Gemeinsame Erklärung der Außenminister Brasiliens, Ägyptens, Irlands, Mexikos, Neuseelands, Sloweniens, Südafrikas und Schwedens vom 9. Juni 1998 (Wortlaut)
Anlaß für die im folgenden abgedruckte Erklärung waren die Atomtests Indiens und Pakistans im Mai und Juni diesen Jahres, die weltweit scharfe Kritik auslösten und die Sorge um ein weiteres Anziehen der atomaren Rüstungsspirale in der Region nährten. Zu den politisch-historischen Hintergründen vergleichen Sie bitte die Beiträge von Harald Müller, Oliver Meier und William Pfaff sowie die Resolution 2172 des UN-Sicherheitsrates in der "Blätter"-Ausgabe 7/1998. - D. Red.
1. Wir, die Außenminister Brasiliens, Ägyptens, Irlands, Mexikos, Neuseelands, Sloweniens, Südafrikas und Schwedens, haben uns mit der fortgesetzten Bedrohung der Menschheit eingehend befaßt, die ausgeht von der Aussicht auf den unbefristeten Besitz nuklearer Waffen durch Nuklearwaffenstaaten sowie durch jene drei nuklearwaffenfähigen Staaten *), die dem Nichtverbreitungsvertrag **) nicht beigetreten sind, und durch die gegebene Möglichkeit des Gebrauchs oder der Drohung des Gebrauchs von Nuklearwaffen. Der Ernst der Lage wurde durch die kürzlich von Indien und Pakistan durchgeführten Atomtests zusätzlich unterstrichen.
2. Wir teilen vollständig das von den Mitgliedern der Canberra Kommission vorgetragene Ergebnis, daß "das Vorhaben, die Nuklearwaffen auf ewig beibehalten zu können und niemals zu benutzen versehentlich oder mit Absicht - der Glaubwürdigkeit entbehrt. Der einzig komplette Schutz ist die Beseitigung der Nuklearwaffen und die Garantie, daß sie nie wieder produziert werden."
3. Wir erinnern daran, daß die Generalversammlung der Vereinten Nationen bereits im Januar 1946 - in ihrer allerersten Resolution - einmütig eine Kommission forderte, die Vorschläge für "eine Beseitigung der Atomwaffen und aller anderen bisherigen zur Massenvernichtung geeigneten Waffen aus den nationalen Rüstungen" machen sollte. So wie wir erfreut sind über die Leistung der internationalen Gemeinschaft, ein vollständiges und globales Verbot chemischer und biologischer Waffen durch die Konventionen von 1972 und 1993 herbeigeführt zu haben, so bedauern wir die Tatsache, daß die zahllosen Resolutionen und Initiativen, die von ähnlichen Zielen in Bezug auf Nuklearwaffen geleitet wurden, im vergangenen halben Jahrhundert unerfüllt geblieben sind.
4. Wir können nicht länger in Selbstgefälligkeit verharren angesichts des Widerstrebens der Nuklearwaffenstaaten und der drei nuklearwaffenfähigen Staaten, jenen fundamentalen und gebotenen Schritt zu tun, nämlich eine klare Verpflichtung auf die zügige, endgültige und vollständige Beseitigung ihrer Nuklearwaffen und Nuklearwaffenkapazitäten einzugehen, und wir drängen sie, diesen Schritt jetzt zu tun.
5. Die große Mehrheit der Mitglieder der Vereinten Nationen ist rechtlich bindende Verpflichtungen eingegangen, keine Nuklearwaffen oder andere nukleare Sprengvorrichtungen entgegenzunehmen, herzustellen oder sich auf andere Weise anzueignen. Dies geschah im Kontext ihrer Vertragspflichten als einer rechtlich bindenden Verpflichtung der Nuklearwaffenstaaten zum Zwecke der nuklearen Abrüstung. Wir sind tief besorgt angesichts des anhaltenden Widerstrebens der Nuklearwaffenstaaten, ihren Vertragspflichten als einer dringenden Verpflichtung zur vollständigen Beseitigung ihrer Nuklearwaffen nachzukommen.
6. In diesem Zusammenhang erinnern wir an die einmütige Folgerung des Internationalen Gerichtshofs in seinem Rechtsgutachten von 1996 ***), daß eine Pflicht besteht, in gutem Glauben Verhandlungen zu verfolgen und abzuschließen, die zur nuklearen Abrüstung in allen Aspekten unter strikter und effektiver internationaler Kontrolle führen.
7. Die internationale Gemeinschaft darf in das dritte Jahrtausend nicht mit der Aussicht eintreten, daß die Beibehaltung dieser Waffen auf unbestimmte Zeit als legitim angesehen wird, wenn die augenblickliche Konstellation eine einzigartige Chance bietet, sie für alle Zeit zu verbieten und zu vernichten. Wir fordern daher die Regierung jedes Nuklearwaffenstaates und der drei nuklearwaffenfähigen Staaten auf, sich unzweideutig zur Beseitigung ihrer jeweiligen Nuklearwaffen und Nuklearwaffenfähigkeit zu verpflichten und zuzustimmen, unverzüglich mit den praktischen Schritten und Verhandlungen zu beginnen, die für das Erreichen dieses Zieles erforderlich sind.
8. Wir stimmen überein, daß die aus diesen Verpflichtungen resultierenden Maßnahmen, die zu einer vollständigen Beseitigung der Nuklearwaffen führen, mit jenen Staaten beginnen sollten, die die größten Arsenale haben. Wir betonen aber auch die Notwendigkeit, daß sich die Staaten mit einem geringeren Arsenal zu einem angemessenen Zeitpunkt in einem nahtlosen Prozeß dazugesellen. Die Nuklearwaffenstaaten sollten unverzüglich beginnen, die zur Erreichung dieses Ergebnisses notwendigen Schritte in Erwägung zu ziehen.
