Der nachstehenden Erklärung stimmte der 15. Bundeskongreß entwicklungspolitischer Aktionsgruppen (Köln, 9.-12. Mai 1991) "im Grundsatz" zu. Sie ist die politische Plattform für eine gemeinsame "Kampagne" der Gruppen, die sich mit dem "500. Jahrestag des europäischen Kolonialismus" (1492 "Entdeckung" Amerikas), der Bildung des europäischen Binnenmarktes und der 1992 in Rio de Janeiro stattfindenden UNO-Konferenz Umwelt und Entwicklung (UNCED) befassen soll. Über dem BUKO vorliegende Änderungsanträge zur "Kölner Erklärung" soll der gebildete Koordinierungskreis der "Kampagne 1992" befinden. D. Red.
Unseren Widerspruch und unsere Aktionen gegen die Glorifizierung von 500 Jahren Kolonialismus, das Projekt Europäischer Binnenmarkt '92 und die Umwelt- und Entwicklungsdebatte unter Führung der UN wollen wir in einer gemeinsamen Kampagne bündeln. Regierungen und Institutionen in Westeuropa und in den ehemaligen Kolonien planen seit Jahren unter dem Motto "Begegnung zweier Welten", mit Jubelparaden den 500. Jahrestag des europäischen Kolonialismus zu feiern. Dazu gehören die Weltausstellung in Sevilla, die Olympischen Spiele in Barcelona, Festivals in der "Europäischen Kulturhauptstadt Madrid" und in Genua, dem Heimathafen von Columbus, und die erneute Landung mit nachgebauten Karavellen in Amerika. Mit der Sylvesternacht 1992 wird der europäische Binnenmarkt offiziell etabliert, sein Inventar wird jetzt zusammengestellt.
Zu Ehren der europäischen Führungsmacht BRD findet der "Welt"-wirtschaftsgipfel 1992 in Berlin statt. 1992 ist auch das Jahr der Ökokraten. Die UN-Konferenz "Umwelt und Entwicklung" (UNCED) tagt in Rio de Janeiro. Auf der Tagesordnung steht die ökologische Abfederung des zerstörerischen Industrialisierungs- und Entwicklungsmodells durch Technokraten und Management. 500 Jahre Kolonialismus sind Voraussetzung für das Wirtschaftssystem, dessen Produktions- und Konsumweise heute als die "einzige" Möglichkeit zur Erreichung von Wohlstand und Entwicklung bejubelt werden soll. - Von Mord, Vergewaltigung, Mißhandlung; - von den Raubzügen der Spanier und Portugiesen in Südamerika; - von den europäischen Sklavenjägern in Afrika, die den Plantagen in der "Neuen Welt" nach Ausrottung der Ureinwohner neue Arbeitskräfte zuführten; - von der Zwangsarbeit auf den Plantagen und in den Minen; - von dem Völkermord der Deutschen an den Hereros in Namibia; - von den Atomtests in den sog. überseeischen Gebieten Frankreichs oder in nordamerikanischen Indianerreservaten; - von den sexistischen Angriffen auf Würde und Autonomie der Frauen; - von den dauernden Versuchen, Kultur und Geschichte der Menschen in den eroberten Gebieten zu negieren und zu zerstören, davon schweigt die europäische Festgemeinde gern und mit ihnen die Helfershelfer in den inzwischen offiziell entkolonialisierten Besatzungsgebieten.
Im Namen der vielbeschworenen europäischen Zivilisation, "in der alles käuflich und verkäuflich ist, die aber die Menschen zerstört" (Erklärung der indianischen Gemeinden Kolumbiens zur 500Jahrfeier der europäischen Invasion in Amerika), haben jahrhundertelange Brutalität und Menschenverachtung die Basis gelegt für Macht und Profite von Banken und Konzernen, aber auch für ein System, in dem die Mehrheit der Bevölkerung Westeuropas und Nordamerikas scheinbar ungestört leben und konsumieren kann. Auch die realexistierenden Sozialisten, die Bürokraten und Wendehälse im Osten waren den "Idealen" der sog. Modernisierung und "nachholenden" Entwicklung verpflichtet. Sie haben dazu beigetragen, daß jede Alternative zu diesem System auf Jahre hinaus diskreditiert ist, daß das ökologisch katastrophale, die Menschen einander entfremdende, der "Dritten Welt" gegenüber unbarmherzige Entwicklungsmodell zu neuem Glanz und Gloria gekommen ist und jetzt von seinen Apologeten als das "Ende der Geschichte" gefeiert wird. Die Verwirklichung des EG-Binnenmarktes '92 ist ein wichtiger Schritt hin zur neuen Supermacht Europa, von den Herrschenden begrüßt als weiterer Modernisierungsschub.
