Immer dann, wenn das türkische Militär in Konflikt mit den Islamisten gerät, pflegt die westliche Rezeption dasselbe Schema aus der Schublade der Geschichte hervorzukramen. Die Armee sei den Prinzipien des Republikgründers Mustafa Kemal Atatürk ergeben, verteidige den westlichen, säkularen Staat und garantiere, daß nicht "Fundamentalisten" wie im Nachbarland Iran ein theokratisches Regime errichten. Die Militärs als kleineres Übel, denen man Beifall zollt. Mit Genugtuung nimmt man dann zur Kenntnis, wie im vergangenen Monat der islamistische Ministerpräsident Necmettin Erbakan von den Militärs zurechtgestutzt wurde. Der inneren Dynamik der türkischen Gesellschaft wird diese Sichtweise alerdings kaum gerecht. Erbakan gab den Forderungen des "Nationalen Sicherheitsrates" nach und unterzeichnete ein Memorandum, daß die Militärs den zivilen Mitgliedern des Sicherheitsrates oktroyierten. Scharfe Maßnahmen gegen theokratische Bestrebungen werden darin gefordert. Vergeblich hatte Erbakan in klammheimlicher Diplomatie mit den Militärs versucht, den Forderungskatalog des Sicherheitsrates zu entschärfen. Erbakan hat die öffentliche Konfrontation mit dem Sicherheitsrat, einer nach 1980 auf Druck der Putschisten in die Verfassung aufgenommenen Instiution, nicht gewagt.
In der November-Ausgabe ergründen Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey die Anziehungskraft des demokratischen Faschismus. Frank Biess legt die historischen Vorläufer von Trumps autoritärer Wende offen – ebenso wie die Lebenslügen der Bundesrepublik. Daniel Ziblatt zieht Lehren aus der Weimarer Republik für den Umgang mit den Autokraten von heute. Annette Dittert zeigt, wie Elon Musk und Nigel Farage die britische Demokratie aus den Angeln zu heben versuchen. Olga Bubich analysiert, wie Putin mit einer manipulierten Version der russischen Geschichte seinen Krieg in der Ukraine legitimiert. Ute Scheub plädiert für die Umverteilung von Wohlstand – gegen die Diktatur der Superreichen. Sonja Peteranderl erörtert, inwiefern sich Femizide und Gewalt gegen Frauen mit KI bekämpfen lassen. Und Benjamin von Brackel und Toralf Staud fragen, ob sich der Klimakollaps durch das Erreichen positiver Kipppunkte verhindern lässt.