Schon das erste Telefonat zwischen dem israelischen Wahlsieger Ariel Scharon und Palästinenserführer Yassir Arafat machte deutlich, daß beide noch keine gemeinsame Sprache gefunden haben. Arafat verwies auf die dramatische Versorgungslage in den autonomen Gebieten, Scharon insistierte auf der Beendigung der "palästinensischen Gewalt" als Vorbedingung für die Aufnahme von Verhandlungen. Die zentrale Rolle der Sicherheitsfrage für israelische Politiker ist kein Novum. Für Scharon allerdings scheint sie - im Unterschied zu Ehud Barak - eine konkurrenzlos dominante, alle anderen Aspekte beiseite drückende Position einzunehmen. Zwar lassen sich Scharons Vorstellungen hinsichtlich des Palästinenserkonflikts noch nicht in Gänze überblicken, doch deutet alles darauf hin, daß sich auch unter der großen Koalition (Likud-Block, Arbeitspartei und kleinere Parteien) der Beginn von Gesprächen über den Endstatus der Autonomiegebiete weiter verzögern wird. Sollte der neue Außenminister Shimon Peres das von Ehud Barak im Vorjahr in Camp David unterbreitete Angebot in vollem Umfang wiederholen, könnte die neue Koalition auseinanderbrechen.
In der September-Ausgabe plädiert Lea Ypi für eine Migrationsdebatte im Sinne der Aufklärungsphilosophie. Cinzia Sciuto fordert, der zunehmenden Aushöhlung des Völkerrechts mit einer entschiedenen Verteidigung desselben zu begegnen – und nicht mit Resignation und falschem Realismus. Für Georg Diez markieren die Kriegsverbrechen in Gaza und die fehlenden Reaktionen darauf einen Epochenbruch; sie stünden für nicht weniger als den Verrat des Westens an der Humanität. Herfried Münkler analysiert, wie Kriege historisch endeten und Friedenszeiten begannen und was das mit Blick auf den Ukrainekrieg bedeutet. Simone Schlindwein deckt auf, wie Russland junge Afrikanerinnen mit falschen Versprechen für die Kriegswirtschaft rekrutiert. Warum die grüne Digitalisierung ein Mythos ist und was der KI-Boom den Globalen Süden kostet, erläutern Ingo Dachwitz und Sven Hilbig. Und Eva-Maria Klinkisch sowie Markus Rieger-Ladich zeigen auf, wie Long Covid-Betroffene von der Gesellschaft und dem Gesundheitssystem systematisch ignoriert werden – und was dagegen zu tun ist.