Ausgabe Januar 2003

Balkanische Wahlen als riskante Farce

Egal wie alt oder leidend ihre Patienten waren – mittelalterliche Ärzte verordneten unterschiedslos Aderlässe. Egal wie leidend balkanische Staaten sind – die internationale Gemeinschaft greift zu Wahlen als Allheilmittel, und sie tut es so häufig und undifferenziert, dass Wahlen mit der Regelmäßigkeit fünfter Jahreszeiten anfallen. Von Nutzen konnte in beiden Fällen nur selten die Rede sein: Wo medizinische Grundeinsichten fehlen, bleiben Diagnose und Therapie Stückwerk – wo demokratische Werte bestenfalls oberflächlich verankert sind und auch keine internationalen Konzepte zur Behebung dieses Mangels vorliegen, degenerieren Wahlen im Normalfall zu pseudodemokratischen Surrogaten.

Es hat im westlichen Balkan durchaus Wahlen von historischer Bedeutung gegeben, etwa im Januar 2000, als in Kroatien die Tudjman-Bewegung HDZ eine deutliche Abfuhr erlebte, und im September 2000, als in Serbien der Diktator Slobodan Milošević noch eindeutiger verlor. Beide Wahlen waren im Grunde Referenden, bei denen die Menschen ihr Urteil über ein Jahrzehnt der Korruption, des Machtmissbrauchs und der Kriegsabenteuer sprachen – unbeeinflusst vom Ausland, wo man derart radikale Umstürze weder erwartet hatte, noch sie sich überhaupt vorstellen konnte.

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