Ausgabe Oktober 1992

Gipfelerklärung von Helsinki

Verabschiedet von den Staats- und Regierungschefs der KSZE-Teilnehmerstaaten am 10. Juli 1992 (Wortlaut)

 VERHEISSUNGEN UND PROBLEME DES WANDELS

1. Wir, die Staats- und Regierungschefs der Teilnehmerstaaten der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, sind an die Geburtsstätte des Helsinki-Prozesses zurückgekehrt, um unserem gemeinsamen Bemühen neue Impulse zu verleihen.

2. Die beim letzten Gipfeltreffen unterzeichnete Charta von Paris für ein Neues Europa *) legte eine gemeinsame demokratische Grundlage fest, setzte Institutionen für die Zusammenarbeit ein und bestimmte Richtlinien für die Verwirklichung einer Gemeinschaft freier und demokratischer Staaten von Vancover bis Wladiwostok.

3. Wir haben das Ende des Kalten Krieges miterlebt, den Zusammenbruch totalitärer Regime und den Untergang der Ideologie, auf der sie beruhten. Alle unsere Länder stützen sich jetzt auf Demokratie als die Grundlage ihres politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens. Die KSZE hat bei diesen positiven Veränderungen eine Schlüsselrolle gespielt. Dennoch wiegt die Hinterlassenschaft der Vergangenheit schwer. Wir stehen vor Herausforderungen und Chancen, aber auch vor ernsten Schwierigkeiten und Enttäuschungen.

4. Wir sind hier zusammengekommen, um die jüngsten Entwicklungen zu überprüfen, die Errungenschaften der KSZE zu festigen und ihre künftige Richtung festzulegen. Um neuen Herausforderungen gerecht zu werden, nehmen wir hier und heute ein Programm an, das unsere Fähigkeiten zu gemeinsamem Handeln vergrößert und unsere Zusammenarbeit intensiviert, die auf Demokratie, Wohlstand und gleiches Recht auf Sicherheit gerichtet ist.

5. Das Streben der Völker, ihren inneren und äußeren politischen Status frei zu bestimmen, hat zur Ausbreitung der Demokratie geführt und jüngst seinen Ausdruck in der Entstehung einer Reihe souveräner Staaten gefunden. Ihre volle Teilnahme verleiht der KSZE eine neue Dimension.

6. Wir begrüßen es, daß sich alle Teilnehmerstaaten auf unsere gemeinsamen Werte verpflichtet haben. Unsere gemeinsamen Ziele sind die Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten, einschließlich der Rechte vom Angehörigen nationaler Minderheiten, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, wirtschaftliche Freiheit, soziale Gerechtigkeit und Verantwortung gegenüber der Umwelt. Sie sind unumstößlich. Die Einhaltung unserer Verpflichtungen bildet die Basis für Mitwirkung und Zusammenarbeit in der KSZE und einen Eckpfeiler für die weitere Entwicklung unserer Gesellschaften.

7. Wir bekräftigen erneut die Gültigkeit der Leitprinzipien und gemeinsamen Werte der Schlußakte von Helsinki **) und der Charta von Paris, welche die Verantwortung der Staaten untereinander sowie der Regierungen gegenüber ihren Völkern zum Ausdruck bringen. Sie sind das kollektive Gewissen unserer Gemeinschaft. Wir anerkennen unsere gegenseitige Verantwortung für ihre Einhaltung. Wir unterstreichen die demokratischen Rechte der Bürger, von ihren Regierungen die Achtung dieser Werte und Normen zu fordern.

8. Wir betonen, daß die im Bereich der menschlichen Dimension der KSZE eingegangenen Verpflichtungen ein unmittelbares und berechtigtes Anliegen aller Teilnehmerstaaten und eine nicht ausschließlich innere Angelegenheit des betroffenen Staates darstellen. Der Schutz und die Förderung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie die Stärkung demokratischer Institutionen sind weiterhin eine unerläßliche Grundlage für unsere umfassende Sicherheit.

