Ausgabe November 2004

Entpolitisierung des Rechtsextremismus

Je mehr die großen Parteien an Stimmen verlieren, desto stärker neigen sie dazu, den Wählerinnen und Wählern einen gesunden Menschenverstand und eine politisch motivierte Wahlentscheidung abzusprechen. Nach den Erfolgen rechtsextremer Parteien bei den Landtagswahlen im Saarland, in Sachsen und Brandenburg sowie - dort, wo sie angetreten sind - auch bei den Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen wird behauptet, rechtsextreme Parteien würden nur aus "Trotz" gewählt. Es handele sich um einen sozialen Aufschrei der Arbeitslosen, der Vereinigungs- und Modernisierungsverlierer, der durch Sozialreformen Verunsicherten. Oder, unter Hinweis auf den großen Anteil von Erstwählerinnen und Erstwählern: Dies sei die unreife Wahlentscheidung junger Erwachsener, die politisch noch nicht hinreichend erzogen seien.

Die Erklärungsmuster, die hier gewählt werden, entstammen der Verhaltensforschung und Psychologie, der Ökonomie und Pädagogik. Dass eine Wahlentscheidung in erster Linie eine politische Handlung ist, gerät dabei aus dem Blick.

Verbreitet wird angenommen, wer sich für die Wahl einer rechten Partei entscheide, tue dies gewissermaßen aus Versehen, falle auf "dumpfe Parolen" herein, kurz: habe es eigentlich gar nicht so gemeint.

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In der Dezember-Ausgabe ergründet Thomas Assheuer, was die völkische Rechte mit der Silicon-Valley-Elite verbindet, und erkennt in Ernst Jünger, einem Vordenker des historischen Faschismus, auch einen Stichwortgeber der Cyberlibertären. Ob in den USA, Russland, China oder Europa: Überall bilden Antifeminismus, Queerphobie und die selektive Geburtenförderung wichtige Bausteine faschistischer Biopolitik, argumentiert Christa Wichterich. Friederike Otto wiederum erläutert, warum wir trotz der schwachen Ergebnisse der UN-Klimakonferenz nicht in Ohnmacht verfallen dürfen und die Narrative des fossilistischen Kolonialismus herausfordern müssen. Hannes Einsporn warnt angesichts weltweit hoher Flüchtlingszahlen und immer restriktiverer Migrationspolitiken vor einem Kollaps des globalen Flüchtlingsschutzes. Und die Sozialwissenschaftler Tim Engartner und Daniel von Orloff zeigen mit Blick auf Großbritannien und die Schweiz, wie wir dem Bahndesaster entkommen könnten – nämlich mit einer gemeinwohlorientierten Bürgerbahn. 

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