags-AfD will Förderprogramm stoppen, br.de, 18.2.2025.
[15] Ebd.
[16] 20/15035 – Kleine Anfrage: Politische Neutralität staatlich geförderter Organisationen, S. 1, dserver.bundestag.de, 24.2.2025.
[17] Atiena Abednia u.a., Merz‘ Wirtschaftsplan: Wer profitiert? Wer verliert?, ndr.de, 27.2.2025.
[18] 19/4728 – Dringlichkeitsantrag, S. 1, bayern.landtag.de, 29.1.2025.
[19] Dietrich Mäurer, Stiftungen und Unternehmen wollen zivilgesellschaftliches Engagement im Osten fördern, mdr.de, 13.3.2024; Thomas Vorreyer, Öfter mal selbst anpacken, tagesschau.de, 12.3.2024.