9. Der Übergang der neuen Demokratien zu Demokratie und Marktwirtschaft und deren Entwicklung wird trotz Schwierigkeiten und unterschiedlicher Bedingungen mit Entschlossenheit vorangetrieben. Wir bieten Teilnehmerstaaten, die sich im Übergang zu Demokratie und Marktwirtschaft befinden, unsere Unterstützung und Solidarität an. Wir begrüßen ihre Bemühungen, sich voll in die erweiterte Staatengemeinschaft zu integrieren. Diesen Übergang unumkehrbar zu machen, wird unser aller Sicherheit und Wohlstand gewährleisten.

10. Die Ermutigung zu einem umfassenderen Gemeinschaftsbewußtsein bleibt eines unserer grundlegenden Ziele. Wir begrüßen in diesem Zusammenhang die rasche Anpassung europäischer und transatlantischer Institutionen und Organisationen, die immer enger zusammenarbeiten, um sich den vor uns liegenden Herausforderungen zu stellen und ein festes Fundament für Frieden und Wohlstand zu schaffen. Die Europäische Gemeinschaft (EG) bewegt sich in Erfüllung ihrer wichtigen Rolle bei der politischen und wirtschaftlichen Entwicklung Europas in Richtung einer Union und hat beschlossen, ihre Mitgliedschaft zu erweitern. Sie ist eng in KSZE-Aktivitäten eingebunden. Die Nordatlantische Allianz (NATO), eines der wesentlichen transatlantischen Bindeglieder, hat ein neues strategisches Konzept angenommen und ihre Rolle als integraler Aspekt der Sicherheit in Europa gestärkt. Durch die Schaffung des Nordatlantischen Kooperationsrates (NACC) hat sie im Einklang mit den KSZE-Zielen Strukturen der Zusammenarbeit mit neuen Partnern geschaffen. Sie hat auch praktische Unterstützung für die Arbeit der KSZE angeboten. Die Westeuropäische Union (WEU) ist ein integraler Bestandteil der Entwicklung der Europäischen Union; sie ist zugleich das Instrument zur Stärkung des europäischen Pfeilers der Atlantischen Allianz; sie entwickelt operative Fähigkeiten; sie öffnet sich für eine zusätzliche Zusammenarbeit mit neuen Partnern und hat angeboten, zur Unterstützung der KSZE Ressourcen zur Verfügung zu stellen.

Der Europarat arbeitet eigene Programme für neue Demokratien aus, öffnet sich für neue Mitglieder und arbeitet mit der KSZE im Bereich der menschlichen Dimension zusammen. Die Gruppe der Sieben und die Gruppe der Vierundzwanzig sind stark in der Hilfe für die Länder im Übergang engagiert. Die Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), die Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Europa (ECE) und die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) haben im Aufbau eines neuen Europa eine Schlüsselrolle zu spielen. Die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) hat ihre Bereitschaft bekundet, die KSZE bei der Verfolgung ihrer Ziele zu unterstützen. Diese und andere Formen der sich weiter entwickelnden regionalen und subregionalen Zusammenarbeit, wie der Rat der Ostseestaaten, das Visegrad-Dreieck, die wirtschaftliche Zusammenarbeit der Anrainerstaaten des Schwarzen Meers und die Zentraleuropäische Initiative vermehren die Zahl der Bindungen, die KSZE-Teilnehmerstaaten untereinander vereinen.

11. Wir begrüßen die Annahme des Wiener Dokuments 1992 über vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen sowie die Unterzeichnung des Vertrags über den Offenen Himmel, einschließlich der Annahme der Erklärung zum Vertrag über den Offenen Himmel. Wir begrüßen auch das unmittelbar bevorstehende Inkrafttreten des Vertrags über Konventionelle Streitkräfte in Europa und der Abschließenden Akte der Verhandlungen über Personalstärken der konventionellen Streitkräfte in Europa. Diese Abkommen bilden eine solide Grundlage für unsere künftige Sicherheitskooperation. Wir begrüßen die jüngste Verständigung zwischen den Vereinigten Staaten und Rußland über strategische Offensivwaffen. Wir bekräftigen erneut unsere Verpflichtung, Erstunterzeichner der bevorstehenden Konvention über das Verbot der Entwicklung, Produktion, Lagerung und des Einsatzes chemischer Waffen und über deren Vernichtung zu werden und fordern andere Staaten ebenfalls dazu auf.

