Ausgabe Januar 2003

Balkanische Wahlen als riskante Farce

Egal wie alt oder leidend ihre Patienten waren – mittelalterliche Ärzte verordneten unterschiedslos Aderlässe. Egal wie leidend balkanische Staaten sind – die internationale Gemeinschaft greift zu Wahlen als Allheilmittel, und sie tut es so häufig und undifferenziert, dass Wahlen mit der Regelmäßigkeit fünfter Jahreszeiten anfallen. Von Nutzen konnte in beiden Fällen nur selten die Rede sein: Wo medizinische Grundeinsichten fehlen, bleiben Diagnose und Therapie Stückwerk – wo demokratische Werte bestenfalls oberflächlich verankert sind und auch keine internationalen Konzepte zur Behebung dieses Mangels vorliegen, degenerieren Wahlen im Normalfall zu pseudodemokratischen Surrogaten.

Es hat im westlichen Balkan durchaus Wahlen von historischer Bedeutung gegeben, etwa im Januar 2000, als in Kroatien die Tudjman-Bewegung HDZ eine deutliche Abfuhr erlebte, und im September 2000, als in Serbien der Diktator Slobodan Milošević noch eindeutiger verlor. Beide Wahlen waren im Grunde Referenden, bei denen die Menschen ihr Urteil über ein Jahrzehnt der Korruption, des Machtmissbrauchs und der Kriegsabenteuer sprachen – unbeeinflusst vom Ausland, wo man derart radikale Umstürze weder erwartet hatte, noch sie sich überhaupt vorstellen konnte.

Sie haben etwa 10% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 90% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (1€)
Digitalausgabe kaufen (10€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe Dezember 2025

In der Dezember-Ausgabe ergründet Thomas Assheuer, was die völkische Rechte mit der Silicon-Valley-Elite verbindet, und erkennt in Ernst Jünger, einem Vordenker des historischen Faschismus, auch einen Stichwortgeber der Cyberlibertären. Ob in den USA, Russland, China oder Europa: Überall bilden Antifeminismus, Queerphobie und die selektive Geburtenförderung wichtige Bausteine faschistischer Biopolitik, argumentiert Christa Wichterich. Friederike Otto wiederum erläutert, warum wir trotz der schwachen Ergebnisse der UN-Klimakonferenz nicht in Ohnmacht verfallen dürfen und die Narrative des fossilistischen Kolonialismus herausfordern müssen. Hannes Einsporn warnt angesichts weltweit hoher Flüchtlingszahlen und immer restriktiverer Migrationspolitiken vor einem Kollaps des globalen Flüchtlingsschutzes. Und die Sozialwissenschaftler Tim Engartner und Daniel von Orloff zeigen mit Blick auf Großbritannien und die Schweiz, wie wir dem Bahndesaster entkommen könnten – nämlich mit einer gemeinwohlorientierten Bürgerbahn. 

Zur Ausgabe Probeabo

Weitere Artikel zum Thema

Vom Proletariat zum Pöbel: Das neue reaktionäre Subjekt

von Micha Brumlik

Gewiss, es waren keineswegs nur Mitglieder der US-amerikanischen weißen Arbeiterklasse, die Donald Trump an die Macht gebracht haben. Und doch waren es auch und nicht zuletzt eben jene Arbeiter und Arbeitslosen – und genau hier liegt das eigentliche Erschrecken für die Linke.