Dieser bedeutet: - Nivellierung sozialer und ökologischer Standards auf allgemein niedrigerem Niveau; - negative Angleichung des Asylrechts; - eine nahezu unkontrollierbare und nur versierten Industrielobbyisten zugängliche EG-Bürokratie; - eine weitere Machtkonzentration, an der auch die Europawahlen nichts ändern, die ein Eingreifen "von unten", die Kontrolle durch uns, die Betroffenen einer unsozialen, unökologischen und patriarchalen Politik noch schwieriger macht als bisher.
Die Zeche bezahlen VerbraucherInnen, Erwerbstätige in ungeschützten Beschäftigungsverhältnissen, also in erster Linie Frauen, die Menschen in der noch existierenden bäuerlichen Landwirtschaft, Alte, Kranke, Alleinerziehende und ihre Kinder, Flüchtlinge und MigrantInnen. Der Anspruch der EG, den Nationalstaat zu überwinden, ist bloßer Schein, weil der Chauvinismus der Nationalstaaten auf einer supranationalen Ebene wiederholt wird. Für Kapital und Politik in Europa ist es vorteilhaft, daß die westeuropäische Integration in die Zerfallsperiode des sowjetischen Machtbereichs fällt. Eine ganz entscheidende Rolle in diesem alten Szenario mit neuer Rollenverteilung wird das Neue Deutschland spielen, das sich offensichtlich nicht nur nach Einschätzung der einheimischen Elite von einem "unberechenbaren Machtfaktor" zu einem hochmodernen, ökologisch umtriebigen Sozialstaat gemausert hat.
Für Kapital und Politik bieten ihr Sieg im Kalten Krieg und das Zerbrechen des "realexistierenden Sozialismus" weitere Expansionsmöglichkeiten. Sie - und insbesondere das vereinigte Deutschland - wollen sich Osteuropa als Hinterhof der Supermacht Europa aneignen. Der Supermachtstellung Europas und mit ihr der BRD darf nach Meinung der Strategen in Politik und Rüstungslobby die militärische Stärke nicht vorenthalten bleiben. Dieses Europa will die gemeinsame Streitmacht ausbauen, eine eng an die NATO angelehnte Westeuropäische Union (WEU). Der Krieg am Golf dient als Vorwand zur Modernisierung der militärischen Ausrüstung und zur Bildung von westeuropäischen Eingreiftruppen, um das beanspruchte "Recht" auf Kontrolle der Rohstoffvorkommen und -preise durchzusetzen und den USA bei der Schaffung einer "Neuen Ordnung" nicht das Feld als alleinigem Weltpolizisten zu überlassen. Westeuropa rüstet auf und nicht ab! Die ökologischen Folgen dieses gefeierten Industrialisierungsund Entwicklungsmodells sind aber auch für die geschicktesten Weißwäscher nicht mehr unter den Tisch zu kehren.
Deswegen sind die 90er auch das Jahrzehnt der Ökokraten. Mit Umwelttechnologien kann man zwar die ökologische Katastrophe nicht verhindern, aber ein hübsches Sümmchen verdienen. Industrie und Politik versuchen, durchaus mit einigem Erfolg, die ökologische Krise als beherrschbar darzustellen. Es ist auch nicht auszuschließen, daß technokratische Umweltpolitik für die BewohnerInnen der mitteleuropäischen und nordamerikanischen Wohlstandsinseln kurzfristig einen Aufschub des ökologischen Zusammenbruchs bewirken könnte.
Nicht so in der "Dritten Welt", wo soziale Not ganz direkt mit dem ökologischen Notstand verkettet ist: mit dem Abholzen des Regenwaldes verlieren Waldvölker ihre Existenzgrundlage, die zunehmende Versteppung und Verwüstung können die Frauen nur noch mühsam durch zusätzliche Arbeitsbelastung auffangen; Erosion, Wassermangel und damit Mangel an Nahrungsmitteln zwingen Menschen, ihre Heimat zu verlassen.
Und die Länder der "Dritten Welt"?
Nach wie vor herrschen koloniale Austauschbeziehungen zwischen den Ländern Europas und der "Dritten Welt". Doch neben die erzwungene Integration in den Weltmarkt tritt nun die erzwungene Abkopplung vom Weltmarkt. Viel verlockender als die "Dritte Welt" sind die Möglichkeiten, die sich für Kapital und Wirtschaft jetzt in Osteuropa bieten. Für Europa '92 spielt die "Dritte Welt" nur noch eine marginale Rolle: - als Lieferant ausgewählter billiger Rohstoffe, die zur Not auch mit Waffengewalt gesichert werden; - einige Schwellenländer als Absatzmärkte u.a. von modernen Umwelttechnologien; - der Rest der großen weiten Welt ist höchstens noch als Müllklo Europas interessant, als Standort höchst gefährlicher Produktionsstätten oder als Atomtestgelände. Statt dessen werden neue Feindbilder aufgebaut, z.B. mit dem Begriff des "islamischen Fundamentalismus", in denen eine angebliche "Gefahr aus dem Süden" an die Wand gemalt wird.