12. Wir leben in einer vielversprechenden Zeit, aber auch in einer Zeit der Instabilität und Unsicherheit. Wirtschaftlicher Niedergang, soziale Spannungen, aggressiver Nationalismus, Intoleranz, Fremdenhaß und ethnische Konflikte bedrohen die Stabilität im KSZE-Gebiet. Grobe Verletzungen der KSZE-Verpflichtungen im Bereich der Menschenrechte und Grundfreiheiten, einschließlich jener, die mit nationalen Minderheiten im Zusammenhang stehen, stellen eine besondere Bedrohung für die friedliche Entwicklung der Gesellschaft, insbesondere in neuen Demokratien, dar. Es bleibt noch viel zu tun zum Aufbau demokratischer und pluralistischer Gesellschaften, in denen Vielfalt umfassend geschützt und in der Praxis geachtet wird. Folglich lehnen wir rassische, ethnische und religiöse Diskriminierung jeder Art ab. Freiheit und Toleranz müssen gelehrt und praktiziert werden.

13. Zum ersten Mal seit Jahrzehnten sind wir mit Krieg in der KSZE-Region konfrontiert. Neue bewaffnete Konflikte und massive Gewaltanwendung zur Erlangung von Hegemonie und territorialer Expansion sind weiterhin an der Tagesordnung. Der Verlust an Menschenleben und menschliches Elend, verbunden mit gewaltigen Zahlen an Flüchtlingen, haben das schlimmste Ausmaß seit dem Zweiten Weltkrieg angenommen. Der Schaden an unserem kulturellen Erbe und die Zerstörung von Hab und Gut sind erschreckend. Unsere Gemeinschaft ist über diese Entwicklungen zutiefst besorgt. Im Rahmen der KSZE sowie der Vereinten Nationen und anderer internationaler Organisationen haben wir einzeln und gemeinsam versucht, Leid zu lindern und langfristige Lösungen für entstandene Krisen zu finden. Mit den Beschlüssen von Helsinki haben wir ein umfassendes Programm für koordiniertes Handeln aufgestellt, das der KSZE zusätzliche Werkzeuge in die Hand gibt, um sich mit Spannungen vor dem Ausbruch von Gewalt zu befassen, und Krisen zu bewältigen, die sich trotz allem entwickeln können. Der Rat und der Ausschuß Hoher Beamter (AHB) haben bereits dafür gesorgt, daß die KSZE bei der Auseinandersetzung mit Krisen, die sich in unserem Gebiet entwickelt haben, eine wichtige Rolle spielt. Internationale Bemühungen können nicht erfolgreich sein, wenn diejenigen, die in Konflikte verwickelt sind, keinen Willen zur friedlichen Lösung ihrer Differenzen aufbringen. Wir betonen unsere Entschlossenheit, Konfliktparteien für ihr Handeln verantwortlich zu machen.

14. Die Erfüllung grundlegender menschlicher Bedürfnisse ist in Konfliktzeiten am stärksten gefährdet. Wir werden jede Anstrengung unternehmen, um zu gewährleisten, daß sie befriedigt und humanitäre Verpflichtungen geachtet werden. Wir werden uns dafür einsetzen, Leid durch humanitäre Feuereinstellungen zu lindern und Hilfeleistungen unter internationaler Aufsicht zu erleichtern, einschließlich ihres sicheren Geleits. Wir anerkennen, daß wir bei den Flüchtlingsproblemen, die ihren Ursprung in diesen Konflikten haben, alle zusammenarbeiten müssen. Wir erklären unsere Unterstützung und Solidarität für diejenigen Länder, welche die Hauptlast dieser Flüchtlingsprobleme tragen, die ihren Ursprung in diesen Konflikten haben. In diesem Zusammenhang anerkennen wir die Notwendigkeit für Zusammenarbeit und gemeinsames Handeln.

