Ausgabe April 2006

Iran - Die Folgen eines Krieges

Studie von Paul Rogers für die Oxford Research Group vom Februar 2006 (Auszüge)

Im November 2002, vier Monate vor dem Beginn des Irakkriegs, veröffentlichte die renommierte unabhängige Oxford Research Group den Bericht „Irak – Die Folgen eines Krieges“, der die möglichen Folgen einer Militäroperation gegen das Regime Saddam Husseins untersuchte. Zwei ihrer Schlussfolgerungen waren, dass die Beseitigung des Regimes zwar möglich wäre, die Besetzung des Irak durch Truppen der USA und ihrer Alliierten jedoch den Rückhalt radikaler Kräfte in der Region stärken und Aufruhr schüren würde. Ebendies ist derzeit täglich im Irak zu beobachten; heute steht das Land am Rande des Bürgerkriegs. Die im Februar d.J. erschienene neue Studie analysiert nun ein mögliches militärisches Vorgehen der USA und Israels zur gewaltsamen nuklearen Entwaffnung des Iran. Autor auch dieser Studie ist Paul Rogers, Professor für Friedensforschung an der Universität Bradford und seit über 20 Jahren auf den Gebieten internationale Sicherheit und Rüstungskontrolle tätig. Die Studie wurde in Auftrag gegeben von der NGO „Internationale Ärzte zur Verhütung eines Atomkrieges“ (IPPNW), von der auch die deutsche Übersetzung stammt. – D.Red. [...]

Einleitung

[...] Als dieser Bericht [gemeint ist der Bericht zum Irakkrieg von 2002, d. Red.] verfasst wurde, schien ein Krieg mit dem Irak immer wahrscheinlicher. Gemessen daran scheint zum gegenwärtigen Zeitpunkt ein Krieg gegen den Iran wegen dessen vermuteter Atomwaffenpläne weit weniger wahrscheinlich. Das kann sich jedoch ändern. Eine diplomatische Beilegung der tiefgreifenden Differenzen zwischen Washington und Teheran ist immer noch möglich, wird aber zunehmend unwahrscheinlicher. Größere Probleme können nicht ausgeräumt werden und verschärfen sich möglicherweise noch. Daher wächst die Wahrscheinlichkeit eines Militärschlages durch die USA oder Israel. [...]

Der vorliegende Bericht geht davon aus, dass jegliches militärische Vorgehen der Vereinigten Staaten oder Israels den Zweck hätte, den Atomanlagen und dem Mittelstreckenraketenprogramm des Iran erheblichen Schaden zuzufügen. Darüber hinaus würden sich die USA bemühen, einem iranischen Gegenschlag zuvorzukommen. Der Bericht analysiert nicht die Möglichkeit, dass die USA ihren Militärschlag auch darauf anlegen könnten, das gegenwärtige Regime in Teheran zu beseitigen. Ein solches Vorgehen würde den Einsatz von mindestens 100000 Bodensoldaten der Vereinigten Staaten und ihrer möglichen Alliierten erfordern. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt verfügen die USA nicht über derartige Reserven, hauptsächlich, weil sie eine Truppenstärke von bis zu 150000 im Irak, bis zu 30000 in den westlichen Golfstaaten und rund 18000 in Afghanistan aufrechterhalten wollen. Andere Länder könnten weder eine derartig große Anzahl von Soldaten bereitstellen, noch würden sie derzeit ein solches militärisches Vorgehen der USA auch nur im Entferntesten unterstützen. Daher wird die Beseitigung des Regimes als militärisches Ziel in diesem Bericht nicht erörtert.

Der US-Kontext

Obwohl der US-Militäreinsatz im Irak zu großen Schwierigkeiten geführt hat, dominiert in neokonservativen Kreisen in Washington nach wie vor das Gefühl, dass der Iran eine viel größere Bedrohung für die regionalen und globalen Interessen der USA darstellt, als es der Irak jemals tat. Vor dem Beginn des Irakkriegs im März 2003 herrschte allgemein die Ansicht, dass „wir uns über den Iran keine Sorgen mehr machen müssen, wenn wir unsere Sache im Irak gründlich machen.“ Mit anderen Worten: Wenn das Militär in der Lage wäre, das Saddam-Hussein-Regime schnell zu entmachten und durch ein stabiles, von permanenten US-Militärbasen gestütztes Vasallenregime zu ersetzen, würde sich der Iran der politischen Vormachtstellung der USA in der Region beugen und kaum noch Probleme machen. Dass die „Sache“ im Irak nicht „gründlich gemacht“ werden konnte, und dass es nun ein beträchtliches Potential für iranischen Einfluss im Irak gibt, sind zwei Folgen der Entscheidung, das Saddam-Regime zu beseitigen.

