Indro Montanelli war ein weiser Mann. Er konnte auf ein äußerst bewegtes Leben im Dienste des Journalismus zurückblicken: geboren in der liberalen Giolitti-Ära, Erster Weltkrieg, groß geworden mit den Schwarzhemden Mussolinis, Zweiter Weltkrieg, demokratischer Neuanfang, Systemwechsel von der Monarchie zur Republik, 68er Revolten, die "bleiernen Jahre" 1) des Links- und Rechtsterrorismus, die "Jahre des Schlamms" 2), in dem sich die Parteien suhlten, die Tangentopoli-Krise des "Schmiergeldstaats" und der vermeintliche Aufbruch in die zweite italienische Republik. Viele sahen in dem hoch gewachsenen und spindeldürren Alten Italiens letzte Stimme des Gewissens, die mit seinem Tod vor knapp einem Jahr verstummte. Er war der Nestor des italienischen Journalismus schlechthin, ein Intellektueller, versteht sich, beileibe aber kein Linker. Zu guter Letzt hat er sich noch mal als Arzt versucht. Seine Diagnose lautete: "Berlusconitis".
An dieser heimtückischen Krankheit leide sein Land, und nur ein einziger Impfstoff verspreche Heilung: eine Überdosis Berlusconi! Ob Krankheit, Anomalie oder Faktor B - wie immer man das Phänomen Berlusconi auch nennen mag: Italien ist schon fast daran gewöhnt, aus dem Raster westlicher Demokratien zu fallen.