15. Selbst wo Gewalt eingedämmt wurde, muß die Souveränität und Unabhängigkeit einiger Staaten noch immer abgesichert werden. Wir bringen unsere Unterstützung für Bemühungen von KSZE-Teilnehmerstaaten zum Ausdruck, die aus der Vergangenheit verbliebene Probleme, wie etwa die Stationierung ausländischer Streitkräfte auf dem Territorium der baltischen Staaten ohne die erforderliche Zustimmung dieser Länder, auf friedlichem Wege und durch Verhandlungen zu beseitigen. In Übereinstimmung mit Grundprinzipien des Völkerrechts und zur Verhinderung jeglichen möglichen Konflikts rufen wir daher die betroffenen Teilnehmerstaaten auf, unverzüglich geeignete bilaterale Abkommen abzuschließen, einschließlich von Zeitplänen für den baldigen, geordneten und vollständigen Rückzug solcher ausländischen Truppen vom Territorium der baltischen Staaten.

16. Die Schädigung der Umwelt für viele Jahre bedroht uns alle. Die Gefahr nuklearer Unfälle ist eine drängende Sorge. Dies gilt auch für die in einigen Teilen des KSZE-Gebiets vorhandenen militärisch bedingten Gefahren für die Umwelt.

17. Die derzeitige Verbreitung von Waffen erhöht die Konfliktgefahr und stellt eine unmittelbare Herausforderung dar. Wirksame Exportkontrollen hinsichtlich spaltbaren Materials, konventioneller Waffen und anderer sensitiver Güter und Technologien sind dringend erforderlich. DIE KSZE UND

DIE GESTALTUNG DES WANDELS

18. Die KSZE hat maßgeblich dazu beigetragen, den Wandel herbeizuführen; nun muß sie an die Aufgabe herangehen, ihn zu gestalten. Unsere Beschlüsse in Helsinki machen die KSZE operativer und wirksamer. Wir sind entschlossen, Konsultationen und gemeinsames Handeln in vollem Umfang zu nutzen, damit wir eine gemeinsame Antwort auf die vor uns stehenden Herausforderungen geben können.

19. Wir treten an diese Aufgaben heran, indem wir die zentrale Rolle der KSZE für die Forderung und Gestaltung des Wandels in unserer Region betonen. In dieser Ära des Übergangs ist die KSZE für unsere Bemühungen von ausschlaggebender Bedeutung, Aggression und Gewalt dadurch vorzubeugen, daß wir uns mit den Grundursachen der Probleme auseinandersetzen sowie Konflikte auf friedlichem Wege und durch geeignete Mittel verhindern, bewältigen und beilegen.

20. Zu diesem Zweck haben wir Strukturen weiterentwickelt, um eine politische Krisenbewältigung sicherzustellen, und neue Instrumente der Konfliktverhütung und der Krisenbewältigung geschaffen. Wir haben den Rat und den AHB gestärkt und Vorkehrungen für ihre Unterstützung getroffen. Die Fähigkeiten der KSZE im Bereich der Frühwarnung werden verstärkt, insbesondere durch die Aktivitäten des neu geschaffenen Hohen Kommissars für nationale Minderheiten. Wir haben die Voraussetzungen für KSZE-Friedenserhaltung nach vereinbarten Modalitäten geschaffen. Friedenserhaltende Aktivitäten der KSZE können in Konfliktfällen innerhalb von oder zwischen Teilnehmerstaaten unternommen werden, um dazu beizutragen, Frieden und Stabilität zur Unterstützung laufender Bemühungen um eine politische Lösung aufrechtzuerhalten. Diesbezüglich sind wir auch bereit, von Fall zu Fall die Unterstützung internationaler Institutionen und Organisationen wie der EG, der NATO, der WEU sowie anderer Institutionen und Mechanismen anzustreben, einschließlich des Mechanismus zur Friedenserhaltung der GUS. Wir begrüßen deren Bereitschaft, friedenserhaltende Aktivitäten der KSZE zu unterstützen, auch durch Bereitstellung ihrer Ressourcen. Wir arbeiten an der weiteren Entwicklung unserer Möglichkeiten für die friedliche Beilegung von Streitfällen.