Die Wahrnehmung des Iran als Hauptbedrohung für die Interessen der USA im Nahen Osten ist zum Teil eine Langzeitfolge der Ereignisse des Jahres 1979, in dem das scheinbar stabile, autoritäre und proamerikanische Schah-Regime innerhalb weniger Wochen entmachtet wurde. [...] Der plötzliche Zusammenbruch des Regimes, gefolgt von traumatischer Hilflosigkeit der USA während der Geiselnahme von Teheran und der anschließenden erbitterten Feindseligkeit der Islamischen Republik unter Ayatollah Chomeini gegenüber den Vereinigten Staaten, hatte zur Folge, dass der Iran ein unmittelbares und dauerhaftes Hindernis bei der Durchsetzung amerikanischer Interessen in dieser Region wurde.

Im Mittelpunkt dieser Interessen standen und stehen die enormen Ölreserven der Golfregion. Die Vereinigten Staaten werden zunehmend abhängiger von Ölimporten. War der Faktor Öl bereits Anfang der 90er Jahre wichtig, so ist er es jetzt, 15 Jahre später, noch viel mehr. Denn die Abhängigkeit der USA von Ölimporten wächst von Jahr zu Jahr, und auch China befindet sich in einer ähnlichen Lage. Die Golfregion wird aufgrund ihrer fossilen Brennstoffressourcen für mindestens 30 weitere Jahre von großer geopolitischer Bedeutung bleiben.

Unter diesen Umständen wäre es für die USA prinzipiell inakzeptabel, einem „Schurkenstaat“ wie dem Iran auch nur ansatzweise ein eigenes Atompotential zuzugestehen. Ein derartiges „Abschreckungspotential“ würde die Möglichkeiten der Vereinigten Staaten in der Region stark einschränken und wäre eine Bedrohung für ihren engsten Verbündeten Israel. Auch wenn Washington in dem Bemühen, eine bedeutende nukleare Infrastruktur im Iran zu verhindern, diplomatische Mittel nicht rundweg ablehnt, so ist es doch möglich, dass beim Scheitern der Diplomatie versucht werden wird, die vermutete Infrastruktur zur Herstellung von Atomwaffen und mit ihr in Verbindung stehende Einrichtungen zu zerstören.

Der Faktor Israel

Seit den späten 60er Jahren verfügt Israel über ein nukleares Arsenal. Man schätzt, dass das Land etwa 200 Atomsprengköpfe besitzt, die in erster Linie zur Bestückung von Flugzeugen und Boden-Boden-Raketen gedacht sind. Möglicherweise entwickelt Israel auch Sprengköpfe für Marschflugkörper, die von U-Booten aus abgefeuert werden können. Trotzdem ist Israel der Auffassung, dass die eigene Sicherheit nur dann gewährleistet sein kann, wenn es der einzige Staat der Region mit atomarer Option bleibt. Seit der Iranischen Revolution Ende der 70er Jahre haben alle aufeinander folgenden israelischen Regierungen den Iran als die größte regionale Bedrohung angesehen.

Einheiten der israelischen Luftwaffe zerstörten 1981 den irakischen Forschungsreaktor Osirak bei Bagdad und schränkten so die Möglichkeiten des Irak ein, mittels Plutonium Atomwaffen herzustellen. Bagdad befand sich in Reichweite israelischer Flugzeuge, wohingegen iranische Einrichtungen bis vor kurzem außerhalb der Reichweite lagen. Mit dem Import von Langstreckenvarianten der US-amerikanischen F-15- und F16-Kampfflugzeuge – F-15I und F-16I – hat sich das jetzt geändert. Derzeit sind 25 F-15I-Maschinen in Betrieb, und Israel baut eine Flotte von 102 F-16I-Flugzeugen auf, deren Lieferung 2003 begann. Die israelische Luftwaffe erwarb außerdem 500 bunkerbrechende Bomben aus den USA, die dazu dienen, tief unter der Erde gelegene Ziele zu zerstören. [...]