Wir nehmen zur Kenntnis:
- dieses Wirtschafts- und Entwicklungsmodell wird von einem breiten Konsens innerhalb der deutschen und europäischen Bevölkerung getragen. Diese Bevölkerung scheint bis heute nur an einer ökologischen Abfederung ihres ressourcenverzehrenden Lebensstils interessiert zu sein. Wenig Interesse hingegen findet der Teil der einheimischen Bevölkerung, der sozial an den Rand gedrängt wird, geschweige denn die Menschen in den Ländern der "Dritten Welt" und die Flüchtlinge, denen die wirtschaftliche Situation keine andere Option als die Flucht in den vermeintlich Goldenen Norden läßt;
- daß in den meisten Ländern der "Dritten Welt" neokoloniale Helfershelfer des nordamerikanischen und japanischen Kapitals das Heft in der Hand haben, daß Korruption, Frauenverachtung und staatliche Willkür zum Alltag gehören.
Deswegen wollen wir mit der Kampagne dazu beitragen:
- den herrschenden Grundkonsens hier zu verändern;
- eine internationalistische Ethik zum unverzichtbaren Bestandteil von internationalistischer Politik zu machen;
- die Unterstützung für die Demokratie-, Basis- und Befreiungsbewegungen in den Ländern der sogenannten "Dritten Welt" zu verstärken und eine langfristige Zusammenarbeit mit den politischen, sozialen, feministischen und ökologischen Basisbewegungen in Europa aufzubauen.
Unsere Alternativen:
Gegen die Verhöhnung der Menschen durch Jubelfeiern zum 500. Jahrestag des Kolonialismus, gegen Geschichtsklitterung und Eurozentrismus setzen wir e i n e n e u e G e s c h i c h t ss c h r e i b u n g, die Täter und Opfer nennt, die endlich Schluß macht mit Negierung und Zerstörung der Geschichte und Kultur von Menschen und Völkern der "Dritten Welt".
Gegen die fortdauernde Schuldknechtschaft und Strukturanpassungsprogramme setzen wir als ersten Schritt die b e d i n g u n g sl o s e u n d u m f a s s e n d e S c h u l d e n s t r e ic h u n g u n d E n t s c h ä d i g u n g s z a h l u n g e n an die, die für Selbstbestimmung und Demokratisierung kämpfen. Wir fordern die Rückgabe aller (Kultur-)Schätze, die von Kolonialmächten und Kirche geraubt worden sind.
Gegen den Mythos der nachholenden Entwicklung setzen wir die V i s i o n e i n e r ö k o l o g i s c h e n, a n t i p at r i a r c h a l e n u n d s o z i a l e n W e l t w i r ts c h a f t, in der jede/jeder unabhängig von Geschlecht und Hautfarbe das Recht auf gleiche Lebenschancen verwirklichen kann.
Gegen die Festung Europa setzen wir die F l u c h t b u r g E u r o p a. Wir wissen, ohne eine aktive antirassistische Politik können wir diesen Anspruch nicht einlösen;
Gegen die zunehmende Bürokratisierung und Entdemokratisierung durch die Institution EG setzen wir auf k u l t u r e l l e V i e l f a l t, D e z e n t r a l i s i e r u n g, R e g i on a l i s i e r u n g u n d D e m o k r a t i s i e r u n g a l l e r L e b e n s b e r e i c h e;
Gegen die Supermacht Europa und ihre Bestrebungen, Osteuropa zu ihrem Hinterhof zu degradieren, setzen wir auf eine W e l t o h n e S u p e r-, H e g e m o n i a l- u n d F ü hr u n g s m ä c h t e, o h n e K l e i n-, M i t t e l- u n d G r o ß m ä c h t e.
Gegen die europäische Schnelle Eingreiftruppe fordern wir: B R D o h n e A r m e e - a l s e r s t e n S c h r i t t z u r E n t m i l i t a r i s i e r u n g E u r o p a s, die um so dringender wird, als mit dem Krieg am Golf der Vorbote einer neuen Dimension kriegerischer Auseinandersetzungen um Ressourcen und Macht zwischen armen und reichen Ländern heraufzieht.
Gegen ungebremste Technologie- und Fortschrittsgläubigkeit, gegen gentechnologische Forschung und bevölkerungspolitische Programme arbeiten wir zusammen mit unseren FreundInnen in den Ländern der "Dritten Welt" an einer h u m a n e n, a n t i - p a t r ia r c h a l e n, ö k o l o g i s c h e n u n d e m a n z ip a t o r i s c h e n N e u b e s t i m m u n g v o n E n tw i c k l u n g.
Wir rufen deshalb die "Dritte Welt" - und Solidaritätsbewegung ebenso wie die Frauenbewegung, die Ökologiebewegung und alle anderen sozialen Bewegungen, Organisationen, Verbände und Parteien auf, sich an der Kampagne zu beteiligen, gegen - die Etablierung des EG-Binnenmarktes 1992 - 500 Jahre Kolonialismus 1492-1992, - technokratisches Umweltmanagement.