21. Unser Ansatz gründet sich auf unser umfassendes Sicherheitskonzept, das mit der Schlußakte eingeleitet wurde. Dieses Konzept verbindet die Erhaltung des Friedens mit der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten. Es stellt den Zusammenhang her zwischen Solidarität und Zusammenarbeit in den Bereichen Wirtschaft und Umwelt und friedlichen zwischenstaatlichen Beziehungen. Dies gilt in gleicher Weise für die Gestaltung des Wandels wie für Notwendigkeit, Konfrontation abzubauen.

22. Die KSZE ist ein Forum für Dialog, Verhandlungen und Zusammenarbeit, das der Gestaltung des neuen Europa Richtung und Impulse gibt. Wir sind entschlossen, es zu nutzen, um dem Prozeß der Rüstungskontrolle, der Abrüstung und der Vertrauens- und Sicherheitsbildung, der Verbesserung der Konsultation und Zusammenarbeit in Sicherheitsangelegenheiten und der Förderung des Prozesses für die Verminderung des Konfliktrisikos neue Anstöße zugeben. In diesem Zusammenhang werden wir auch neue Maßnahmen zur weiteren Stärkung von Verhaltensnormen bezüglich politischmilitärischer Sicherheitsaspekte erwägen. Wir werden gewährleisten, daß unsere diesbezüglichen Bemühungen kohärent, miteinander verknüpft und ineinander ergänzend sind.

23. Wir bleiben davon überzeugt, daß Sicherheit unteilbar ist. Kein Staat in unserer KSZE-Gemeinschaft wird seine Sicherheit auf Kosten der Sicherheit anderer Staaten stärken. Dies ist unsere entschlossene Botschaft an die Staaten, die zu Androhung beziehungsweise Anwendung von Gewalt greifen, um ihre Ziele unter eklatanter Verletzung der KSZE-Verpflichtungen zu erreichen.

24. Wesentlich für den Erfolg unserer Bemühungen um Förderung des demokratischen Wandels im KSZE-Rahmen ist die verstärkte Zusammenarbeit mit anderen europäischen und transatlantischen Organisationen und Institutionen. Daher sind wir überzeugt, daß eine dauerhafte und friedliche Ordnung für unsere Staatengemeinschaft auf sich gegenseitig stärkende Institutionen aufgebaut wird, von denen jede ihren eigenen Handlungs- und Verantwortungsbereich hat.

25. Unter erneuter Bekräftigung der von unseren Staaten gegenüber der Charta der Vereinten Nationen eingegangenen Verpflichtungen erklären wir, daß wir uns darin einig sind, daß die KSZE eine regionale Abmachung im Sinne von Kapitel VIII der Charta der Vereinten Nationen ist. Als solches stellt sie ein wichtiges Bindeglied zwischen europäischer und globaler Sicherheit dar. Die Rechte und Verantwortlichkeiten des Sicherheitsrats bleiben in ihrer Gesamtheit unberührt. Die KSZE wird mit den Vereinten Nationen eng zusammenarbeiten, insbesondere bei der Verhütung und Beilegung von Konflikten.

26. Wir erklären erneut unsere vorbehaltlose Verurteilung aller Handlungen, Methoden und Praktiken des Terrorismus. Wir sind entschlossen, unsere Zusammenarbeit zur Beseitigung dieser Bedrohung von Sicherheit, Demokratie und Menschenrechten zu verstärken. Zu diesem Zweck werden wir Maßnahmen einleiten, um verbrecherische Handlungen auf unserem Territorium, durch die terroristische Handlungen in anderen Staaten unterstützt werden, zu verhindern. Wir werden den Informationsaustausch über terroristische Aktivitäten ermutigen. Je nach Bedarf werden wir weitere wirksame Möglichkeiten der Zusammenarbeit anstreben. Auf einzelstaatlicher Ebene werden wir auch die erforderlichen Schritte einleiten, um unsere internationalen Verpflichtungen in diesem Bereich zu erfüllen.

