Die Nachbarn reiben sich die Augen: Wieder einmal geht das Gespenst des Rechtsradikalismus um in Deutschland, und eine parteiübergreifende Koalition von aufgeschreckten Politikern verlangt schnellstens "Maßnahmen" (bis hin zu Schnell- alias Standgerichten). Die CSU setzt sich, sehr betont und nicht zum erstenmal, für ein Verbot der NPD ein und der Außenminister, der sich für das Deutschlandbild "des Auslands" zuständig fühlt, fordert ab sofort "Null Toleranz" gegen rechtsradikale Umtriebe. Die Sorge um das Ansehen Deutschlands ist durchaus verständlich. Die vielen Anschläge auf "Ausländer", Juden, Homosexuelle und Obdachlose zeugen von einer Grausamkeit, die man spätestens seit 1945 überwunden glaubte. Politiker erschöpfen sich in Betroffenheit, beschwören Zivilcourage - und setzen dabei auch auf das kurze Gedächtnis der Öffentlichkeit. Denn es gab sie, die "Einheit von Schlips und Springerstiefel", wie die "Asyldebatte" Anfang der 90er Jahre deutlich gemacht hat. Mit menschenverachtender Rhetorik agierten Politiker fast aller Parteien gegen die "Asylantenflut" und beteuerten das Boot sei voll.
In der September-Ausgabe plädiert Lea Ypi für eine Migrationsdebatte im Sinne der Aufklärungsphilosophie. Cinzia Sciuto fordert, der zunehmenden Aushöhlung des Völkerrechts mit einer entschiedenen Verteidigung desselben zu begegnen – und nicht mit Resignation und falschem Realismus. Für Georg Diez markieren die Kriegsverbrechen in Gaza und die fehlenden Reaktionen darauf einen Epochenbruch; sie stünden für nicht weniger als den Verrat des Westens an der Humanität. Herfried Münkler analysiert, wie Kriege historisch endeten und Friedenszeiten begannen und was das mit Blick auf den Ukrainekrieg bedeutet. Simone Schlindwein deckt auf, wie Russland junge Afrikanerinnen mit falschen Versprechen für die Kriegswirtschaft rekrutiert. Warum die grüne Digitalisierung ein Mythos ist und was der KI-Boom den Globalen Süden kostet, erläutern Ingo Dachwitz und Sven Hilbig. Und Eva-Maria Klinkisch sowie Markus Rieger-Ladich zeigen auf, wie Long Covid-Betroffene von der Gesellschaft und dem Gesundheitssystem systematisch ignoriert werden – und was dagegen zu tun ist.