Ausgabe November 2000

Kohl und die Einheit: Eine Bilanz

Das mußte ja so kommen. Um seinen mehr als fragwürdigen Umgang mit den Finanzen der CDU aus dem öffentlichen Bewußtsein zu verdrängen, läßt sich Helmut Kohl als "Kanzler der Einheit" feiern. Damit transportiert er gleich zwei Mythen: den Mythos, ohne ihn hätte es die deutsche Einheit nicht gegeben, und den Mythos, allein der Weg zur Einheit, den er bestimmt hat, sei gangbar gewesen. Um die Anmaßung abzuwehren, die in einem solchen Anspruch steckt, genügt es freilich nicht zu beteuern, die Einheit gehöre niemandem allein, sondern allen Deutschen. Man muß schon etwas genauer hinschauen und darf sich dabei auch von den diversen Schutzbehauptungen nicht blenden lassen, die im Laufe des Vereinigungsprozesses entstanden sind. Prüfen wir also, welche Alternativen es 1989/90 gab und wie die Entscheidungen zustande gekommen sind, die wir kennen.

Demokratisierung und Führungskrise

Ein erster wesentlicher Schritt in dem Prozeß, der zur deutschen Einheit geführt hat, war mit dem 9. Oktober 1989 getan: mit der Leipziger Montagsdemonstration der 70 000, die ohne den befürchteten Eingriff der Sicherheitskräfte blieb.

Sie haben etwa 3% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 97% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (1€)
Digitalausgabe kaufen (10€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe November 2025

In der November-Ausgabe ergründen Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey die Anziehungskraft des demokratischen Faschismus. Frank Biess legt die historischen Vorläufer von Trumps autoritärer Wende offen – ebenso wie die Lebenslügen der Bundesrepublik. Daniel Ziblatt zieht Lehren aus der Weimarer Republik für den Umgang mit den Autokraten von heute. Annette Dittert zeigt, wie Elon Musk und Nigel Farage die britische Demokratie aus den Angeln zu heben versuchen. Olga Bubich analysiert, wie Putin mit einer manipulierten Version der russischen Geschichte seinen Krieg in der Ukraine legitimiert. Ute Scheub plädiert für die Umverteilung von Wohlstand – gegen die Diktatur der Superreichen. Sonja Peteranderl erörtert, inwiefern sich Femizide und Gewalt gegen Frauen mit KI bekämpfen lassen. Und Benjamin von Brackel und Toralf Staud fragen, ob sich der Klimakollaps durch das Erreichen positiver Kipppunkte verhindern lässt.

Zur Ausgabe Probeabo

Weitere Artikel zum Thema

Warnungen aus Weimar

von Daniel Ziblatt

Autokraten sind vielerorts auf dem Vormarsch. Ihre Machtübernahme ist aber keineswegs zwangsläufig. Gerade der Blick auf die Weimarer Republik zeigt: Oft ist es das taktische Kalkül der alten Eliten, das die Antidemokraten an die Macht bringt.

Von Milošević zu Trump: Die bosnische Tragödie und der Verrat an den Bürgerrechten

von Sead Husic

Es herrschte keine Freude bei der bosnisch-herzegowinischen Regierungsdelegation am 22. November 1995 auf dem Wright-Patterson-Luftwaffenstützpunkt in Dayton. Eben hatte sie dem Friedensabkommen mit der Bundesrepublik Jugoslawien, die noch aus Serbien und Montenegro bestand, und Kroatien zugestimmt, doch sie fühlte sich betrogen.