27. Illegaler Drogenhandel stellt eine Gefahr für die Stabilität unserer Gesellschaften und demokratischen Institutionen dar. Wir werden uns gemeinsam dafür einsetzen, alle Formen der bilateralen und multilateralen Zusammenarbeit bei der Bekämpfung des illegalen Drogenhandels und anderer Formen des organisierten internationalen Verbrechens zu stärken.

28. Wir werden uns um die Stärkung der engen Verbindung zwischen politischem Pluralismus und einer funktionierenden Marktwirtschaft bemühen. Verbesserte Zusammenarbeit im Bereich von Wirtschaft, Wissenschaft und Technik spielt für die Stärkung von Sicherheit und Stabilität in der KSZE-Region eine ausschlaggebende Rolle.

29. Die wirtschaftliche Zusammenarbeit bleibt ein wesentliches Element der KSZE. Wir werden weiterhin die laufende Umgestaltung zur Einführung der Marktwirtschaft als ein Mittel zur Erhöhung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und zur verstärkten Einbindung in die internationalen Wirtschafts- und Finanzsysteme unterstützen.

30. Wir werden auch eine Ausweitung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit erleichtern, die die bestehenden politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse berücksichtigen muß. Wir begrüßen den Beitrag der wirtschaftlichen, finanziellen und technischen Hilfsprogramme der Gruppe der Sieben und der Gruppe der Vierundzwanzig zum Übergangsprozeß. Im Rahmen unserer Zusammenarbeit unterstützen wir voll und ganz die weitere Entwicklung der Europäischen Energiecharta, die in der Zeit des Übergangs von besonderer Bedeutung ist.

31. Wir werden gemeinsam daran arbeiten, Transport- und Kommunikationsmöglichkeiten zu erleichtern, um die Zusammenarbeit zwischen uns zu vertiefen.

32. Wir erneuern unsere Verpflichtung zur Zusammenarbeit beim Schutz und der Sanierung der Umwelt für jetzige und künftige Generationen. Wir betonen insbesondere die Bedeutung der Zusammenarbeit, um die Sicherheit von Kernkraftanlagen wirksam zu gewährleisten und militärisch bedingte Gefahren für die Umwelt unter Kontrolle zu bringen. Wir betonen die Notwendigkeit eines größeren öffentlichen Bewußtseins und Verständnisses für Umweltbelange und für die Teilnahme der Öffentlichkeit am Prozeß der Planung und Entscheidungsfindung. Wir begrüßen das bedeutsame Ergebnis der im Juni 1992 in Rio de Janeiro durchgeführten Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung (UNCED). Wir heben die Notwendigkeit einer wirksamen und nachhaltigen Durchführung von UNCED-Beschlüssen hervor.

33. Es müssen weitere Schritte unternommen werden, um der Verbreitung von Waffen Einhalt zu gebieten. Es bleibt von höchster Bedeutung, die Nichtverbreitung von Kernwaffen und der entsprechenden Technologie und Sachkenntnis zu gewährleisten. Wir fordern alle Staaten, die dies noch nicht getan haben, eindringlich auf, den Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen als kernwaffenfreie Staaten beizutreten und Sicherheitsabkommen mit der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEA) abzuschließen. Wir verpflichten uns, unsere Zusammenarbeit im Bereich wirksamer Exportkontrollen hinsichtlich spaltbaren Materials, konventioneller Waffen und anderer sensitiver Güter und Technologien zu verstärken.

34. Wir begrüßen die Entwicklung regionaler Zusammenarbeit zwischen den KSZE-Teilnehmerstaaten als ein wertvolles Mittel zur Förderung pluralistischer Stabilitätsstrukturen. Auf KSZE-Prinzipien und -Verpflichtungen begründet, dienen gemeinsame regionale Aktivitäten dem Zweck, uns zu einen und umfassende Sicherheit zu fördern.

35. Wir ermutigen zu einer weitgespannten grenzüberschreitenden Zusammenarbeit unter Einbeziehung menschlicher Kontakte und unter Beteiligung kommunaler und regionaler Gemeinschaften und Behörden. Diese Zusammenarbeit trägt dazu bei, wirtschaftliche und soziale Ungleichheiten zu überwinden, die Verständigung zwischen Volksgruppen zu verstärken und gutnachbarliche Beziehungen zwischen Staaten und Völkern zu fördern.

