Ausgabe November 1991

Zusammenwachsende Kultur

oder Kultur des Zusammenwachsens

Vom Zusammenwachsen war die Rede.

Damit waren weniger die Institutionen und Strukturen im Osten und Westen Deutschlands gemeint, als die Menschen, die aufgefordert waren, in souveräner gemeinsamer Anstrengung unter neuen politischen und wirtschaftlichen Voraussetzungen ihre zukünftigen Lebensformen und -räume zu gestalten. Es ging und geht also um weitaus mehr als um die - wie sich zeigt - immer schwieriger werdende wirtschaftliche und soziale Angleichung der neuen Bundesländer. Darum, wie im Prozeß der sich rasant vollziehenden radikalen Veränderungen Menschen, deren Biographien durch unterschiedliche Lebensbedingungen und Erfahrungen geprägt sind, für die sich die Veränderungen überdies in unterschiedlicher Intensität und Beschleunigung vollziehen, einen neuen kulturellen Zusammenhalt gewinnen können. Vom Zusammenwachsen war die Rede.

Ein Jahr deutsche Einheit aber zeigt, daß nicht nur die Träume vom schnellen Wohlstand nicht aufgegangen sind, sondern daß auch die Kultur des Zusammenwachsens, die zunächst den Schein einer neuen Offenheit und Aufgeschlossenheit vermittelte, längst den pragmatischen politischen und wirtschaftlichen Imperativen gewichen ist.

November 1991

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