Der vorliegende Bericht geht davon aus, dass die israelischen Streitkräfte (IDF) bei möglichen Militäraktionen gegen iranische Atomeinrichtungen von den USA insgeheim unterstützt werden würden. Die IDF erhielten gegebenenfalls Zugang zu Einrichtungen im nordöstlichen Irak. Das Ziel einer Militäroperation der IDF bestünde lediglich darin, ein in Entwicklung befindliches Atomprogramm um mindestens fünf Jahre zurückzuwerfen und zudem die iranische Raketenentwicklung zu verhindern. Eine Militäroperation der USA würde aus noch zu erläuternden Gründen weiter gehende Ziele verfolgen.

Die engen Verbindungen zwischen Israel und den Vereinigten Staaten sind im Nahen und Mittleren Osten viel bekannter als in den USA und in Europa. Daher würde jede Militäraktion Israels gegen den Iran als eine gemeinsame Operation angesehen werden, bei der Israel stellvertretend für die USA und mit deren Unterstützung agiert.

Der iranische Kontext

[...] Obwohl im Iran durchaus Vertrauen in die eigenen militärischen Fähigkeiten besteht, existiert ein Gefühl der Unsicherheit. In den vergangenen vier Jahren musste man dort mit ansehen, wie Regierungen östlich und westlich des eigenen Landes durch groß angelegte Militäraktionen einer Supermacht hinweggefegt wurden – einer Supermacht, der auch die Beseitigung des iranischen Regimes wünschenswert erscheint.

Direkt westlich des Iran haben die USA im Irak fast 150 000 Soldaten stationiert und bauen dort permanente Militärstützpunkte auf. In Kuwait, Bahrain und Katar sind umfangreiche US-Truppenkontingente stationiert, und die Fünfte Flotte kontrolliert die Gewässer des Persischen Golfs und des Arabischen Meeres. Im Vergleich mit der kleinen iranischen Kriegsmarine verfügt sie über eine enorme Schlagkraft. Im Osten des Iran beobachtet man, dass sich die USA fest in Afghanistan niedergelassen und dort zwei ständige Stützpunkte in Bagram bei Kabul und in Kandahar errichtet haben. Außerdem wird nahe der westafghanischen Stadt Herat an der iranischen Ostgrenze gerade eine weitere große Militärbasis angelegt. Schließlich pflegen die USA auch noch enge militärische Kontakte – einschließlich der Unterhaltung von Stützpunkten – zu einer Reihe von Ländern nördlich und östlich des Iran, insbesondere zu jenen rund um die Ölfelder des Kaspischen Beckens und in der Nähe der Ölpipelines, die dieses Öl zu Häfen am Schwarzen Meer oder am Mittelmeer transportieren.

Die gegenwärtige Situation im Iran

All diese Faktoren lassen die Vermutung aufkommen, dass der Iran den dringenden Wunsch hat, Atomwaffen zu entwickeln oder zu deren Entwicklung kurzfristig imstande zu sein, falls nach eigener Einschätzung die nationale Sicherheit es erfordert. Trotz dieser Motive ist eine Entscheidung zur Entwicklung von Atomwaffen nicht zwangsläufig. Die Zusammenhänge werden durch das gegenwärtige politische Umfeld noch verkompliziert. [...]

Die gegenwärtigen Verhältnisse im benachbarten Irak sind äußerst günstig für die Regierung in Teheran und ungünstig für die USA. Fortschritte in Richtung einer breiteren Repräsentation im Irak würden für die Schiiten, von denen viele enge Verbindungen in den Iran haben, automatisch auch mehr Macht bedeuten. Trotz häufiger Behauptungen, der Iran unterstütze einige der schiitischen Milizen im Irak, gibt es kaum nennenswerte Hinweise darauf. Gleichwohl ist das Potential hierzu sicherlich vorhanden. [...]

Das militärische Vorgehen der USA

Aus Sicht der USA gäbe es zwei Hauptgründe für ein Vorgehen gegen iranische Atomanlagen. Einerseits könnten die USA versuchen, durch deren Zerstörung das iranische Atomprogramm um mindestens fünf Jahre zurückzuwerfen und somit die mögliche Produktion von Atomwaffen zu verzögern. Der zweite Grund wäre, deutlich zu machen, dass die USA bereit und in der Lage sind, präventive militärische Maßnahmen in großem Umfang zu ergreifen. Zudem würde es demonstrieren, dass die USA auch gegen andere Aktivitäten des Iran – zum Beispiel eine Einmischung im Irak – vorgehen würden. Das Kernproblem besteht darin, dass jede militärische Handlung in der Praxis aus mehr als nur einer Reihe von Angriffen auf eine kleine Auswahl unmittelbar mit dem Atomprogramm verbundener Anlagen bestehen würde. Es wäre mit dem Beginn eines Militärschlages praktisch unmöglich, irgendeine Beziehung zum Iran zu unterhalten, die nicht auf Gewalt basiert.