36. Um eine umfassende Beteiligung und Zusammenarbeit der kürzlich aufgenommenen Teilnehmerstaaten sicherzustellen, nehmen wir ein Programm zur koordinierten Unterstützung in Angriff.

37. Wir geben erneut unserer Überzeugung Ausdruck, daß die Stärkung von Sicherheit und Zusammenarbeit im Mittelmeerraum für die Stabilität in der KSZE-Region von Bedeutung ist. Wir anerkennen, daß der Wandel in Europa für die Mittelmeerregion von Belang ist, und daß - im Gegenzug - wirtschaftliche, soziale, politische und sicherheitspolitische Entwicklungen in dieser Region unmittelbare Auswirkungen auf Europa haben.

38. Wir werden daher unsere Zusammenarbeit mit den nichtteilnehmenden Mittelmeerstaaten als einen Weg zur Förderung der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung verbreitern und unseren Dialog mit ihnen ausweiten und dadurch die Stabilität in der Region erhöhen, um das Wohlstandsgefälle zwischen Europa und seinen Nachbarn im Mittelmeerraum zu verringern und die Ökosysteme des Mittelmeerraums zu schützen. Wir unterstreichen die Bedeutung der Beziehungen zwischen den Anrainerstaaten des Mittelmeers und die Notwendigkeit für verstärkte Zusammenarbeit innerhalb der Region.

39. Wir begrüßen und ermutigen die Fortsetzung von Initiativen und Verhandlungen, die darauf abzielen, gerechte, dauerhafte und gangbare Lösungen für entscheidende offene Fragen der Mittelmeerregion durch friedliche Mittel zu finden.

40. Wir haben den Dialog mit nichtteilnehmenden Staaten ausgeweitet und sie eingeladen sich auf selektiver Grundlage an unseren Aktivitäten zu beteiligen, wenn sie einen Beitrag leisten können.

41. Wir begrüßen die Einrichtung der Parlamentarischen Versammlung der KSZE, die ihr erstes Treffen vom 3. bis 5. Juli in Budapest durchgeführt hat, und sehen mit Interesse der aktiven Beteiligung von Parlamentariern am KSZE-Prozeß entgegen.

42. Wir messen der aktiven Einbeziehung der Öffentlichkeit unserer Länder in die KSZE besondere Bedeutung bei. Wir werden vermehrt Gelegenheit dafür schaffen, daß Einzelpersonen und nichtstaatliche Organisationen Beiträge zu unserer Arbeit leisten, und eine Zusammenarbeit mit ihnen stattfindet.

43. Um unsere Partnerschaft zu fördern und den Wandel besser zu gestalten, haben wir heute in Helsinki ein Programm für eine gestärkte und wirksame KSZE durch die Beschlüsse von Helsinki angenommen. Diese Beschlüsse werden vollständig und nach Treu und Glauben durchgeführt.

44. Wir betrauen den Rat mit den weiteren Schritten, die zu ihrer Durchführung erforderlich sein können. Der Rat kann jede Änderung der Beschlüsse vornehmen, die er für angemessen hält.

45. Der volle Wortlaut des Helsinki-Dokuments wird in jedem Teilnehmerstaat veröffentlicht, der ihn so umfassend wie möglich bekanntmacht.

46. Die Regierung Finnlands wird ersucht, dem Generalsekretär der Vereinten Nationen den Wortlaut des Helsinki-Dokuments, das gemäß Artikel 102 der Charta der Vereinten Nationen nicht registrierbar ist, zur Weiterleitung an alle Mitglieder der Organisation als offizielles Dokument der Vereinten Nationen zu übermitteln. 47. Die nächste Überprüfungskonferenz, auf die die Modalitäten des Helsinki-Folgetreffens sinngemäß angewendet werden, findet 1994 in Budapest statt. Weitere Einzelheiten werden vom AHB erarbeitet, der entscheiden kann, ein besonderes Vorbereitungstreffen einzuberufen.

Helsinki, 10. Juli 1992

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