Die Kirchendebatte über die Zukunft des Sozialstaats
Keine Trendsetter, aber durchaus im Trend: Nach dem Zusammenbruch der realsozialistischen Gesellschaften beeindruckten sowohl die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) als auch Papst Wojtyla durch euphorisches Lob der Marktwirtschaft. 1) Innerhalb der Kirchen hat sich zwar auch radikale Kapitalismuskritik über das Verfallsdatum 1989 hinaus halten können.
Doch von Amts wegen wurden die alten, zumeist konservativen Vorbehalte abgelegt, der "dritte Weg zwischen Kommunismus und Kapitalismus" aufgegeben: Markt, Konkurrenz und Unternehmertum erscheinen in der kirchlichen Sozialverkündigung nun als das beste, was auf Gottes schöner Welt in Sachen Wirtschaft zu haben ist. Gleichzeitig lassen sich die Kirchen vom schönen Schein nicht täuschen. Stehen doch in der Bundesrepublik wieder vermehrt Arme vor der Pfarrer Türen; die Gemeinden greifen zu scheinbar mittelalterlichen Formen der Armenfürsorge und bieten Obdachlosen Wärmestuben und Suppenküchen; Ordensbrüder und -schwestern, die ihr Leben mit den "Ärmsten der Armen" teilen wollen, finden im reichen Deutschland wieder ihren Ort; Caritas und Diakonie beobachten die schleichende Verarmung ihrer Klienten und führen deren Probleme zu einem Großteil auf dauerhafte Unterversorgung zurück. Viele Christinnen und Christen verlangen von ihren Kirchen ein deutliches Wort gegen die "neue Armut".