Davon abgesehen lässt alles darauf schließen, dass ein Militärschlag einen starken einigenden Effekt innerhalb des Iran zur Folge hätte. Er würde zur Solidarisierung eines breiten politischen und religiösen Spektrums mit der jeweiligen Regierung führen, wodurch deren Machtbasis und Stabilität gefestigt würden. Sogar die gegenwärtige Regierung würde in einem solchen Fall wohl breite Unterstützung erfahren. Jene Teile der Theokratie, die zurzeit noch misstrauisch gegenüber Ahmadinedschad sind und ihm seinen unerwarteten Wahlerfolg missgönnen, würden angesichts eines US-Militärschlages einem geeinten Iran nicht im Wege stehen.

Da bei den US-Streitkräften zurzeit eine Überdehnung der Armee und des Marinekorps herrscht, würde ein Angriff auf iranische Atomanlagen fast ausschließlich von Luftwaffe und Marine ausgeführt werden. Um die größtmögliche Wirkung zu erzielen, würde man überraschend zuschlagen und dabei bereits in der Region befindliche landgestützte Flugzeuge, aus den USA, Großbritannien und Diego Garcia operierende Langstreckenkampfflugzeuge sowie Seestreitkräfte einsetzen. Unterstützt würden diese Einheiten mit Flugzeugträgern und vom Meer aus abgefeuerten Marschflugkörpern.

Die US-Marine hält im oder unmittelbar am Persischen Golf zu jeder Zeit eine Kampfeinheit von Flugzeugträgern einsatzbereit. Die einzelnen Gruppen wechseln sich ab, manchmal sind sogar zwei Gruppen mit mehr als 150 Flugzeugen und Hunderten von Marschflugkörpern auf Station. Eine ähnlich große Zahl von landgestützten Flugzeugen könnte kurzfristig aus den US-Stützpunkten in der Region zusammengezogen werden. B-1B- und B2-Bomber könnten von außerhalb operieren. Insbesondere Spezialanlagen, wie sie für den Betrieb der B-2-Tarnkappenbomber erforderlich sind, befinden sich inzwischen auch auf dem Luftstützpunkt Fairford in Gloucestershire, Großbritannien.

Luftangriffe gegen Atomanlagen würden auch die Zerstörung des Forschungsreaktors in Teheran und der angeschlossenen Einrichtungen einschließen. Darunter befinden sich die Produktionsanlage für Radioisotope, eine Reihe von Forschungslaboratorien und die Kalaye Electric Company. Das Zentrum für Nukleartechnologie in Isfahan wäre ein weiteres Hauptziel, einschließlich einer Reihe von Forschungsreaktoren, einer Anlage zur Urankonversion und eines Labors zur Brennstoffherstellung. Pilotprojekte und voll funktionsfähige Anlagen zur Urananreicherung in Natanz wären betroffen, ebenso Einrichtungen in Arak. Der fast fertig gestellte 1000-Megawatt-Reaktor in Buschir würde ein problematisches Ziel sein, sobald der Reaktor mit Brennstäben ausgerüstet und die kritische Masse im Laufe des Jahres 2006 erreicht werden würde. Dann könnte jegliche Beschädigung des Schutzmantels zu ernsthaften Problemen durch die Freisetzung von Radioaktivität führen. Davon würden nicht nur die iranische Golfküste, sondern auch die westlich gelegenen Küsten Kuwaits, Saudi- Arabiens, Bahrains, Katars und der Vereinigten Arabischen Emirate in Mitleidenschaft gezogen werden. Abgesehen von den unmittelbaren Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen, würden die Folgen aufgrund der Tatsache, dass sich in diesen Ländern der wichtigste Teil der weltweiten Ölproduktion konzentriert, schwerwiegend sein.

All diese Angriffe würden mehr oder weniger gleichzeitig ausgeführt, um so viele technisch kompetente Fachleute wie möglich auf einmal zu töten und so den Zukunftsperspektiven des iranischen Atomprogramms den größtmöglichen Schaden zuzufügen. [...]

