Ausgabe Oktober 1994

Der Irrweg des Nationalismus

Zu dem Thema "Der Irrweg des Nationalismus" möchte ich am Anfang auf Immanuel Kant rekurrieren, der in einer seiner nachgelassenen, handschriftlichen Notizen über die Bedeutung der Vernunft schrieb und meinte, sie verhindere, daß wir unseren Instinkten und damit auch den nationalen zu sehr nachgäben. Er schreibt weiter: "Um deswillen ist dieser Nationalwahn auszurotten, an dessen Stelle patriotism und cosmopolitism treten muß." Nun wären das Begriffe als Basis für die staatliche Ordnung, die einem gut gefallen könnten, aber es hat den Eindruck, als ob wir in Deutschland und in ganz Europa wieder in eine andere Richtung gingen.

Ich will, damit ich nicht mißverstanden werde, gleich am Anfang Vorbehalte machen: Es geht nicht um eine Diskriminierung oder eine Abwertung des Nationalen. Es geht um die Frage: Auf welchem Fundament ist unser Staat aufgebaut und wie sieht letztendlich die europäische und auch die globale Ordnung aus, die Weltfriedensordnung, die wir anstreben? Selbstverständlich bin ich Deutscher; ich will nicht sagen, daß ich Deutschland liebe, aber ich liebe seine Berge, seine Dome, seine Landschaften, ich liebe vor allem seine Sprache. Die Deutschen haben eine gemeinsame Geschichte, die unverwechselbar ist und die ich zusammen mit anderen habe, die dieselbe Sprache sprechen. Das alles kann nicht geleugnet und darf auch nicht geleugnet werden.

Oktober 1994

Sie haben etwa 4% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 96% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (1€)
Digitalausgabe kaufen (10€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe September 2025

In der September-Ausgabe plädiert Lea Ypi für eine Migrationsdebatte im Sinne der Aufklärungsphilosophie. Cinzia Sciuto fordert, der zunehmenden Aushöhlung des Völkerrechts mit einer entschiedenen Verteidigung desselben zu begegnen – und nicht mit Resignation und falschem Realismus. Für Georg Diez markieren die Kriegsverbrechen in Gaza und die fehlenden Reaktionen darauf einen Epochenbruch; sie stünden für nicht weniger als den Verrat des Westens an der Humanität. Herfried Münkler analysiert, wie Kriege historisch endeten und Friedenszeiten begannen und was das mit Blick auf den Ukrainekrieg bedeutet. Simone Schlindwein deckt auf, wie Russland junge Afrikanerinnen mit falschen Versprechen für die Kriegswirtschaft rekrutiert. Warum die grüne Digitalisierung ein Mythos ist und was der KI-Boom den Globalen Süden kostet, erläutern Ingo Dachwitz und Sven Hilbig. Und Eva-Maria Klinkisch sowie Markus Rieger-Ladich zeigen auf, wie Long Covid-Betroffene von der Gesellschaft und dem Gesundheitssystem systematisch ignoriert werden – und was dagegen zu tun ist. 

Zur Ausgabe Probeabo

Weitere Artikel zum Thema

Die Rückkehr des Besatzers

von Sergej Lebedew

Vor fünfzig Jahren, am 1. August 1975, wurde mit der Unterzeichnung des Abkommens von Helsinki die Unverletzlichkeit der nach dem Zweiten Weltkrieg errichteten Grenzen anerkannt. Wie wir wissen, dauerte die Ordnung von Helsinki etwa fünfzehn Jahre. Die Sowjetunion hörte auf zu existieren, und die Länder Ost- und Mitteleuropas fanden ihren Weg zu Freiheit und Eigenstaatlichkeit.