Ausgabe Oktober 2006

Päpstlicher Ausnahmezustand

„Nein, wir können nicht kommen,“ sagen die Bekannten. Der Hauptbahnhof sei gesperrt und man wisse nicht, ob überhaupt Züge fahren. Auf meine als schlechter Witz gemeinte Frage: „Was ist denn los, habt ihr einen Terroranschlag?“, wird ernst geantwortet: „Nein, Terror nicht.“

Meine Bekannten wohnen in Regensburg. Dort war auch der Papst, und das hatte Folgen: Das öffentliche Leben der 150000 Einwohner fand nicht mehr statt. Die gesamte Innenstadt war vollständig abgesperrt, alle Parkplätze schon seit sechs Tagen, Geschäfte und Betriebe geschlossen, weil die Leute nicht zur Arbeit kommen konnten. Wer unabkömmlich war, musste am Arbeitsplatz übernachten. 400 Betten wurden in den Krankenhäusern „für alle Fälle“ leer geräumt, mehrere Operationssäle wurden unbenutzt bereit gehalten. Alle Fenster mussten geschlossen bleiben, und zu den Kundgebungen war es verboten, Regenschirme mitzubringen.

Der Papst ist, das wissen wir jetzt, kein Deutscher, sondern ein Bayer, und mit seinem „privaten“ Besuch in seiner alten Heimat hat er nicht nur dort, sondern in der ganzen Republik den größten Hype seit der Fußball-WM ausgelöst. Die Katholische Kirche ließ sich das Spektakel rund 30 Mio. Euro kosten, aber vielleicht haben ja Angela und Edmund etwas beigesteuert angesichts der wirkungsvollen Werbung für ihre Parteien. Fachleute sprechen von einer hervorragenden PRArbeit der Kurie.

Sie haben etwa 30% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 70% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (1€)
Digitalausgabe kaufen (10€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe September 2025

In der September-Ausgabe plädiert Lea Ypi für eine Migrationsdebatte im Sinne der Aufklärungsphilosophie. Cinzia Sciuto fordert, der zunehmenden Aushöhlung des Völkerrechts mit einer entschiedenen Verteidigung desselben zu begegnen – und nicht mit Resignation und falschem Realismus. Für Georg Diez markieren die Kriegsverbrechen in Gaza und die fehlenden Reaktionen darauf einen Epochenbruch; sie stünden für nicht weniger als den Verrat des Westens an der Humanität. Herfried Münkler analysiert, wie Kriege historisch endeten und Friedenszeiten begannen und was das mit Blick auf den Ukrainekrieg bedeutet. Simone Schlindwein deckt auf, wie Russland junge Afrikanerinnen mit falschen Versprechen für die Kriegswirtschaft rekrutiert. Warum die grüne Digitalisierung ein Mythos ist und was der KI-Boom den Globalen Süden kostet, erläutern Ingo Dachwitz und Sven Hilbig. Und Eva-Maria Klinkisch sowie Markus Rieger-Ladich zeigen auf, wie Long Covid-Betroffene von der Gesellschaft und dem Gesundheitssystem systematisch ignoriert werden – und was dagegen zu tun ist. 

Zur Ausgabe Probeabo

Weitere Artikel zum Thema Religion

Der ökologische Antikapitalist: Das Erbe von Papst Franziskus

von Wolfgang Sachs

Als am 8. Mai dieses Jahres weißer Rauch über dem Vatikan aufstieg und zur Überraschung vieler mit Papst Leo XIV. – oder bürgerlich Robert Francis Prevost – der erste US-Amerikaner zum Papst gekürt worden war, war eines jedenfalls sofort klar: Dieser Papst ist ein direktes Vermächtnis des Pontifikats seines Vorgängers.

Friedrich Schorlemmer: Theologe, Autor, Widerständler

von Bettina Röder

Am 9. September starb der wortmächtige Theologe und mutige Bürgerrechtler Friedrich Schorlemmer. Seit 1990 gehörte er zum Herausgeberkreis der »Blätter«. Alljährlich nahm er an unseren Herausgeberkonferenzen teil. Wir erinnern an Friedrich Schorlemmer mit einem Nachruf seiner Weggefährtin, der Journalistin Bettina Röder, sowie mit seinen eigenen Worten.

Weltkirchenrat: Man spricht deutsch!

von Christoph Fleischmann

Internationale Treffen auf deutschem Boden haben ihre Tücken, wenn es darum geht, sich mit anderen Weltsichten zu konfrontieren. Das war in diesem Sommer bei der documenta zu sehen und es konnte auch bei der jüngsten Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) beobachtet werden.