Da das Ziel darin besteht, den Iran in der Nutzung seines nuklearen Potentials so weit wie möglich zurückzuwerfen, wäre es unausweichlich, weit über die Zerstörung von Einrichtungen hinauszugehen, da diese relativ schnell ersetzt werden können. Die Tötung von Personen mit technischen Fachkenntnissen hätte weitaus substanziellere Auswirkungen auf jegliche Bemühungen, das atomare Potential wieder aufzubauen. Da sich unter diesen Fachleuten bekanntermaßen auch Ausländer befinden, würde die Tötung jener, die bereits im Iran arbeiten, andere von einem zukünftigen Engagement in diesem Land abschrecken.

Das US-Militär hat bereits Aufklärungsdrohnen eingesetzt, um iranische Einrichtungen zu kartographieren. In Kombination mit Satellitenaufklärung und verschiedenen Formen der elektronischen Überwachung haben diese Flüge umfangreiche Informationen über die nukleare Infrastruktur und andere Verteidigungstruppen geliefert.

Die bisher beschriebenen möglichen Angriffe setzen in Bezug auf den Kernbereich der nuklearen Infrastruktur und das Luftabwehrsystem auf ein starkes Überraschungselement und müssten innerhalb weniger Stunden erfolgen. Bis zu 100 Kampfflugzeugeinsätze, unterstützt von mehreren hundert Betankungs-, Gegenabwehr- und Aufklärungsflügen, würden von mindestens 200 abgefeuerten Marschflugkörpern begleitet.

Nach der unmittelbaren Einschätzung des Bombardierungsschadens würden die Hauptziele während der folgenden Tage parallel zu Angriffen auf weniger kritische Ziele erneut unter Beschuss genommen. Die militärisch aktivste Phase für die US-Streitkräfte dürfte vier bis fünf Tage dauern, könnte je nach Reaktion seitens des Iran aber auch noch einige Tage mehr in Anspruch nehmen. [...]

Opfer

Es ist äußerst schwierig, die Zahl der Opfer unter iranischen Soldaten und der Zivilbevölkerung einzuschätzen, aber zweierlei kann man sagen: Erstens werden die Berichte über zivile Opfer während der ersten drei intensiven Kriegswochen wie auch schon im Irak unvollständig sein. Das ganze Ausmaß wird wahrscheinlich erst nach mehreren Monaten deutlich werden. Jedoch würde jegliche an die Öffentlichkeit kommende Meldung über zivile Opfer von iranischen und kommerziellen Medien wie „Al-Jazeera“ über die gesamte Nahostregion verbreitet werden. Zweitens kostet ein Überraschungsschlag meist viele zivile und militärische Menschenleben, da die Opfer unvorbereitet und ungeschützt sind. Die Menschen hätten keine Gelegenheit, sich von wahrscheinlichen Zielgebieten zu entfernen, wie dies in den Tagen und Wochen vor der Invasion des Irak möglich war. [...]

Iranische Reaktionen

Aufgrund der geringen Größe und der weitgehend veralteten Ausstattung der iranischen Luftstreitkräfte und Luftabwehrsysteme hätte der Iran einer US-Operation nach oben beschriebenem Muster unmittelbar nur wenig entgegenzusetzen. Darüber hinaus wäre ein US-Angriff darauf angelegt, diese begrenzten Möglichkeiten vollständig zu zerstören.[...] In Wirklichkeit hat der Iran viele Möglichkeiten zu reagieren, auch wenn diese ihre Wirkung nicht unmittelbar entfalten.

Wiederaufbau des Atomprogramms. Ganz gleich, wie stark die atomare Infrastruktur des Iran bei einem Angriff zerstört werden würde, der offizielle Rückzug aus dem Atomwaffensperrvertrag wäre sehr wahrscheinlich. Eine weitere unmittelbare Reaktion bestünde aus dem geheimen und zügigen Wiederaufbau der nuklearen Infrastruktur sowie der Entwicklung eines Atomwaffenpotentials. [...]

Ganz allgemein würde in den Jahren nach einem US-Angriff jegliche Hoffnung schwinden, über das vermutete Atomwaffenprogramm des Iran zu verhandeln. Das wiederum würde zu einer Schwächung der globalen Bemühungen um die Nichtverbreitung von Atomwaffen führen. Sich mit einem Iran, der die Möglichkeit zum Bau von Atomwaffen hat, einvernehmlich zu arrangieren, scheint geboten. Ein US-Militärschlag würde mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit einen für Jahrzehnte offen nuklear bewaffneten Iran hervorbringen, oder es würden weitere Militärschläge folgen.

