Es ist zum Fürchten, daß in der Bundesrepublik zunehmend wieder von "Werten" die Rede ist. Hat das Land damit in der Vergangenheit nicht genügend schlechte, ja katastrophale Erfahrungen gemacht? Die mit den Werten der Nazis aufgewachsenen Deutschen wurden nach dem Krieg geteilt und ließen - in Ost und West - Blut und Boden, Mutterschaft, Tapferkeit, Treue und das Vaterland, die Nation hinter sich. Auch das früher gepriesene Kriegserlebnis, Frankreich als Erbfeind, England als das perfide Albion und andere pervertierte Minderwertigkeitskomplexe gerieten in wohltuende Vergessenheit. Die Ostzone und spätere DDR wollte dafür sorgen, daß es nie wieder ein Deutschland wie das gerade versunkene geben könne - aber über dem Stalinismus und dem real existierenden Sozialismus verlor auch der "Wert" des Antifaschismus bald seinen Glanz. In Westdeutschland war es einfach, den immer wachen Antikommunismus im Kalten Krieg zum Wert an sich, zur Orientierung schlechthin zu befördern und ihn mit wachsendem Wohlstand eine scheinbar beglückende Symbiose eingehen zu lassen. Das hielt in der Westrepublik bis zur Mitte der 60er Jahre.
Dann ging die Nachkriegsgeneration auf die Straße; sie war über ihre Eltern wütend und verzweifelt, die die Nazizeit zwei Jahrzehnte lang unter den Teppich zu kehren versucht hatten, über den Wohlstand, den Konsumterror und die allgemeine Verlogenheit.