9. In diesem Zusammenhang begrüßen wir sowohl die bisherigen Ergebnisse wie auch die Zukunftsaussichten des START-Prozesses als eines geeigneten bilateralen und später multilateralen, alle Nuklearstaaten umfassenden Mechanismus zum praktischen Abbau und zur Zerstörung nuklearer Ausrüstungen, durchgeführt im Bestreben nach Abschaffung der Nuklearwaffen.
10. Die tatsächliche Beseitigung der Nukleararsenale und die Entwicklung der erforderlichen Verifikationsregime wird zwangsläufig Zeit benötigen. Aber es gibt eine Reihe praktischer Schritte, die die Nuklearwaffenstaaten unverzüglich einleiten könnten und sollten. Wir fordern sie auf, den gegenwärtigen Auslösungsmechanismus aufzugeben durch Verfahren zur Aufhebung der Alarmbereitschaft und zur Deaktivierung ihrer Waffen. Sie sollten außerdem nichtstrategische Nuklearwaffen von ihren Standorten abziehen. Solche Maßnahmen werden vorteilhafte Bedingungen für kontinuierliche Abrüstungsbemühungen schaffen, und unbeabsichtigte, versehentliche oder unbefugte Einsätze verhindern helfen.
11. Damit der nukleare Abrüstungsprozeß fortschreiten kann, müssen die drei nuklearwaffenfähigen Staaten klar und dringend ihre jeweiligen Bestrebungen zur Nuklearwaffenentwicklung und -stationierung aufgeben und Abstand nehmen von jeglichen Aktivitäten, die die Bemühungen der internationalen Gemeinschaft um nukleare Abrüstung untergraben könnten. Wir rufen sie und alle anderen Staaten, die es bis jetzt nicht getan haben, auf, dem Nichtverbreitungsvertrag beizutreten und die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, die sich aus dem Beitritt zu diesem Vertrag ergeben. Desgleichen fordern wir sie auf, den Teststoppvertrag ohne Aufschub und bedingungslos zu unterzeichnen und zu ratifizieren.
12. Ein internationales Verbot der Produktion von spaltbarem Material für Nuklearwaffen oder andere nukleare Sprengvorrichtungen (Cut-off) würde dem Prozeß in Richtung auf eine totale Beseitigung der Nuklearwaffen weiteren Rückhalt geben. Wie bereits 1995 von den Unterzeichnern des Nichtverbreitungsvertrages vereinbart, sollten Verhandlungen über eine solche Konvention unverzüglich beginnen.
13. Abrüstungsmaßnahmen allein werden keine nuklearwaffenfreie Welt herbeiführen. Effektive internationale Kooperation zur Vermeidung der Ausbreitung dieser Waffen ist wesentlich und muß u.a. durch die Ausweitung der Kontrollen über jegliches spaltbare Material und andere relevante Komponenten für Nuklearwaffen intensiviert werden. Jegliches Aufkommen neuer Nuklearwaffenstaaten, oder auch nichtstaatlicher Akteure mit der Fähigkeit, solche Waffen produzieren oder auf anderem Wege beschaffen zu können, gefährdet ernsthaft den Prozeß der Beseitigung der Nuklearwaffen.
14. Ferner müssen auch weitere Maßnahmen ergriffen werden, bis es zur vollständigen Beseitigung der Nukleararsenale kommt. Rechtlich bindende Instrumente sollten entwickelt werden sowohl im Hinblick auf eine gemeinsame Verständigung über den Verzicht auf den Ersteinsatz (no-first-use) zwischen den Kernwaffenstaaten als auch im Hinblick auf den Nichteinsatz bzw. die Drohung mit dem Einsatz von Kernwaffen gegen Nichtkernwaffenstaaten; sogenannte negative Sicherheitsgarantien.
15. Mit dem Abschluß der Verträge von Tlateloco, Rarotonga, Bangkok und Pekindaba zur Errichtung nuklearwaffenfreier Zonen sowie dem Antarktis-Vertrag sind Nuklearwaffen zunehmend aus ganzen Weltregionen ausgeschlossen worden. Die weitere Aufrechterhaltung, die Ausweitung und Neuerrichtung solcher Zonen, vor allem in Spannungsgebieten wie dem Nahen Osten und Südasien, leistet einen signifikanten Beitrag zur Verwirklichung des Zieles einer nuklearwaffenfreien Welt. 1
6. Alle Maßnahmen stellen essentielle Elemente dar, die parallel verfolgt werden können und sollten: von den Nuklearstaaten untereinander sowie von Nuklearstaaten und Nicht-Nuklearstaaten gemeinsam, wodurch eine Straßenkarte in Richtung auf eine nuklearwaffenfreie Welt zustande käme.
17. Die Erhaltung einer von Nuklearwaffen freien Welt bedarf der Untermauerung durch ein universales und multilateral ausgehandeltes, rechtsverbindliches Instrument oder eines Rahmens, der eine sich gegenseitig verstärkende Sammlung an Instrumenten umfaßt.
18. Wir für unseren Teil werden keinerlei Anstrengung scheuen, die obengenannten Ziele zu verfolgen. Wir sind gemeinsam entschlossen, das Ziel einer Welt frei von Nuklearwaffen zu erreichen. Wir stellen mit Nachdruck fest, daß die entschlossene und zügige Vorbereitung auf die postnukleare Ära jetzt beginnen muß.