Die Hisbollah. Wahrscheinlich würde der Iran die Hisbollah zu weiteren militanten Aktionen im Südlibanon ermutigen. [...] Jegliches Vorgehen der Hisbollah würde erhebliche militärische Reaktionen aus Israel nach sich ziehen. [...]

Die Straße von Hormuz. Ein wichtiges strategisches Ziel bei jedem militärischen Vorgehen der USA wäre es, eine Störung der Ölexporte aus dem Persischen Golf im Vorfeld zu verhindern. Eingeleitete Maßnahmen müssten alle Möglichkeiten des Iran zu einer Störung des Tankerverkehrs nahezu vollständig ausschalten. Das erscheint schwierig, wenn nicht gar unmöglich. Aber schon die bloße Angstreaktion hätte gewaltige Auswirkungen auf die Ölmärkte.

Ölanlagen in den westlichen Golfstaaten. Außerdem könnten paramilitärische Einheiten mit Verbindungen zum Iran die Fähigkeit entwickeln, Ölexportanlagen in den westlichen Golfstaaten Kuwait, Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten zu sabotieren. Zweifellos müssten in diesen Ländern hohe Sicherheitsstufen aufrechterhalten werden. Dennoch wäre es schwierig, zu allem entschlossene paramilitärische Gruppen vollständig unter Kontrolle zu behalten. Schon ein oder zwei Fälle von Sabotage würden die Spannungen erhöhen und die Ölmärkte weiter in Mitleidenschaft ziehen. [...]

Angesichts der Beschaffenheit der iranisch-irakischen Grenze wäre der Iran in einer sehr günstigen Lage, Rebellengruppierungen im Irak auf verschiedene Art unterstützen zu können, sowohl mit einer großen Auswahl unterschiedlicher Waffen als auch personell. Dies würde den Aufständen im Irak, die auch drei Jahre nach der Beseitigung des alten Regimes nichts von ihrer Kraft eingebüßt haben, erheblichen Auftrieb geben.

Internationale Unterstützung. Schon wegen der kürzlich geschlossenen, langfristigen Wirtschaftsabkommen zwischen dem Iran und China und auch zwischen dem Iran und Indien sowie wegen der engen Beziehungen zu Russland würde ein US-Angriff beachtliche internationale Kritik auf sich ziehen. Mit China und Russland auch von zweien der fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats. [...]

Weiter reichende Reaktionen

Bei den zuvor beschriebenen Folgen handelt es sich um unmittelbare Reaktionen aus dem Irak oder von verbündeten Kräften im Libanon. Weit schwieriger vorauszusagen wären die Auswirkungen, die eine militärische Konfrontation mit dem Iran auf Meinungen und Reaktionen in weiteren islamischen Gemeinschaften hätte. [...] Jeder Angriff auf eine so bedeutende islamische Republik würde jedoch unweigerlich die antiamerikanische Stimmung in der Region verstärken und einer Bewegung neue Impulse geben, die bereits jetzt ein globales Phänomen ist. [...]

Israelische Militäraktionen

[...] Obwohl Israel kurzfristig von einem Angriff auf den Iran profitieren würde, wären die längerfristigen Auswirkungen weit weniger zuträglich. Zusätzlich zu den Problemen, die für die USA im Irak entstünden, und den resultierenden Spannungen zwischen Israel und seinem engsten Verbündeten wäre Israel mit einem Iran konfrontiert, der entschlossen ist, Atomwaffen zu produzieren. Allgemein wäre Israel einer deutlich verstärkten regionalen Opposition ausgesetzt.

Fazit

[...] Die Beseitigung des Saddam-Hussein-Regimes sollte einen marktwirtschaftlich orientierten Vasallenstaat im Irak herbeiführen. Stattdessen hat sie einen hochgradig instabilen und folgenschweren Konflikt ausgelöst, dessen Ende nicht absehbar ist. Dies muss die USA oder Israel nicht unbedingt davon abhalten, den Iran anzugreifen, obwohl hier noch weit schwerer wiegende Folgen zu erwarten wären. Die vorliegende Analyse kommt allerdings zu dem Schluss, dass militärisches Vorgehen als Reaktion auf die gegenwärtige Krise in den Beziehungen zum Iran eine äußerst gefährliche Option ist und nicht weiter in Erwägung gezogen werden sollte. Alternativen Möglichkeiten müssen gesucht werden, so schwierig dies auch sein mag.

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